Maren Röger: Kriegsbeziehungen. Intimität, Gewalt und Prostitution im besetzten Polen 1939 bis 1945, Frankfurt a.M.: S. Fischer 2015, 304 S., ISBN 978-3-10-002260-8, EUR 24,99
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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So viel auch in den vergangenen Jahrzehnten über die deutsche Besatzungsherrschaft in Polen geschrieben wurde, es blieb der Bereich der sexuellen Beziehungen zwischen Besatzern und der einheimischen Bevölkerung in der historischen Forschung doch ausgespart. Mit hoher wissenschaftlicher Kompetenz hat nun Maren Röger eine Studie über Intimitäten, Gewaltbeziehungen und Prostitution im deutsch besetzten Polen 1939-1945 vorgelegt, die sich aus quellentechnischen Gründen auf heterosexuelle Beziehungen beschränkt. Es ist der Autorin sehr eindrucksvoll gelungen, das heikle Thema auf der Grundlage von Akten unterschiedlicher Institutionen aus polnischen, deutschen und amerikanischen Archiven, angereichert durch persönlich geführte Interviews, zu erforschen und damit eine gravierende Lücke zu schließen.
Die Untersuchung gibt nicht nur Aufschluss über Voraussetzungen, Formen und Folgen sexueller Kriegsbeziehungen, sondern auch Einsicht in eine bisher defizitäre Historiografie. Verschiedene Umstände führten zu diesem Missstand: schamhaftes und angstvolles Schweigen der betroffenen Frauen, aber auch bewusstes Unterlassen der Historiker wegen Geringschätzung des Tatbestands oder bewussten Übersehens - getreu dem Motto, dass nicht gewesen sein könne, was nicht sein durfte. So hatten die unterschiedlichen Institutionen der deutschen militärischen und zivilen Besatzung nach dem Angriff auf Polen den intimen Umgang ihrer Angehörigen mit der polnischen und jüdischen Bevölkerung auf polnischem Territorium aufgrund der nationalsozialistischen Rassenhierarchie untersagt; das deutsche Volk wurde in der NS-Ideologie als "arischer Volkskörper" konstruiert, der von "minderwertigen rassischen Einflüssen" freigehalten werden sollte.
Aber auch in der polnischen Historiografie wurde das Thema nach 1945 unter anderem deshalb tabuisiert, weil auch Rotarmisten Gewalt gegen Frauen auf polnischem Gebiet verübt hatten und eine Behandlung dieses Themas die geforderte sozialistische Einheit beider Staaten hätte untergraben können. Allerdings wurde sexuelle Gewalt im Rahmen der Holocaust Studies am Beispiel von Ghettos und Lagern bereits untersucht, so dass Röger sich auf den Besatzungsalltag außerhalb dieser Zonen konzentriert. Zu den Leitfragen der Verfasserin zählt, welche Muster sexueller Kontakte es gab, wer die Beteiligten nach sozialen Kriterien waren, welche Motive sie hatten und inwieweit und auf welche Art sie zur Rechenschaft gezogen wurden.
Röger geht sicher mit Problemstellungen der Gender- und NS-Forschung um und befasst sich sorgfältig mit Begrifflichkeiten, Quellen und Forschungspositionen. Hinzu kommt mit Gewinn, dass sie bisweilen den europaweiten Vergleich sucht und dadurch das Allgemeine und Besondere bestimmter Phänomene deutlich herauszuarbeiten vermag. Sie unterscheidet drei Formen von Sexualbeziehungen: kommerzielle, konsensuale und erzwungene Kontakte, die auch die Gliederung des Buches vorgeben. In ihrer Einleitung erläutert Röger dazu, dass die unterschiedlichen Verantwortlichen an den Schaltstellen der Rassen- und Gesundheitspolitik Intimität, Gewalt und Prostitution zusammendachten. So sollte zum Beispiel die systematische Organisierung von Bordellen dazu dienen, Vergewaltigungen, aber auch privaten Liebeskontakten mit einheimischen Frauen vorzubeugen. Im Kapitel über die kommerziellen Kontakte erfährt man, dass das Bordellwesen besonders von Reichsführer SS Heinrich Himmler bevorzugt wurde, wie man es aufbaute und welche sozialen Gruppen von Frauen die Dienstleisterinnen waren. Zum einen griffen Wehrmacht und Zivilverwaltung auf das Bordellsystem und dessen "Sexarbeiterinnen" der Vorkriegszeit zurück, zum anderen nutzten sie die schutzlose Situation der einheimischen polnischen Frauen aus, die aus unterschiedlichen Gründen massenweise gewaltsam in die Prostitution gezwungen wurden oder sich aus bitterer materieller Not selbst dafür entschieden. Grenzen zwischen Freiwilligkeit und Zwang konnten dabei stark verschwimmen.
Die geschaffenen Gewaltstrukturen werden anhand grundlegender Handlungsweisen und individueller Fallbeispiele erläutert, die zum Beispiel zeigen, dass Frauenhandel in großem Maßstab zur Belieferung von Bordellen für Zwangsarbeiter im Altreich oder für die Ostfront betrieben wurde. Weitere Gründe für die deutsche Besatzungsmacht, Bordelle zu fördern, war die gesundheitspolitische Kontrolle der Frauen, um die Ausbreitung von venerischen Krankheiten zu verhindern. Aber auch "Fraternisierungen" sollte - wie selbst die Bordellordnungen belegen - vorgebeugt werden, da diese zu Geheimnisverrat hätten führen können. Doch wie ließ sich der empfohlene kommerzielle Geschlechtsverkehr der Männer der deutschen Wehrmacht und Zivilverwaltung mit "minderwertigen" Frauen rassenpolitisch rechtfertigen? Die Quellen zeugen hier von einer erstaunlichen Pragmatik, wenn der sexuelle Umgang mit Polinnen in Bordellen als sachlich-wirtschaftlich und nicht als gesellschaftlich geleitet definiert wird. Eine unumstößliche Schranke wurde allerdings gegenüber Jüdinnen errichtet. Der intime Verkehr mit ihnen galt grundsätzlich als "Rassenschande" und wurde entsprechend geahndet, die betroffenen Jüdinnen "ausgegrenzt". Dies hieß aber nicht, dass die Männer der deutschen Besatzungsmacht keine intimen Kontakte zu Jüdinnen aufgenommen hätten. Doch fällt dieser eher seltene Tatbestand in die Grauzone der nichtoffiziellen Prostitution, der die Verfasserin breiten Raum widmet. Jüdinnen waren in dieser Sphäre als Polinnen getarnt, doch konnte Röger in den Akten auch Fälle finden, in denen Vertreter der deutschen Besatzungsmacht wissentlich das Risiko eingegangen waren, mit Jüdinnen intim zu verkehren. Die soziale Seite der professionellen Sexarbeit und der Gelegenheitsprostitution zeigt, dass sie weitgehend Frauen aus unteren sozialen Schichten der Stadt betraf; materiell gesehen verdienten sie im Schnitt mit Prostitution mehr Geld als etwa Arbeiterinnen.
Die Ermittlung von konsensualen sexuellen Beziehungen zwischen deutschen Besatzern und Polinnen jenseits der Prostitution bringt für die Leserschaft die erstaunliche Erkenntnis, in welch hohem Ausmaß intime Beziehungen trotz des strikten Verbots aufgenommen und bis hin zu eheähnlichen Verhältnissen mit Kind gepflegt wurden. Man erfährt viel über Motive auf beiden Seiten, unterschiedlichste Fallbeispiele geben Auskunft darüber, dass selbst hochgestellte Beamte und Angehörige von Polizei und SS das Umgangsverbot mit Polinnen wissentlich brachen. Bestrafungen - die meist auf Denunziation zurückgingen - fielen häufig milde aus, wenn sie überhaupt verfolgt wurden. Sie konnten auf einem Konsens der zuständigen Dienststellen beruhen, die Vorfälle als Bagatelldelikte zu behandeln. Der rassenpolitische Anspruch der SS und die Besatzungswirklichkeit klafften also weit auseinander, überlappende Zuständigkeiten und Flexibilität im Strafmaß führten zu einer vielfältigen Bestrafungspalette der beschuldigten Männer, die von der Verwarnung über die Schutzhaft, die Dienstentlassung oder die Einberufung an die Front bis zum KZ (am ehesten für SS-Angehörige) reichte. Strafen für deutsche Frauen in den Reichsgebieten, die mit polnischen Männern eine sexuelle Beziehung eingingen, führten zu Haft und Lager. Die als minderwertig geltenden Polinnen hatten mit abgestuften Bestrafungen zu rechnen, wobei die härtesten Inhaftierung oder Zwangsprostitution waren. Dass die rassenplanerische Trennung der Bevölkerungen in den besetzten polnischen Gebieten nicht durchzusetzen war, zeigen auch vielzählige Gesuche auf Eheschließungen. Ihnen wurde in geringem Maß und dann am ehesten stattgegeben, wenn es gelang, die betroffenen Polinnen in die Volksliste aufzunehmen. Insgesamt galt, dass im Laufe der Besatzungszeit die Anordnungen der obersten deutschen Dienststellen strenger wurden, es in der Praxis vor Ort aber darauf ankam, den wachsenden Personalmangel nicht wegen sexueller Kriegsbeziehungen weiter zu erhöhen.
Dem dunkelsten, letzten Kapitel über sexuelle Gewalt als Teil der militärischen Eroberung, als Amtsmissbrauch, sexuelle Erpressung, öffentliche Gewalt, die in Massenvergewaltigungen kumulierte, und unzureichende Ahndungspraxis folgt anstelle eines wünschenswerten systematischen Resümees nur ein kurzer Ausblick. Darin weist die Verfasserin auf die psychischen Spätfolgen der weiblichen Gewalterfahrungen hin. Verschärfend kamen die fortdauernde soziale Ächtung im polnischen Milieu als "Vaterlandsverräterinnen" hinzu sowie ein selbstverordnetes Schweigen aus Angst, das die Frauen an ihrer Traumabewältigung hinderte.
Röger resümiert, dass die Nachgeschichte der sexuellen Kriegsbeziehungen noch geschrieben werden müsse. Mit ihrer Arbeit hat sie wichtige Bausteine zum Gegenstand der Kriegsbeziehungen zusammengefügt, zugleich auch weitere Forschungsdesiderate aufgezeigt, deren Verfolgung das Thema in mancherlei Hinsicht vertiefen könnte. Ergänzt sei der Wunsch nach einer erweiterten Perspektive in Hinblick auf einen systematischen Vergleich zwischen den einzelnen deutschen Besatzungsgebieten auf polnischem Territorium und bezüglich der Alltagserfahrungen von betroffenen Frauen.
Bianka Pietrow-Ennker