Gunter Lange: Der Nahschuss. Leben und Hinrichtung des Stasi-Offiziers Werner Teske, Berlin: Ch. Links Verlag 2021, 253 S., 24 s/w-Abb., ISBN 978-3-96289-117-6, EUR 22,00
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Mit einem "Nahschuss in das Hinterhaupt" wurde das letzte Todesurteil in der DDR vollstreckt: Am 26. Juni 1981 starb in Leipzig der Stasi-Offizier Werner Teske. Gunter Lange rekonstruiert die Biografie Teskes anhand einer Fülle von Dokumenten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Im Mittelpunkt stehen dabei seine Tätigkeit für die Geheimpolizei, die Konflikte mit dem Staatssicherheitsdienst, die Untersuchungshaft in Berlin-Hohenschönhausen und schließlich sein Tod.
Der im April 1942 in Berlin geborene Teske studierte nach seinem Abitur Finanzökonomie an der Humboldt-Universität. Der SED-Anhänger profitierte - wie viele in seiner Generation - vom Bildungssystem der DDR. Nach seiner Promotion strebte er eine wissenschaftliche Karriere an. Dieser Wunsch scheiterte allerdings an den Plänen des MfS: Die Geheimpolizei sah eine andere berufliche Perspektive für ihn vor. 1967 warb ihn die Staatssicherheit zunächst als Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) "Tesla" an. Er sollte Kontakt zu anderen Spitzeln halten, die westliche Politiker oder Wirtschaftsvertreter ausspionierten. 1969 trat Teske als Hauptamtlicher Mitarbeiter in den Dienst der Auslandsspionage des MfS - der Hauptverwaltung A (HV A). Zu deren Aufgaben gehörte es, der wachsenden Abhängigkeit der DDR von westlichen Krediten und Technologien mit geheimdienstlichen Methoden zu begegnen. Teskes Arbeitsfeld lag auf dem Gebiet der Wirtschafts-, Wissenschafts- und Technologiespionage, wobei er sich konkret mit der bundesdeutschen Wirtschaftspolitik befasste. Der Stasi-Offizier betrieb einen beträchtlichen Aufwand, um die mit geheimpolizeilichen Methoden gewonnenen Erkenntnisse so aufzubereiten, dass sie DDR-Institutionen nutzen konnten. Der Autor kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass über Teskes Tisch keine wichtigen Informationen liefen.
Teske versank im bürokratischen Arbeitsalltag. Seine wachsenden Zweifel am Sinn seiner Aufgaben im MfS und die Erkenntnis, nicht mehr wissenschaftlich arbeiten zu können, führten erst zu Alkohol- und später zu Eheproblemen. Der "Abstieg ins Tal der Frustration" - diese prägnante Kapitelüberschrift könnte in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre in der DDR über vielen Lebensläufen aus Teskes Generation stehen.
Schon früh begann er, sich mit Fluchtgedanken zu tragen. Über entsprechende Möglichkeiten verfügte Teske, da er die Modalitäten der Grenzschleusungen am Bahnhof Friedrichstraße kannte. Häufig setzte er sich über MfS-Vorschriften hinweg und nahm, allerdings unstrukturiert, dienstliche Unterlagen mit nach Hause und versteckte sie dort. Er glaubte, die Dokumente als Startkapital für ein neues Leben im Westen nutzen zu können. Doch es fehlte ihm letztlich der Mut, diesen Schritt zu gehen. Der Autor arbeitet überzeugend heraus, dass Teskes Überlegungen zum Seitenwechsel eng mit seiner stagnierenden beruflichen Entwicklung und dem für ihn unbefriedigenden Arbeitsalltag in der HV A verwoben waren.
Teske versuchte auch, seiner Familie ein besseres Leben zu bieten. Er unterschlug "Operativgelder" und finanzierte damit einen hohen Lebensstandard, der weit über dem eines durchschnittlichen DDR-Haushalts lag. Als er im August 1980 bei einem Treff mit einem IM nicht erschien und ihn MfS-Mitarbeiter alkoholisiert in seiner Wohnung auffanden, beurlaubten ihn seine Vorgesetzten. Die Stasi begann, seinen chaotischen Arbeitsstil zu untersuchen.
Zunächst fanden die Vernehmungen in einem "konspirativen Objekt" statt. Schnell entstand Klarheit: Seit sechs Jahren hatte Teske - unbemerkt vom MfS - beträchtliche Mengen an Operativgeldern unterschlagen. Die Beträge beliefen sich auf 21.478 DDR-Mark und 20.800 D-Mark. Teskes Finanzmanipulationen führten seinen Vernehmern vor Augen, in welch starkem Ausmaß die internen Kontrollmechanismen des Staatssicherheitsdienstes in diesem Fall versagt hatten.
Der Autor zeigt, dass abgehörte Gespräche von Teske mit seiner Ehefrau den Staatssicherheitsdienst schließlich auf eine neue Spur führten: Das MfS erfuhr von den versteckten Unterlagen. Als sie am 10. September 1980 die Wohnung Teskes durchsuchten, stießen MfS-Mitarbeiter auf eine Fülle dienstlicher Dokumente - insgesamt 3.370 Blätter mit Informationen über Klarnamen, Wohnadressen und Arbeitsaufträgen von Quellen des MfS in der Bundesrepublik Deutschland, Codierungstafeln und Verbindungswegen. Dazu kamen Hinweise auf DDR-Bürger, die für die Geheimpolizei tätig waren, Unterlagen zu Zielobjekten und HV A-Agenten im Westen sowie eine umfangreiche Datensammlung zu MfS-Mitarbeitern.
Die Stasi-Offiziere, die den Fall Teske bearbeiteten, erkannten schnell, dass nach der Flucht des HV A-Mitarbeiters Werner Stiller 1979 in den Westen möglicherweise ein weiterer Verratsfall in den eigenen Reihen vorlag. Am 11. September 1980 lieferte der Staatssicherheitsdienst Teske in das zentrale Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen ein. Im Mittelpunkt der Verhöre stand nun der Spionageverdacht. Auf der Grundlage der MfS-Vernehmungsprotokolle kommt der Autor zu dem Ergebnis, dass Teske mit seinen vermeintlichen Fluchtplänen weder politische Motive verfolgt noch Kontakt zu einem westlichen Nachrichtendienst aufgenommen hatte. Vielmehr zeigt Lange, dass Teske von dem monotonen Arbeitsalltag zermürbt und für das MfS zum potenziellen Sicherheitsrisiko geworden war.
Stasi-Chef Erich Mielke, der nach dem "Verrat" Stillers jedes Sicherheitsrisiko in seinem Ministerium ausschließen und alle Zweifel an der Effizienz und Zuverlässigkeit der HV A unterdrücken wollte, ließ hart durchgreifen. Die "Dreieinigkeit" (190) - bestehend aus MfS-Untersuchungsorgan, Militärstaatsanwaltschaft und Militärgerichtsbarkeit - bereitete den Prozess vor. Die Verhandlung fand am 10. und 11. Juni 1981 unter strengster Geheimhaltung vor dem 1. Militärstrafsenat des Obersten Gerichts der DDR statt. Die finanziellen Unterschlagungen spielten dabei keine Rolle mehr - das MfS hatte keinerlei Interesse daran, dass ihm bei seinen internen Sicherheitsvorkehrungen in die Karten geschaut wurde. Der Richter verkündete das bereits im Vorfeld festgelegte Todesurteil "wegen vorbereiteter und vollendeter Spionage in besonders schwerem Fall in Tateinheit mit vorbereiteter Fahnenflucht im schweren Fall". Das Urteil war sofort rechtskräftig. Schon wenige Tage nach dem Schnellverfahren wurde es vollstreckt.
Gunter Lange zeigt, welche Fülle an Informationen sich durch eine quellenkritische Analyse aus den Stasi-Unterlagen - vor allem aus den in Hohenschönhausen entstandenen Vernehmungsprotokollen - gewinnen lassen. Der biografisch angelegten Arbeit gelingt es, die beruflichen Lebensstationen Teskes in den Kontext der großen Linien der Geschichte des MfS einzubetten. Die flüssig geschriebene und gut lesbare Darstellung vermittelt wichtige Einblicke in die Interna der MfS-Auslandsspionage. Der Studie ist eine breite Leserschaft zu wünschen.
Stefan Donth