Andrew Robarts: Migration and Disease in the Black Sea Region. Ottoman-Russian Relations in the Late Eighteenth and Early Nineteenth Centuries, London: Bloomsbury 2016, XII + 268 S., ISBN 978-1-4742-5949-1, GBP 85,00
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Bei dem hier zu besprechenden Buch handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung der Dissertationsschrift des Autors, mit der dieser 2011 an der Washingtoner Georgetown University promoviert wurde.[1] Es ist das Ergebnis ausführlicher Arbeit in türkischen, bulgarischen, russischen und ukrainischen Archiven. Andrew Robarts, der nach Anstellungen an der University of California - Riverside und der Central Connecticut State University seit 2014 nahöstliche, osmanische und russische Geschichte an der Rhode Island School of Design lehrt, kennt seine Thematik aber nicht nur von der theoretischen, sondern auch von der praktischen Seite: Vor seiner Promotion arbeitete er mehrere Jahre lang im Bereich Flüchtlings- und humanitäre Hilfe für das International Rescue Committee und für das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge.
Das Interesse für die "human dimension" (50) der Migration zeigt sich denn auch im methodischen Vorgehen des Werkes als "bottom-up"-Studie, die der Autor selbst im Bereich der Mikrogeschichte verortet (4). Sein Ansatz ist der einer vergleichenden Analyse osmanischer und russischer Migrationspolitik und Quarantänemaßnahmen, um - so das zentrale Anliegen des Buches - zu zeigen, dass das osmanisch-russische Verhältnis nicht nur von Antagonismus geprägt war, sondern angesichts des starken Anstiegs menschlicher Mobilität und der damit verbundenen Seuchengefahr auch Elemente der Zusammenarbeit auf imperialer, provinzieller und lokaler Ebenen aufwies (2-4). Räumlich und zeitlich wird die Studie schon im Titel klar eingegrenzt auf die Schwarzmeerregion des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, wobei hier allerdings stets nur der westliche Teil des Schwarzen Meeres gemeint ist, ohne dass dies explizit definiert wird. Neben dem schon angesprochenen unveröffentlichten Archivmaterial werden auch veröffentlichte Archivquellen und Reiseberichte herangezogen. Hier, wie auch bei der Verwendung der Sekundärliteratur, weicht der Autor nicht auf englischsprachige Publikationen aus, sondern bezieht auch in großem Umfang russische, bulgarische und türkische Forschung sowie einige deutsche und französische Quellen mit ein.
Gegliedert ist das Buch, abgesehen von der Einleitung, in sieben Kapitel, die in leserfreundlicher Weise durch Zwischenüberschriften unterteilt sind. Das erste Kapitel "The Black Sea Region in the Late Eighteenth and Early Nineteenth Centuries" führt zunächst anhand zeitgenössischer Reiseberichte in die untersuchte Region, ihre Bewohner, Geographie und Umweltfaktoren ein. Neben einem nützlichen Überblick über die wichtigsten ethnischen und religiösen Gruppen von Migranten wird auch der besondere Status der Donaufürstentümer als "middle ground" (19) zwischen den beiden Imperien hervorgehoben. Kapitel 2 ("A Trans-Danubian Waltz: Bulgarian Migration in the Ottoman-Russian Black Sea Region") liefert dann eine Fallstudie zu bulgarischer Emigration aus dem Osmanischen ins Russische Reich und anschließender umfangreicher Remigration in die umgekehrte Richtung. Dabei werden Methoden der Migrationstheorie verwendet, um Push- und Pull-Faktoren für die jeweiligen Wanderbewegungen herauszuarbeiten, und gezeigt, dass bulgarische Migration nicht nur zu Kriegszeiten und eben nicht nur in Richtung Russland erfolgte, sondern wesentlich komplexer war. Besonderer Fokus wird auf die transimperialen Verbindungen zwischen verschiedenen - mobilen wie nicht-mobilen - Migranten-Communities gelegt, die den Bemühungen territorialer Herrschaftsausübung beider Reiche meist erfolgreich widerstanden (54f.). Kapitel 3 und 4 ("At the Limits of Empire: Migration, Settlement, and Border Security in Russia's Imperial South" und "Reconstruction and Reconciliation: Migration and Settlement in the Early Nineteenth-Century Ottoman Balkans") widmen sich den russischen und den osmanischen Maßnahmen zur Förderung und Begrenzung von Migration sowie deren Erfolg und Misserfolg. Migrationsangelegenheiten werden hierbei als treibende Kraft für Reformen auf regionaler wie auch auf Reichsebene identifiziert, wenn etwa die osmanische Deklaration der unter Einbindung lokaler nicht-muslimischer Eliten zustande gekommenen Reformpläne zur Wiederbesiedlung Rumeliens nach dem Krieg von 1828/29 im Hinblick auf die Beziehung zwischen osmanischem Staat und nicht-muslimischen Untertanen als Vorläufer des Reformedikts von Gülhane von 1839 gewertet wird (102f.).
Die beiden nächsten Kapitel ("'Instruments of Despotism' (I): Quarantines, Travel Documentation, and Migration Management in the Ottoman Empire" und "'Instruments of Despotism' (II): Epidemic Disease, Quarantines, and Border Control in the Ottoman Empire") gehen dann verstärkt auf den zweiten Teil des Buchtitels, nämlich die Ausbreitung von Seuchen und deren Bekämpfung, ein. Ausführlich wird hierbei die Einrichtung eines Systems von Quarantänestationen auf russischer wie auch auf osmanischer Seite besprochen, wobei besonderer Wert auf die Herausarbeitung der Multifunktionalität dieser Einrichtungen als "all-purpose border posts" gelegt wird, "where trade goods were inspected, customs collected, currency exchanged, criminals and fugitives surveilled, intelligence gathered, and migrants and refugees registered and provided with travel documents" (105). Wichtig ist dem Autor auch hier, die individuelle Erfahrung von Reisenden und Migranten in den neuen Quarantänestationen der 1840er Jahre zu veranschaulichen (125, 157), weshalb er anhand zeitgenössischer Berichte ausführliche Darstellungen von Aufbau und Funktionsweise der Anlagen in Izmir (aufgrund der besseren Quellenlage stellvertretend für jene auf dem Balkan, 124-127) und Ismail (an der Südküste der heutigen Ukraine, 156-160) liefert. Etwas rätselhaft ist zunächst, dass im Abschnitt "Quarantines in the Ottoman Balkans" (Kapitel 5, 120-127) vor allem Istanbul und Izmir behandelt werden; es handelt sich hier vermutlich um eine Änderung auf Initiative des Verlags - in Robarts' Dissertationsschrift hieß die Überschrift noch "Quarantines in the Ottoman Empire".[2]
Das letzte Kapitel, "Imperial Confrontation or Regional Cooperation? Reconceptualizing Ottoman-Russian Relations in the Late Eighteenth and Early Nineteenth Centuries", geht schließlich explizit auf verschiedene Formen der Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen beiden Reichen ein, wobei die anfangs aufgeworfene These der Kooperation auf mehreren Ebenen durch zahlreiche Beispiele belegt wird. Etwas mager fällt dabei allerdings der Abschnitt über "Ottoman-Russian cooperation on quarantine construction" (176f.) aus, der weniger als eine Seite umfasst, obwohl er die einzigen Beispiele für seuchenbedingte Zusammenarbeit enthält.[3]
Das Buch behandelt sein Thema auf äußerst lesbare und informative Weise - erwähnt sei hier exemplarisch die nützliche Übersicht über die Entwicklung osmanischer Reisepapiere (130-136). Seine große Stärke liegt in der beeindruckenden Fülle von Archivquellen, die hier ausgewertet und der Forschung zugänglich gemacht wurden. Dem Autor gelingt damit die Umsetzung seines Anliegens, "the agency of migrants and refugees as drivers of historical change" darzulegen und den individuellen Erfahrungen der Migranten eine Stimme zu geben (180). Gleichzeitig liegt hier jedoch auch eine Schwäche, denn in der Vielzahl der Einzelschicksale verliert sich bisweilen der rote Faden, und nicht immer werden die zahlreichen Beobachtungen ausreichend klar mit den daraus gezogenen Schlüssen verknüpft. So werden zwar in Kapitel 5 und 6 harte Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Seuchen und katastrophale Zustände in überfüllten Quarantänelagern beschrieben, aber es bleibt unklar, ob dies der Grund für die Betitelung beider Kapitel als "Instruments of Despotism" war oder worauf sich der Ausdruck sonst bezieht - zumal die Wörter despotism oder despotic ansonsten im Buch auch nicht mehr vorkommen. Auch etwa, wo genau "nature and quality of subjecthood in the early modern Ottoman Empire" erforscht wurden, wie im Fazit zu Kapitel 5 behauptet (137), ist dem Rezensenten nicht ersichtlich. Schließlich wäre ein gründlicheres Lektorat durch den Verlag, insbesondere in den Endnoten, wünschenswert gewesen: Neben doch recht vielen Druckfehlern nicht nur in den türkischen Titeln und Eigennamen hätten auch etwa die Dopplungen in den Endnoten 7 (185) / 28 (188f.), 50/51 (192) und 129 (222) / 154 (224) auffallen müssen. Trotz dieser zu verschmerzenden Mängel stellt das Werk jedoch einen wichtigen und willkommenen Beitrag zur transnationalen bzw. transimperialen Geschichte der Schwarzmeerregion dar.
Anmerkungen:
[1] Andrew Robarts: A Plague on Both Houses? Population Movements and the Spread of Disease across the Ottoman-Russian Black Sea Frontier, 1768-1830s. Dissertation, Georgetown University, Washington 2010 (https://repository.library.georgetown.edu/handle/10822/558073, abgerufen am 25.10.2017)
[2] Robarts: A Plague on Both Houses, 209.
[3] An anderer Stelle im Kapitel werden verschiedene Wege osmanischer Informationsbeschaffung über russische Angelegenheiten im Hinblick auf Seuchen und Quarantänestationen erwähnt (170f.), jedoch kann dies kaum als Zusammenarbeit gewertet werden.
Caspar Hillebrand