Sebastian Tesch: Albert Speer (1905-1981) (= Hitlers Architekten; Bd. 2), Wien: Böhlau 2016, VIII + 337 S., 233 s/w-Abb., ISBN 978-3-205-79595-7, EUR 49,00
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Wer heute ein Buch über Albert Speer schreibt, sieht sich einer Menge von unterschiedlichen, teils widersprüchlichen Erwartungen gegenüber. Verlangt wird eine Arbeit, die den "Architekten des Führers" mit allen Bauten und Entwürfen zur Architekturproduktion des NS-Regimes ins Verhältnis setzt. Besonders interessiert, was der Bauherr Hitler dem Entwerfer im Einzelnen vorgab und welchen Anteil Mitarbeiter wie Hans-Peter Klinke an der Umsetzung der Entwürfe hatten. Dringlich ist eine Analyse des Architekten und Rüstungsministers Speer, die seine gestalterische wie seine organisatorische Tätigkeit zugleich als politisches Handeln begreift.
Sebastian Tesch antwortet in seiner neuen Speer-Biografie auf einige drängende Forschungsfragen. Er wertete eine Fülle von bisher unbeachteten Schriftquellen aus und kann dadurch die Vorstellungen von Speers Architektenlaufbahn in vielen Einzelheiten korrigieren. Über dessen Arbeitsweise und über sein Verhältnis zu Hitler, zu Goebbels und anderen Mächtigen des Dritten Reichs lässt sich hier Bemerkenswertes erfahren. Wenn auch Magnus Brechtkens aktuelle Biografie noch nicht berücksichtigt werden konnte [1], weist die Arbeit an Hand von Äußerungen Speers und seiner Mitarbeiter eine romantische Geschichts- und Autoritätsgläubigkeit, ein Geschick im Anpassen ebenso wie ein Streben nach Macht als durchgängige Charakterzüge des Architekten nach. Doch nicht nur das; Tesch hat mehrere wichtige Entwürfe entdeckt und mit dem Garagenhof für die alte Reichskanzlei einen bislang völlig unbekannten Bau Speers publiziert. Damit kann er dessen Entwicklung vom Schüler Heinrich Tessenows zum wichtigsten NS-Architekten am Gestaltungswandel seiner Bauten fast lückenlos nachzeichnen.
Die Darstellung ist chronologisch gegliedert, wie es das Thema verlangt. Tesch beginnt mit den Studienjahren Albert Speers in Karlsruhe und München, behandelt seinen Überwechsel zur Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg (1925) und die "Entdeckung" Tessenows als Architekturlehrer. Die Verehrung für Tessenow, die Speer mit einer Gruppe von eher rechts ausgerichteten Studenten teilte, und die Konkurrenz zum Entwurfsseminar Hans Poelzigs werden angesprochen, aber es entsteht leider kein genaueres Bild dieser konfliktreichen Zeit. Das mag an der blassen Persönlichkeit Speers liegen, der sich in den Wettbewerbsentwürfen und kleinen Einzelhäusern aus den Jahren 1927 bis 1931, die hier erstmals zusammengestellt sind, ganz als Schüler des "Baumeisters" zeigt.
Im Folgenden wird dargestellt, wie sich Speer Schritt für Schritt zum "Architekten des Führers" emporarbeitete, von den Umbauarbeiten am Reichskanzlei-Komplex als untergeordneter Mitarbeiter von Paul Ludwig Troost über die Kulissen für die ersten NSDAP-Großkundgebungen im Auftrag Goebbels' und die Monumentalbauprojekte in Nürnberg, München (das "Denkmal der Partei") und Berlin. Dass mit der Ausführung "in Stein" und den wachsenden Dimensionen die Architektur Troosts als Vorbild an Bedeutung gewann, weist Tesch an den Fassadenformen nach. Er nimmt sodann die Großbauten und -Projekte für Berlin, die Speer nach z.T. detaillierten Hitler-Skizzen entwarf, in den Blick: die "Große Halle", den Triumphbogen, das "Oberkommando der Luftwaffe" für Göring und die Neue Reichskanzlei. An ihnen zeigt er den Einsatz von reicheren historischen Einzelformen und Gliederungsmotiven, deutet die Aufnahme von Formen der Früh- und Hochrenaissance nach einer Italienreise Speers an und behandelt die Frage nach dem Einfluss seines Bauherrn Hitler, wobei er dem Architekten kaum eine eigenständige gestalterische Leistung zubilligt.
Es folgen Abschnitte zum Wirken Speers in seinen zahlreichen Ämtern, zuletzt als "Reichsminister für Bewaffnung und Munition", bis hin zu einer Bewertung seiner Aktivitäten nach der Haftzeit, vor allem als Autor in eigener Sache. In einem Fazit relativiert Tesch die historische Bedeutung des Architekten gegenüber der des "Baumanagers" und Rüstungsorganisators. Ein Werkverzeichnis mit allen Bauten und Projekten aus dem Privatbüro schließt das Buch ab. Darunter sind einige Entdeckungen wie die Häuser, die Speer für sich selbst entwarf, eine Villa auf der Insel Schwanenwerder am Großen Wannsee, das monströse "Haus Speer" in Altranft bei Wriezen (1942) und der Bauernhof nahebei, gedacht als Refugium. Zeichnungen wie diese zeigen seine innersten Sehnsüchte und bereichern das Persönlichkeitsbild des Architekten, wie es sich den Leserinnen und Lesern in diesem Buch erschließt.
Darin liegt eine Einschränkung, die zunächst die Auswahl der Werke und Abbildungen betrifft. Im Werkverzeichnis fehlen Arbeiten Speers, die äußere Umgestaltung des Berliner "Ufa-Palasts am Zoo" ab 1934 und die des Lustgartens zur Maifeier 1936 ebenso wie die Arbeiterunterkünfte am Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Auch hätten die Kundigen gern erfahren, welchen Anteil Speer am Entwurf des Gemeinschaftshauses der Mustersiedlung Braunschweig-Mascherode, an der Umgestaltung der Deutschen Botschaft für Joachim von Ribbentrop in London und an den Bauten der Berliner Ost-West-Achse hatte. Bei anderen, nur kurz erwähnten Arbeiten wie dem Gutshaus-Umbau in Sigrön bei Bad Wilsnack, der Nürnberger "Kulturhalle" und der Stadt "X" bei Peenemünde (um 1941) werden die Leserinnen und Leser die Bilder vermissen.
Zu dem allzu sparsamen und das Verständnis nicht gerade erleichternden Einsatz der Abbildungen kommt ein weiterer Mangel: Wichtige Arbeiten Speers wurden weder auf Einflüsse durch die Entwürfe und Bauten anderer, bekannter Architekten noch auf die durch eigene zurückliegende Arbeiten untersucht. So bleibt die bemerkenswerte Ähnlichkeit des Kirchenentwurfs für Rheinfelden von 1929 mit dem analogen für eine evangelische Kirche in Kreuzform für Hagen-Weringhausen, gezeichnet 1907 von Peter Behrens, unbeachtet. Den Verweis auf die frühen Lichteffekte beim "Erntedanktag" am Bückeberg bei Hameln am 1. Oktober 1933 als Vorläufer des Nürnberger Lichtdoms hätte ein Bild aus der kleinen Speer-Biografie von Rudolf Wolters (1943) weitaus anschaulicher gemacht - der offenbar angestrebte Effekt einer nordischen "Thing-Halle" fordert eigentlich einen Vergleich mit den Bauten der Folgejahre heraus, vor allem mit dem "Emslandhaus" für die SA-Wachmannschaft des KZs Neusustrum. [2] Tesch behandelt den Bau nur beiläufig und vergibt sich so die Möglichkeit, den "Klassizisten" Speer in die Realgeschichte der NS-Architektur einzuordnen.
Der Analyse der Großbauten schadet zudem eine Scheu, diffizile Ergebnisse der Forschung zu verarbeiten. Dies fällt speziell an dem Abschnitt über die "Neue Reichskanzlei" auf. Tesch erwähnt hier abstruse Vergleiche mit antiken Bauwerken, geht aber mit keinem Wort auf die Überlegungen Frank-Bertolt Raiths zur Architektur des Ehrenhofs (mit der sichtbaren Anregung durch Michelangelos Biblioteca Laurenziana in Florenz) und zu der des Mosaiksaals ein. [3] Eine Befassung mit den Möbelentwürfen Speers, auch für den umgebauten Altbau, wird bereits in der Einleitung abgewiegelt, was im Hinblick auf die Forschungsarbeit von Sonja Günther unakzeptabel ist. [4]
Überdies hat Tesch das Buch in einem trockenen, unlebendigen Stil geschrieben, mit zahlreichen Sprachklischees, Tautologien und mit Unkorrektheiten, auch inhaltlichen, wenn Ludwig Hilberseimer als "Hilbersheimer" auftaucht. Anstatt den Autor zur schnellen Fertigstellung zu drängen, hätten die Herausgeber der Reihe "Hitlers Architekten" besser daran getan, ihn beim Bearbeiten der Einzelprobleme zu unterstützen und dabei auch externen Sachverstand zu nutzen. Im vorliegenden Zustand vermag es das Werk jedenfalls nicht, den Architekten und den Organisator Speer historisch wie architekturhistorisch umfassend zu charakterisieren.
Die Lösung wäre, über akademische Gepflogenheiten hinwegzusehen und das Buch gründlich zu überarbeiten - und zu erweitern. Tesch füge also das Fehlende an Analysen und Beschreibungen hinzu, begründe seine Positionen gegenüber allen Primär- und Sekundärquellentexten und setze dazu mehr und bessere Bilder ein. Dem sollte ein intensives Studium der "Sprachlehre" des Karl Kraus vorausgehen. Dann wird ein Werk herauskommen, das den Titel einer historisch-kritischen Monografie wirklich verdient.
Anmerkungen:
[1] Magnus Brechtken: Albert Speer. Eine deutsche Karriere, München 2017.
[2] O. A.: Das Emslandhaus - ein Geschenk des Führers; in: Deutsche Bauzeitung 71 (1937), H. 15, Kunstdruckteil, 24f.
[3] Frank-Bertolt Raith: Der Heroische Stil. Studien zur Architektur am Ende der Weimarer Republik, Berlin 1997, speziell 167-204.
[4] Sonja Günther: Design der Macht. Möbel für Repräsentanten des Dritten Reichs, mit einem Vorwort von Wolfgang Fritz Haug, Stuttgart 1992.
Ulrich Hartung