Karel Hruza / Alexandra Kaar (Hgg.): Kaiser Sigismund (1368-1437). Zur Herrschaftspraxis eines europäischen Monarchen (= Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii; 31), Wien: Böhlau 2012, 564 S., ISBN 978-3-205-78755-6, EUR 79,90
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Mit ganz wenigen Ausnahmen hat die Geschichtswissenschaft dem letzten Luxemburger auf dem Kaiserthron, dem ohne männlichen Nachkommen 1437 verstorbenen Sigismund, stets weit weniger Interesse entgegengebracht als seinem Vater Karl IV. († 1378). Erst vor rund einem Vierteljahrhundert ist der Inhaber von nicht weniger als vier Königskronen - der ungarischen seit 1387, der römisch-deutschen seit 1410/11, der böhmischen seit 1420 und der lombardischen seit 1431 - und damit Herrscher über einen "Reichsverband" von immenser Größe etwas intensiver in das Blickfeld der internationalen Forschung gerückt. Diese ist seitdem auch immer mehr aus einer isolierten länderspezifischen Betrachtungsweise herausgetreten, und seit wenigen Jahren arbeitet sie gemeinsam an einer systematischen Verbreiterung der Quellenbasis: Im Rahmen der Regesta Imperii, eines der bedeutendsten Quellenwerke zur deutschen und europäischen Geschichte des Mittelalters, haben sich seit 2004 in Wien österreichische, tschechische und ungarische Historikerinnen und Historiker zusammengefunden, um die Urkunden Sigismunds (ab dem Jahr 1410) zu bearbeiten und zu analysieren[1] - eine Aufgabe von enormem Umfang, umfasste doch die inzwischen längst veraltete Regestenausgabe von Wilhelm Altmann aus den Jahren 1896-1900 bereits über 12 000 Nummern, ohne dass sie im geringsten Vollständigkeit erreicht hätte.
Am Ende des ersten, vom österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung finanzierten Projektabschnitts stand im Dezember 2007 eine am Historischen Institut der Masaryk-Universität in Brünn (Brno) veranstaltete internationale Tagung, an der neben den Projektmitarbeitern im engeren Sinne auch weitere Wissenschaftler aus den beteiligten Ländern sowie aus Deutschland, der Schweiz und der Slowakei beteiligt waren. Sie diente zum einen der Vorlage der bis dahin erzielten Ergebnisse im Hinblick auf die Urkunden- und Briefproduktion Sigismunds, zum anderen aber auch deren Einbettung in umfassendere Themenkomplexe zu seiner Regierungszeit. Der Großteil der dort gehaltenen Referate wird in diesem Sammelband in ausgearbeiteter Form präsentiert, wobei rund die Hälfte der insgesamt 18 Beiträge dem Bereich der Geschäftsschriftgutforschung (Urkunden, Akten, Briefe) zugeordnet werden kann. Der 1. Teil des voluminösen Bandes ist mit "Aspekte des politischen Handelns und der Herrschaftspraxis Sigismunds" und der 3. mit "Rituale, Mentalitäten und Bilder" überschrieben.
Angesichts des riesigen Imperiums des Luxemburgers, das sich von Nord- und Ostsee bis ans Mittelmeer und an das Schwarze Meer erstreckte und damit fast schon den Vergleich mit dem späteren Habsburgerreich auf europäischem Boden erlaubt, erscheint es durchaus verständlich, dass nur einige der Aufsätze auf das östliche Mitteleuropa fokussiert sind. Dies gilt vornehmlich für den 2. Teil "Urkunden- und Briefproduktion Sigismunds", in dem drei Beiträge - von Márta Kondor, Daniela Dvořáková und Amalie Fössel - den Verhältnissen in Ungarn gewidmet sind, in zweien - von Alexandra Kaar sowie von Andreas Zajic und Petr Elbel gemeinsam - Privilegierungen in Böhmen und Mähren paradigmatisch dargestellt werden und in einem - von Martin Čapský - die Korrespondenz des Königs mit den schlesischen Fürsten und Ständen analysiert wird. Kennzeichnend für alle ist, dass vielfach bislang kaum bekanntes Quellenmaterial die Basis der Untersuchungen bildet und stets die Verbindungen und Bezüge zur Herrschafts- und Verwaltungspraxis herausgestellt werden. Selbstverständlich muss in einem Werk über Sigismund seine Auseinandersetzung mit dem Hussitismus einen gewichtigen Platz einnehmen. Der Altmeister der Geschichtsforschung zu Mähren Josef Válka greift in seinem Einführungsbeitrag die Frage "Wie eine Revolution beenden?" auf, vor die sich der böhmische König über zwei Jahrzehnte hinweg gestellt sah, und zeichnet seinen Weg vom "unversöhnlichen Feind [...] zum 'Politiker'" und damit zu einem "der bedeutendsten und interessantesten Herrscher dieser Periode" (54) nach. Robert Novotný beschäftigt sich mit der Konfessionalität des böhmischen und mährischen Adels und weist überzeugend die Brüchigkeit des traditionell gebrauchten Gegensatzpaares "hussitisch - katholisch" nach. Die feierlichen Einzüge Sigismunds in die böhmischen und mährischen Städte beleuchtet Tomáś Borovský und macht daran dessen langes Ringen um die Anerkennung als König deutlich.
Auch wenn der Ostmitteleuropahistoriker diesen Aufsätzen vielleicht ein besonderes Interesse entgegenbringen mag, so wird er doch auch in den anderen Beiträgen mit einigem Gewinn ähnlich innovative Fragestellungen finden und mancherlei Anregungen empfangen können. Sie alle zeigen, in welchem Maße die Beschäftigung mit dem Quellentyp "Urkunde" die unterschiedlichsten Bereiche der Geschichtswissenschaft bereichern und inspirieren kann.
Anmerkung:
[1] Inzwischen ist ein erster Teilband erschienen: Regesta Imperii XI: Regesten Kaiser Sigismunds (1410-1437). Nach Archiven und Bibliotheken geordnet. Band 1: Die Urkunden und Briefe aus den Archiven und Bibliotheken Mährens und Tschechisch-Schlesiens, bearb. von Petr Elbel, Wien u.a. 2012.
Winfried Irgang