Rezension über:

Georg Herbstritt: Entzweite Freunde. Rumänien, die Securitate und die DDR-Staatssicherheit 1950 bis 1989 (= Analysen und Dokumente; Bd. 47), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016, 582 S., 32 s/w-Abb., ISBN 978-3-525-35122-2, EUR 40,00
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Rezension von:
Peter Ulrich Weiß
Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Dierk Hoffmann / Hermann Wentker im Auftrag der Redaktion der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Peter Ulrich Weiß: Rezension von: Georg Herbstritt: Entzweite Freunde. Rumänien, die Securitate und die DDR-Staatssicherheit 1950 bis 1989, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016, in: sehepunkte 17 (2017), Nr. 10 [15.10.2017], URL: https://www.sehepunkte.de
/2017/10/29582.html


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Georg Herbstritt: Entzweite Freunde

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Vor dem Hintergrund des rumänischen Sonderwegs und der Ceauşescu-Diktatur mit quasi-monarchischem Charakter gehört das Verhältnis zwischen der DDR und Rumänien in ihrem spannungsreichen Auf und Ab zu den historisch interessantesten auswärtigen Beziehungen, die die SED innerhalb des Ostblocks unterhielt. Mit der vorliegenden Studie über die Genese der geheimdienstlichen Beziehungen beider Länder wird dieser besonderen Geschichte ein weiteres, außergewöhnliches Kapitel hinzugefügt - und zugleich eine bedeutende Wissenslücke geschlossen. Der Autor, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Bildung und Forschung bei dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in Berlin und ausgewiesener Rumänienkenner, richtet in sechs Kapiteln vor allem folgende Fragen an seinen Gegenstand: Wie entwickelten sich die Beziehungen und der Austausch zwischen Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und Securitate im Lauf von 40 Jahren kommunistischer Herrschaft, welche konkreten Formen und Aktionen der Zusammenarbeit bestanden bzw. wurden realisiert? Wer geriet ins Visier der Geheimdienste und welches Wissen bestand sowohl über die Zielgruppen als auch über die Verhältnisse im Land? Wie organisierte das MfS in Zeiten bilateraler Krisen ihren Informationsfluss sowie die Überwachung von DDR-Bürgern in Rumänien?

Unter Bezugnahme auf eine erste Untersuchung [1] identifiziert der Autor drei Phasen in den geheimdienstlichen Beziehungen. Die erste erstreckt sich von den 1950er Jahren bis zur sogenannten Unabhängigkeitserklärung der Rumänischen Arbeiterpartei 1964 und ist von enger Kooperation und intensivem gegenseitigen Austausch geprägt. Die zweite Phase geht bis Anfang der 1970er Jahre und schwankt zwischen offener Abgrenzung und Bemühungen, eine dosierte Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten. Es ist der Zeitraum, in dem die Securitate nach 1964/1968 ihre Abwehr gegen "befreundete" Geheimdienste etablierte, insbesondere gegen den KGB. Die dritte und letzte Phase verläuft bis zum Ende der kommunistischen Diktaturen. Hier beschreibt der Autor in erster Linie eine Nicht-Beziehung, in der zwar durchaus noch ein gewisses Maß an Kommunikation und Austausch gepflegt wurde, jedoch keine wirkliche Kooperation mehr bestand. Im Ergebnis büßte das MfS massiv Informationen und Zugriffsmöglichkeiten auf DDR-Bürger in Rumänien ein. Die Stasi reagierte, indem sie DDR-Einrichtungen auf rumänischen Boden anzapfte und mit Informanten durchsetzte.

In der Wahrnehmung des MfS war das Rumänien der 1970er und 1980er Jahre ein "feindliches Bruderland" - so auch der Titel des dritten Kapitels. Dabei gestaltete sich das Klima in den zwischenstaatlichen und geheimdienstlichen Beziehungen nicht immer deckungsgleich: So konstatiert Herbstritt für die 1980er Jahre eine deutlich erkennbare außenpolitische Annäherung, die sich unter anderem in zahlreichen Staatsbesuchen von Honecker und Ceauşescu zeigte, jedoch auf der Ebene der Geheimdienste nahezu keine Spuren hinterließ. Hier war es vor allem das MfS, das, wahrscheinlich auf sowjetischen Druck, Kooperations-Offerten der Securitate ins Leere laufen ließ.

Herbstritt versteht die geheimdienstlichen Außenbeziehungen als Teil der staatlichen Beziehungen und zugleich als Baustein im "multilateralen Beziehungsgefüge der sozialistischen Geheimdienste". Das Buch bestätigt in vielen Befunden die These vom Sonderweg Rumäniens innerhalb des europäischen Ostblocks. Sowohl seine Staatsführung als auch der Geheimdienst manövrierten sich im Laufe der Jahrzehnte in eine Außenseiterposition. Dadurch, dass beide Geheimdienste sich gegenseitig überwachten, entstand eine wechselseitige "Überwachungsparanoia", so Herbstritt. 1985 arbeiteten mindestens drei der neun in Ost-Berlin tätigen rumänischen Diplomaten für die Securitate - wie das MfS herausfand.

Der Verfasser durchleuchtet nahezu sämtliche Personen- und Statusgruppen sowie Themenbereiche, die für die Geheimdienste von Interesse waren - oder hätten sein können - und prüft Umfang und Intensität ihrer Überwachung: Funktionäre, Offiziere, Legionäre, Informanten, Mitarbeiter der Auslandsrepräsentanzen, Handelsreisende, Schriftsteller, Studenten, Schmuggler und Rumäniendeutsche. In den Blick kommen auch Emigration, Tourismus, Grenzüberwindung und Fluchthilfe. Der Leser taucht ein in die von strategischen Erwägungen, Vermutungen, Überraschungen und Enttäuschungen geprägten Perspektiven und Logiken der Geheimdienste und er lernt ihr operatives Tagesgeschäft kennen, wozu auch Entführungen gehörten. Dabei begegnen ihm sowohl auf Opfer- als auch auf Täterseite viele bewegende Einzelschicksale und gebrochene Lebenswege, die der Autor in zahlreichen Fallstudien ausbreitet. Anhand einer solchen Optik und Detailfülle entfaltet sich ein aufschlussreiches, spezifisches Panorama der rumänischen Gesellschaft bzw. kommunistischen Zusammenbruchgesellschaft, das auf seine Weise ein Stück 20. Jahrhundert erzählt.

Das Buch liefert auch interessante Einblicke in das Innenleben auswärtiger Repräsentanzen in der DDR und in Rumänien. So unternahmen insbesondere in den 1980er Jahren rumänische Vertreter alle erdenklichen Anstrengungen, um im Auslandseinsatz zu verbleiben bzw. die Rückkehr in die Heimat mit ihrer desolaten Wirtschaft zu verzögern. Verleumdung und Denunziation von Kollegen gehörten dabei zu den probaten Mitteln, sich für einen Verbleib zu empfehlen. Bemerkenswert ist auch, dass die rumänische Botschaft intern über erhebliche Informationslücken und mangelnde Leitlinien klagte, die durch das Kompetenzwirrwarr in Bukarest und die zunehmende Entmachtung von Außenministerium und Außenminister durch Ceauşescu und seine Clique hervorgerufen wurden.

Aus den ausgewerteten Stasi-Akten geht zweifelsfrei hervor, dass das Detailwissen auf DDR-Seite über die Missstände und die Not der rumänischen Bevölkerung umfangreich war. Dass sich hohe Repräsentanten der deutschen Minderheit als Informanten für das MfS betätigten, zeugt nicht nur von Opportunismus oder Linientreue, sondern auch von der Verzweiflung der Menschen im Land, die in dem DDR-Geheimdienst bzw. in der DDR einen potenziellen Verbündeten gegen die minderheitenfeindliche Politik der Ceauşescu-Diktatur sahen. Ihre Berichte wurden akribisch gesammelt und nach Ost-Berlin weitergeleitet. Doch Folgen oder gar irgendeinen Nutzen für die Betroffenen hatte dies nicht. Ohnehin wurden sämtliche Landesinformationen zwar wie von einem Schwamm aufgesogen, aber jede Form von Einflussnahme unterblieb. Weder wurden notleidende Rumäniendeutsche unterstützt, noch förderte man Initiativen zum Sturz Ceauşescus. Eines der Hauptanliegen des MfS war die Aufdeckung und Unterbindung der Flucht von DDR-Bürgern via Rumänien in den Westen. In diese Richtung wurden, wie in anderen Ländern auch, gewaltige Anstrengungen sowohl im Vorfeld als auch vor Ort unternommen, wie Herbstritt dokumentiert. Hingegen sammelte das MfS im Verlauf seiner Westarbeit nur wenig Material über die Siebenbürger und Banater Landsmannschaften und deren Aktivitäten.

Im Ergebnis liegt eine beeindruckende, quellengesättigte Studie vor, die zahlreiche neue Erkenntnisse präsentiert und zugleich Qualitäten eines Nachschlagewerks aufweist. Zur Sprache kommen nicht nur die geheimdienstlichen Beziehungen, sondern auch die schwierigen Beziehungen zwischen Rumänien und der DDR insgesamt. Immer wieder werden die Überlieferungslage und der Quellenwert bestimmter Akten und Bestände diskutiert, was zum einen auf eine akribische Auswertungsleistung verweist, zum anderen wertvolle Auskünfte für weitere Forschungen ausbreitet. In diesem Sinne vervollständigt das Buch der gut 80-seitige Anhang mit Dokumenten, Erläuterungen, Register und ausführlichem Literaturverzeichnis. Die bisweilen kleinteilige Gliederung erklärt sich aus dem langen Untersuchungszeitraum und der großen Zahl von Themen und Gesellschaftsbereichen, die im Visier der Geheimdienste standen und damit auch den Autor beschäftigten. Zahlreiche Abbildungen illustrieren die Studie und runden den Band auf gelungene Weise ab. Für die Geschichte der beiden Geheimdienste und die Analyse der (ost)deutsch-rumänischen Beziehungen im Kalten Krieg steht damit eine verdienstvolle materialreiche Arbeit zur Verfügung, der ein breiter Leserkreis zu wünschen ist.


Anmerkung:

[1] Stejărel Olaru / Georg Herbstritt: Stasi şi Securitatea, Bukarest 2005.

Peter Ulrich Weiß