Sandra Salomo: Die Ökonomie des knappen Geldes. Studentische Schulden in Jena 1770-1830 (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe; Bd. 49), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2016, 438 S., ISBN 978-3-412-50371-0, EUR 55,00
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Das auf den ersten Blick etwas spröde wirkende Thema des Alltagskredits findet erst seit etwa zwanzig Jahren vereinzelt das Interesse der Historiker. Sandra Salomo untersucht in ihrer an der Universität Jena 2014 angenommenen Dissertation (Betreuer: Prof. Georg Schmidt) den Kredit am Beispiel einer rechtlich privilegierten Gemeinschaft und blickt dazu auf Wechselwirkungen zwischen den unter akademischer Gerichtsbarkeit stehenden Universitätsbesuchern und der Stadtbevölkerung in Jena. Dabei überprüft sie die zeitgenössische These, Studenten würden unnötig Kredit nehmen und ihre Schulden nicht tilgen.
In der frühneuzeitlichen Gesellschaft gehörte "Borgen und Anschreibenlassen zum täglichen wirtschaftlichen Handeln" (203), dabei unterschied sich das Kreditwesen der Studenten zunächst nur geringfügig von den Privatschulden der übrigen Bevölkerung. Allerdings war das Kreditverhältnis einseitig, denn nur die Studenten borgten von den Bürgern, nicht umgekehrt. Die Stadt Jena stellte sich so stark auf die 1558 gegründete Universität ein, dass die Stadt "auf Gedeih und Verderb auf die Professoren und ihre Studenten angewiesen" war (14).
Die Autorin ordnet nach einer ausführlichen Einleitung ihre Darstellung in sieben unterschiedlich umfangreichen Kapiteln. Die ersten drei befassen sich mit der "Ökonomie des Studiums" (28-75), den Schulden im studentischen Selbstverständnis (76-83) und den Rechtsnormen zum studentischen Schuldenwesen (84-148). Auf dieser Basis werden die Umstände des Kreditgeschäfts untersucht (149-200) und die studentischen Schulden mit dem Privatkredit der städtischen Bevölkerung verglichen (201-211). Der Schwerpunkt liegt auf der Darstellung der (gerichtlichen) "Regulierung der studentischen Schulden" (212-335), im Rahmen der akademischen Gerichtsbarkeit durch die dazu bestellten Professoren. An vier ausgewählten Beispielen wird schließlich das "Leben der Schuldner nach Beendigung des Studiums" dargestellt (336-345).
Die Studienkosten im 18. Jahrhundert wurden in studentischen Ratgebern unterschiedlich veranschlagt, je nach Ort des Studiums, Studienfach und sozialem Stand. Ein Orientierungswert lag bei 300 Talern im Jahr. Ärmere Studenten lebten bescheidener, konnten durch Armutsnachweise Kosten senken und manchmal auf wohnortnahe Naturalversorgung zurückgreifen. Angesichts der Schwierigkeiten der Bargeldversorgung spielte der Kleinkredit eine wesentliche Rolle. Nach Salomos Untersuchungen griffen etwa 40 Prozent der Studenten darauf zurück, sie fanden bei etwa fünf Prozent der Stadtbewohner Kredit, obwohl sie naturgemäß praktisch kaum Sicherheiten zu bieten hatten. Die Basis für einen quantifizierenden Blick auf die Studentenkredite sind Listen, in denen die Kreditoren ihre Forderungen bei der Universität "anmeldeten", um ihre grundsätzliche Einklagbarkeit zu sichern. Die Schuldsummen waren meist klein und dienten der Überbrückung finanzieller Engpässe. Eine Quelle für die Versorgung der Jenaer Studenten mit Bargeld sind Listen der eingegangenen Wechsel, allerdings nur für die Zeit von 1815-1820. Immerhin bezogen ca. 40 Prozent der Studenten dieses Zeitraums auf diese Weise Geld, vorwiegend Studenten aus weiter entfernten Orten. Auswärtige Studenten hatten mehr Geld zur Verfügung als die "Landeskinder". Die Universitäten versuchten, das Kreditproblem auch normativ zu regeln. In Jena wurde erst 1753 ein Kreditedikt erlassen, 1793 ein "Kontomandat", das studentische Schulden konsequent in legitime und illegitime einteilt. Letztere, für Luxusgüter, die zum Studieren und einfachen Leben nicht notwendig sind, sollten keinerlei gerichtlichen Schutz genießen.
In der studentischen Literatur noch des 18. Jahrhunderts wurde das Bild des liederlichen Studenten gepflegt, der absichtlich Schulden macht und seine Schuldner um das Geld "prellt". Zugleich gab es auch bei Professoren die verbreitete Meinung, Studenten könnten nicht mit Geld umgehen, bzw. Vorbehalte gegenüber Studenten, die "haushalten" konnten. Doch tatsächlich machte es den Studenten keine Freude, auf Kredit zu leben, die Schulden nicht zu bezahlen galt vielmehr als Zeichen mangelnder Ehre. Es war auch eher die Ausnahme, die Gläubiger vor Gericht für die Schulden verantwortlich zu machen.
Kreditgeber meldeten im Allgemeinen die Schulden der Universität, wenn Wechsel eintrafen oder wenn die Abreise der Studenten bevorstand. Vor Gericht wurde die Höhe der Schulden festgestellt (zumal wenn die Schuldner selbst den Überblick verloren hatten), die Einigung wurde meist erzielt, manchmal mit Kompromissen. Dann wurden, falls nötig, Fristen bis zur Tilgung vereinbart, eventuell auch ein eidliches Tilgungsversprechen geleistet. Mögliche Sanktionen waren der Arrest auf einkommende Gelder, auch Besitztümer des Studenten oder im Extremfall gegen ihn selbst (Personalarrest). Auch eine Bekanntmachung des Zahlungsverzugs konnte eine wirksame Sanktion sein.
Die Professoren bevorzugten als Richter bei der Handhabung der Schuldenjustiz nicht sich selbst, sie waren vielmehr bemüht, auf Notlagen der Gläubiger Rücksicht zu nehmen und so auch die städtische Wirtschaft (auf die auch die Universität angewiesen war) zu schützen. Als Kreditoren konnten die Professoren bezeichnenderweise auf eine etwas höhere Tilgungsquote hoffen. Es gelang allerdings in Jena nicht, nach Göttinger Vorbild um 1800 die Vorausbezahlung der Vorlesungen durch die Studenten einzuführen.
Sandten die Eltern genügend Geld, so wurden alle Forderungen erstattet, auch wenn sie nicht nach dem Kontomandat gedeckt waren. Alle Beteiligten waren möglichst an einer gütlichen Lösung interessiert. Durchschnittlich wurde nachweislich die Hälfte der Schulden getilgt, vermutlich mehr. Von den schließlich gerichtlich angemahnten Schulden wurde nur ein Drittel komplett beglichen. Dass die Schulden bezahlt wurden, lag nicht nur an den rechtlichen Bedingungen, sondern am Zahlungswillen der Schuldner. Abschließend untersucht die Autorin exemplarisch den Lebensweg einiger Studenten, die unterdurchschnittlich Schulden zurückgezahlt haben, ohne dass dies ihrem weiteren Lebensweg schadete und konstatiert eine gewisse Toleranz gegenüber wirtschaftlichem Fehlverhalten junger Studenten.
Die Arbeit wird von einem zehnseitigen "Fazit" abgeschlossen, die einzelnen Kapitel immer wieder in "Zwischenfazits" resümiert. Knapp 40 Tabellen und Diagramme begleiten den Text, Anhänge verzeichnen sämtliche Gläubiger, Schuldner und Korrespondenten aus den Akten. Die Autorin hat eine umfangreiche und intensive Quellenarbeit geleistet, wenn auch eingeschränkt durch die Überlieferungslage und Schimmelbefall im Jenaer Universitätsarchiv (22). Der Zeitraum 1770-1830 ist jedoch zumal aufgrund eines Quellenschwerpunkts nach 1800 nicht geeignet, um zeitliche Entwicklungen zu zeigen. Das lag auch gar nicht in der Absicht der vorsichtig und abgewogen analysierenden Autorin. Die Stärke der Arbeit liegt nicht in zugespitzten Thesen, sondern in einer trotz vieler Zahlen gut lesbaren detaillierten Darstellung der Studienfinanzierung, des Umganges mit Geld an einer Universitätsstadt und der Strategien bei der Eintreibung von Studienschulden.
Stefan Brüdermann