Matthias Bengtson-Krallert: Die DDR und der internationale Terrorismus (= Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum-Verlag. Reihe: Politikwissenschaften; Bd. 69), Marburg: Tectum 2017, 412 S., ISBN 978-3-8288-3899-4, EUR 34,95
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Die Achse zwischen Ostblockstaaten (und hier insbesondere der DDR) und dem internationalen Terrorismus wird seit Mitte der 1970er Jahre thematisiert. Seit der "Wende" erfolgt dies zunehmend quellengestützt. [1] Nun hat Matthias Bengtson-Krallert 2017 eine Überblicksdarstellung vorgelegt. Sein hier zu besprechender Band konzentriert sich vor allem auf die politische und militärische Unterstützung palästinensischer und arabischer Terrorgruppen und -organisationen durch die DDR. Zurückgegriffen wird dabei auf archivarische Quellen - unter anderem aus dem Bundesarchiv, der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik sowie dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amts. Wirklich neue Erkenntnisse kann Bengtson-Krallert nicht vorlegen, aber seine Studie ist als detailreiches Kompendium zweifellos von Nutzen für die Forschung.
Für den Autor gibt es mehrere Gründe, weshalb die DDR Beziehungen zu terroristischen Akteuren unterhielt. War die DDR im "Bruderbündnis" des Warschauer Pakts ansonsten mit begrenztem Handlungsspielraum ausgestattet (65f.), so hatte sie im Nahen Osten relativ freie Hand (84). Gerade diese Region war ein wichtiger Nebenschauplatz des Kalten Krieges. Beide Seiten waren bemüht, ihre Einflusssphären auszubauen und Verbündete zu gewinnen. Wesentlicher Antrieb für die DDR selbst war der Wunsch nach Legitimation im Wettstreit mit der Bundesrepublik Deutschland um internationale Anerkennung. Der in der "Hallstein-Doktrin" festgelegte Alleinvertretungsanspruch Westdeutschlands sollte unterminiert werden - durch eine strikt pro-arabische Politik gegenüber dem pro-israelischen Kurs Bonns (97). Das zahlte sich aus: Zu Beginn der 1970er Jahre erfolgte die Anerkennung durch die Mehrzahl der arabischen Staaten (106).
Gegenüber der 1964 gegründeten Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) verhielt man sich zunächst zurückhaltend (90). Das änderte sich im Verlauf der 1970er Jahre: Es kam zur Einrichtung eines offiziellen Büros (1973) in Ost-Berlin, das 1982 zur Botschaft aufgewertet wurde. Die DDR lieferte zivile "Solidaritätsgüter" und stellte Lehrstellen sowie Studienplätze bereit (131-141). Insbesondere profitierte die PLO durch Kadertraining in Einrichtungen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) und der Nationalen Volksarmee (NVA) (150). Im Gegenzug fand ein regelmäßiger Nachrichten- und Informationsaustausch zum Krisenherd Naher Osten und zu den Aktivitäten westlicher Geheimdienste statt (147). Im Fokus stand aber auch die Sicherheit der DDR. Der PLO-Geheimdienst hatte zugesagt, "erforderliche Schritte einzuleiten und sich mit dem MfS auszutauschen, falls Palästinenser und andere Araber auf dem DDR-Territorium terroristische Handlungen planten" (151). Darüber hinaus lieferte die DDR in großem Umfang Waffen und Kriegsgerät. Beispielsweise kamen 1981 Maschinenpistolen und Munition im Wert von 22,8 Millionen Mark in den Besitz der PLO (322f.). Mit der DDR sollte die PLO schließlich "ihren treuesten und zuverlässigsten Bundesgenossen" verlieren: "Dies wurde dann auch mit der Schließung der palästinensischen Vertretung in Ostberlin am 3. Oktober 1990, dem Tag der Einigung, endgültig vollzogen" (359f.).
Aber die PLO war nicht der einzige Nutznießer. Gerade bei der Kaderausbildung agierte die DDR damals "konkurrenzlos" (213). Zwischen 1973 und 1989 wurden knapp 3000 ausländische Militärkader aus 20 Ländern und "Befreiungsorganisationen" von der NVA unterwiesen. Die Mehrzahl stammte aus dem arabischen Raum (233). Dass sich unter den Auszubildenden auch Angehörige von Terrorgruppen befanden, zeigte sich im Falle der Abu-Nidel-Organisation (ANO). 1984/85 erhielten ANO-Mitglieder eine militärische Grund- und Spezialausbildung - und das nur wenige Monate vor den Anschlägen der ANO in Rom und Wien Ende 1985 (257). Die DDR agierte hier freilich nicht alleine: Die UdSSR lieferte in einem Ausmaß Waffen in den Nahen Osten, dass man von einem "sowjetischen Bewaffnungsmonopol" sprechen kann. Außerdem wurden Ausbildungsmaßnahmen durch den KGB gewährt, die ebenso Terroristen zugutekamen (199).
Das ambivalente Verhältnis war zu einem Gutteil Sicherheitsbestrebungen geschuldet. Man wollte die terroristische Bedrohung von der DDR um jeden Preis fernhalten. Zu diesem Zweck wurde Mitte der 1970er Jahre im MfS die "Terrorabwehr" installiert: "Ihrem Namen widersprechend, erweckte die Terrorabwehr in der Folgezeit jedoch eher den Eindruck, mit den palästinensischen und arabischen Terroristen zu kooperieren und zu paktieren." (365f.) Die "antiimperialistischen" und gegen den Westen gerichteten Gruppen wurden im Kontext des Kalten Krieges als Verbündete betrachtet. So wie in anderen Ostblockstaaten auch, war man in der DDR darauf bedacht, sich mit ihnen gutzustellen: "Auf diese Weise sollte ein Abdriften dieser Kräfte in das Lager des Gegners vermieden werden. Demgemäß wurden diese Terroristen zwar überwacht, deren Ein- und Ausreise jedoch geduldet. So sollte terroristischen Anschlägen auf dem eigenen Territorium entgegengewirkt werden." (160)
Wenn mögliche Anschläge das westliche Lager betrafen, wurde dagegen nichts unternommen. So wurde der Carlos-Gruppe 1983 bereits beschlagnahmter Sprengstoff wieder ausgehändigt, obwohl das MfS über das spätere Anschlagsziel, das Maison de France in West-Berlin, Bescheid wusste (282). Auch im Falle der Bombenexplosion in der West-Berliner Diskothek "La Belle" im April 1986 [2] war das MfS durch einen Informellen Mitarbeiter innerhalb der verantwortlichen libyschen Gruppe über die Vorbereitungen im Bilde (296). Es ist ferner gut möglich, dass der Zeitzünder der Bombe, die im Dezember 1988 in einem amerikanischen Passagierflugzeug über der schottischen Stadt Lockerbie explodierte, über die DDR in die Hände der Täter gelangt ist (304f.). Und schließlich wurde es der ANO nicht nur möglich, eigene Waffendeals im Internationalen Handelszentrum abzuwickeln, sondern das MfS war selbst in Waffen- und Munitionsgeschäfte mit der Gruppe verstrickt (340-345).
Was das Kalkül dahinter angeht, so sei die DDR-Führung von einer "destabilisierenden Wirkung des für Imperialismus und Kapitalismus stehenden westlichen Lagers" ausgegangen, vermutet Bengtson-Krallert (367). Die Waffenlieferungen, die Ausbildungskurse und die stillschweigende Duldung von Terrorismus gegen westliche Ziele stehen für den Autor nicht zuletzt in eklatantem Widerspruch zum offiziellen Bekenntnis der DDR zur Terrorismusbekämpfung: "Wer solche Form der Unterstützung gewährt, trägt Mitverantwortung für den Einsatz von Waffen und ebenso für die Taten der palästinensischen und arabischen Terroristen, welche die DDR im In- und Ausland ausbildete oder zumindest auf ostdeutschem Territorium gewähren ließ." (372) Das Buch Die DDR und der internationale Terrorismus bietet eine fundierte und gut lesbare Zusammenfassung des Themas. Ein mitunter leicht subjektiver Unterton tut dem keinen Abbruch.
Anmerkungen:
[1] Zuletzt hat Lutz Maeke eine umfassende Studie vorgelegt: DDR und PLO. Die Palästinapolitik des SED-Staates, Berlin / Boston 2017. Daniela Richterova lieferte neue Erkenntnisse zur Duldung von Terrorgruppen in der Tschechoslowakei: The anxious host. Czechoslovakia and Carlos the Jackal 1978-1986, in: The International History Review 40 (2018), 108-132. Die polnische Perspektive beleuchtete Przemysław Gasztold-Seń: Between Geopolitics and National Security. Polish Intelligence and International Terrorism during the Cold War, in: Need to Know. Eastern and Western Perspectives, ed. by Władys ław Bułhak / Thomas Wegener Friis Odense 2014, 137-162.
[2] Vgl. dazu Tim Szatkowski: Die Libyenpolitik der Regierung Kohl/Genscher bis zum Attentat auf die Diskothek "La Belle" (1982-1986), in: Historisch-Politische Mitteilungen 24 (2017), 109-149.
Thomas Riegler