Martin Bauch / Julia Burkhardt / Tomáš Gaudek u.a. (Hgg.): Heilige, Helden, Wüteriche. Herrschaftsstile der Luxemburger (1308-1437) (= Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii; 41), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2017, 449 S., 44 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-50164-8, EUR 55,00
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Der hier zu besprechende Sammelband präsentiert die schriftlichen Fassungen der Vorträge einer Konferenz der deutsch-tschechischen Akademie im Herbst 2013, die in Kooperation zwischen der "Heidelberger Akademie der Wissenschaften" und der "Gelehrten Gesellschaft in Prag" in Heidelberg veranstaltet wurde. Die Forschung zu den Luxemburgern konzentrierte sich in den letzten Jahrzehnten vor allem auf die beiden Kaiser Karl IV. und Sigismund, nur wenige Sammelbände widmeten sich mehreren Herrschern oder gar der gesamten Dynastie. [1] Ein ebensolches Bild bietet sich in der jüngeren Literatur über die Umsetzung der Herrschaft von Mitgliedern dieses Geschlechts. [2]
In ihrer programmatischen Einleitung argumentieren die HerausgeberInnen dafür, den Begriff des "Herrschaftsstils" in der Forschung zu etablieren, den sie als "ein variables Set personal geprägter Handlungs- und Verhaltensweisen eines Herrschers [...], das geeignet ist, das Image des Herrschers - sowohl performativ wie durch künstlerische Darstellungen vermittelt - in den Augen seiner Untertanen zu prägen und im günstigsten Fall herrschaftslegitimierend zu wirken" (27) definieren. Dieser neue Begriff sei notwendig, um sowohl beabsichtigte als auch nicht-intentionale Aspekte von Herrscherhandeln konzeptionell berücksichtigen zu können.
Neben den einleitenden Überlegungen der HerausgeberInnen wurde ein Aufsatz von Gerald Schwedler den thematisch geordneten Fallstudien vorangestellt, in dem eine Methode der vergleichenden Untersuchung mittelalterlicher Herrscher vorgestellt und mit der Arbeit kriminalistischer Profiler verglichen wird. Schwedler schlägt vor, Herrscherprofile auf der Grundlage einer Reihe von Kenngrößen (z.B. Itinerar, Anzahl der Treffen mit anderen Herrschern, Ausstoß der Kanzlei aber auch Mäzenatentum und Charakter der herrscherlichen Selbstdarstellung) zu erstellen um auf dieser Grundlage Vergleiche zwischen ihnen anstellen zu können.
Die Fallstudien wurden in vier thematische Abschnitte untergliedert: 1. "Intentionale Performanz im Rahmen von Ritual und Zeremonie", 2. "Reflektierte Politikgestaltung", 3. "Situatives Handeln, charakterliche Disposition und 'Image' des Herrschers" sowie 4. "Nutzung von Kunst und Architektur als Medium und Bühne". In diesen vier Sektionen loten 17 AutorInnen in ihren Studien die Möglichkeiten ihrer unterschiedlichen Forschungsfelder für die Frage nach den Herrschaftsstilen aus. Beschlossen wird der Band durch eine Zusammenfassung von Gerrit Jasper Schenk, in der er u. a. einige Vorschläge zur konzeptionellen Schärfung des Forschungsansatzes macht, den gesammelten Kurzbiographien der AutorInnen sowie einem Orts- und Personenregister.
In den Detailstudien ist insgesamt ein starker Schwerpunkt auf den letzten beiden Generationen der Luxemburger feststellbar. Jeweils drei Aufsätze beschäftigen sich mit Aspekten der Herrschaftsstile Karls IV. (Bauch, Žůrek, Petráková) sowie mit denen seiner Söhne Wenzel IV. (Hrdina/Kühne, Novotný, Panušková) und Sigismund (Kondor, Kaar, Engel); Julia Burkhardt erweitert den Kreis um zwei weibliche Nachkommen Sigismunds und dringt damit weit in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts vor. Nur ein Aufsatz widmet sich dagegen Johann dem Blinden (Abdullahi), keiner Heinrich VII. oder geistlichen Luxemburger Fürsten (z.B. Erzbischof Balduin v. Trier). Andererseits werden einige Herrschaftsstile von Personen thematisiert, die nicht der Dynastie der Luxemburger angehörten (Wółkiewicz, Csíkos, Wolfinger, Nĕmec). Insofern erscheint der Untertitel der dem Buch vorausgehenden Tagung, in dem von "Herrschaftsstilen im langen Jahrhundert der Luxemburger" die Rede war, treffender als der für den Band letztendlich gewählte. In der starken Berücksichtigung der späten Luxemburger spiegelt sich der oben umrissene Forschungstrend. Positiv hervorzuheben ist die Tatsache, dass Wenzel IV., einem in der Forschung der letzten Jahrzehnte fast völlig unbeachtet gebliebenem Herrscher, eine verhältnismäßig große Aufmerksamkeit geschenkt wird.
In den Detailstudien wird deutlich, dass es keine pauschale Antwort darauf geben kann, welche Quellengruppen besonders gut für die Erforschung von Herrschaftsstilen geeignet sind, sondern dass die spezifischen Stile verschiedener Herrscher ihren entsprechenden Niederschlag in sehr verschiedenen Quellen finden. So findet man etwa Hinweise auf den Zorn Sigismunds, mit dem er versuchte seine Verhandlungspartner und Untergebenen einzuschüchtern (Engel) vor allem in historiographischen Quellen, während Wenzels Stil der Kommunikation seines Herrschaftsanspruches und -verständnisses über die Illuminationen in Handschriften vor allem der Gegenstand kunsthistorischer Forschung ist (Panušková). Nicht allen AutorInnen gelingt es jedoch eine (weiterführende) Verbindung zwischen dem jeweiligen Spezialthema und dem Konzept des Herrschaftsstils herzustellen.
Die HerausgeberInnen schlagen vor, den Begriff des "Herrschaftsstils" sozusagen als terminus technicus in das Vokabular der historisch Forschenden aufzunehmen. Dieser Vorschlag könnte (und sollte) als Anstoß genutzt werden, darüber nachzudenken, wie dieser und verwandte Termini (z.B. Herrschaftspraxis, Herrschaftstechnik oder gar Verwaltung) voneinander abgegrenzt und unter Berücksichtigung der spätmittelalterlichen Verhältnisse inhaltlich gefüllt werden können. So wurde etwa der in der Forschung gern genutzte Begriff der Herrschaftspraxis von Ekkehard Müller Mertens in einer Studie zu den Ottonen aus dem Jahr 1980 eingeführt, seitdem aber in Studien zu allen Epochen des Mittelalters und darüber hinaus genutzt. [3] Müller-Mertens benutzte die Überlieferung von Herrscherurkunden, um das Verhältnis zwischen dem Aussteller, dem Empfänger und den Orten zu beleuchten, an denen die Urkunden ausgestellt wurden (und die der ständig reisende Herrscher demnach besucht haben musste). Gegen Ende des Mittelalters fanden in vielen gesellschaftlichen Bereichen Verdichtungsprozesse statt, z.B. sind eine langsam steigende Institutionalisierung der Verwaltung und der Beginn der Herausbildung von Flächenstaaten zu konstatieren. Außerdem begannen Residenzen, das Reisekönigtum schrittweise abzulösen. Eine Diskussion darüber, was "Herrschaftspraxis" unter den veränderten Verhältnissen des späten Mittelalters eigentlich bedeutet, ist bisher ausgeblieben. Derartige Unschärfen im oben angerissenen Begriffsfeld machen es für die HerausgeberInnen des hier zu besprechenden Bandes schwierig, ihren neuen Terminus angemessen zu definieren und inhaltlich abzugrenzen.
Mit dem Konzept des "Herrschaftsstils" wurde in vorliegendem Band jedoch ein wichtiger Impuls für die Forschung zu spätmittelalterlicher Herrschaft gegeben und in einigen Detailstudien konnte der neue Begriff bereits mit Gewinn eingesetzt werden. Es bleibt zu hoffen, dass das Potential der "Herrschaftsstile" von zukünftigen Studien weiter erkundet und die konzeptionelle Diskussion zu ihnen lebhaft fortgesetzt wird.
Anmerkungen:
[1] Vgl. zuletzt dynastieübergreifend: Sabine Penth / Peter Thorau (Hgg.): Rom 1312. Die Kaiserkrönung Heinrichs VII. und die Folgen. Die Luxemburger als Herrscherdynastie von gesamteuropäischer Bedeutung, Köln u.a. 2016.
[2] Vgl. z.B. Martin Bauch: Divina favente clemencia. Auserwählung, Frömmigkeit und Heilsvermittlung in der Herrschaftspraxis Kaiser Karls IV., Köln u.a. 2015; Karel Hruza / Alexandra Kaar (Hgg.): Kaiser Sigismund (1368 - 1437). Zur Herrschaftspraxis eines europäischen Monarchen, Köln u.a. 2012.
[3] Eckehard Müller-Mertens: Die Reichsstruktur im Spiegel der Herrschaftspraxis Ottos des Großen, Berlin 1980.
Christian Oertel