Andreas Förster: Zielobjekt Rechts. Wie die Stasi die westdeutsche Neonaziszene unterwanderte, Berlin: Ch. Links Verlag 2018, 264 S., ISBN 978-3-86153-987-2, EUR 18,00
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Einen guten Überblick über die vielfältigen Aktivitäten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR in Bezug auf die westdeutsche Neonaziszene bietet der hier zu besprechende Band. Wie der Journalist Andreas Förster darlegt, hatte das MfS dort nicht nur mehr als 70 Informanten, es fanden auch führende Rechtsextremisten in der DDR Unterschlupf. Gleich drei Unterabteilungen der 1975 gegründeten Hauptabteilung XXII des MfS waren für rechtsextreme und konservative Gruppen zuständig. Nun sind diese Vorgänge bereits Thema von wissenschaftlichen und journalistischen Publikationen gewesen. [1] Förster ist zugute zu halten, dass seine Monografie die Aktenlage in der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) gut lesbar bündelt. Am Beginn stehen eine Überblickgeschichte des westdeutschen Rechtsextremismus und der relevanten MfS-Abteilungen. Danach bringt der Autor Fallbeispiele - überwiegend von MfS-Informanten. Einschränkend hält er fest, dass es sich aufgrund der "Fülle noch existierender Akten" nur um einen "Ausriss des tatsächlichen Umfangs der Stasi-Aufklärung in der westdeutschen rechtsextremen Szene" handle. (15)
Aus den erschlossenen Unterlagen ergeben sich auch Hinweise auf ähnliche Bestrebungen seitens des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) und anderer westlicher Nachrichtendienste. Das MfS sei diesbezüglich zur Einschätzung gelangt, "dass der Verfassungsschutz zwar eine große Anzahl von einflussreichen V-Leuten führte [É], die Behörden aber dennoch nur zaghaft gegen rechtsextreme Organisationen vorgingen." Für Förster handelt es sich hierbei um ein "bis heute andauerndes Paradoxon". (232)
Wenn es gleich eingangs um das Motiv geht, so streicht Förster heraus, dass das MfS primär auf "Informationsgewinnung" aus war - "um geplante Anschläge und sogenannte Demonstrationstaten gegen die DDR, die innerdeutsche Grenze und DDR-Politiker zu verhindern". Darüber hinaus habe das MfS Sympathisanten der westdeutschen Rechten in der DDR vorbeugend erfassen wollen. Von "untergeordneter Bedeutung" sei es gewesen, Erkenntnisse propagandistisch auszuschlachten. Alternative Erklärungsansätze, die gerade in letzterem Aspekt den Hauptantrieb des MfS ausmachen, sieht Förster durch die Quellen "nicht gedeckt" - ebenso wenig wie eine angebliche Instrumentalisierung westlicher Neonazis zur terroristischen Destabilisierung der Bundesrepublik. (12)
1988 waren "die meisten der damals rund 200 wichtigsten Führungskräfte und einflussreichen Einzelpersonen der Szene erfasst". (36f.) Zu den Aufklärungsschwerpunkten zählten auch Formationen wie die 1983 gegründeten Republikaner (REP). Insbesondere deren prononciert antikommunistischer Westberliner Landesverband wurde als Gefahr angesehen. Aus der Telefonüberwachung erlangte das MfS Hinweise auf Kontakte der REP-Führung zu einem namentlich nicht bekannt gewordenen BfV-Mitarbeiter. (48) Noch kurioser waren solche Überschneidungen im Falle des CDU-Politikers Heinrich Lummer. Anfang der 1980er-Jahre überwachte der Staatsschutz der Westberliner Polizei Personen aus dem Umfeld Lummers sowie dessen Autotelefon - "und wurde dabei wiederum von den Stasi-Lauschern abgehört". (62)
Ins Visier des MfS geriet weiterhin der "erste Reichsbürger der Bundesrepublik", Wolfgang Ebel. Der ehemalige Fahrdienstleiter der von der DDR betriebenen S-Bahn in West-Berlin hatte nicht nur 1980 als Streikführer auf sich aufmerksam gemacht, sondern auch weil er Personalausweise, Reisepässe, Führerscheine und weitere Dokumente seines selbsterklärten "Deutschen Reiches" vertrieb. So wurde er zum Vorläufer der Reichsbürgerbewegung, die sich mittlerweile zu einer gefährlichen Strömung des Rechtsradikalismus entwickelt hat.
Einen Informanten hatte das MfS in den türkischen Grauen Wölfen in West-Berlin. Ab Mitte der 1980er-Jahre erstattete der Mann mit dem Decknamen "Sultan" bei monatlichen Treffen Bericht - unter anderem zu einer Terrorzelle, die sich in Ulm gebildet habe. Solche V-Leute waren überwiegend Selbstanbieter aus finanziellen Beweggründen. Ein besonderer Fall war der IMB (Inoffizielle Mitarbeiter-Akte B) "Manne Meister": Er bekam für seine "Szenebeobachtung" nicht nur 10.000 D-Mark. Seine Betreuer spendierten ihm eine Dauerkarte für die Tribüne des Jahn-Sportparks, wo er den Spielen des BFC Dynamo beiwohnen konnte. Tragisch dagegen endete die Spitzelkarriere eines Maurerlehrlings, den man 1981 wegen seiner Mitgliedschaft bei der Wiking-Jugend rekrutiert hatte. Als sich der junge Mann kurze Zeit später aus der Szene löste und sich bedroht fühlte, blieb man untätig. Zwei Monate später wurde er erhängt aufgefunden, laut Untersuchung war es Selbstmord. Bemerkenswert ist auch das Beispiel des in der DDR geborenen Arnulf Priem, gegen den das MfS den eigenen Vater als Informanten einsetzte.
Bekannt sind die Kontakte des MfS zu flüchtigen Rechtsterroristen wie Udo Albrecht und Odfried Hepp. Obwohl beide in Anschläge verwickelt waren und führende Köpfe der Allianz zwischen palästinensischen Gruppen und westdeutschen Neonazis waren, gewährte das MfS Zuflucht und erlaubte die Ausreise in den Nahen Osten - nicht ohne beide vorher gründlich "abzuschöpfen".
Bislang kaum bekannt sind Erkenntnisse des MfS zu Heinz Lembke, der Dutzende Waffendepots im Süsinger Forst bei Uelzen angelegt hatte. Lembke, so wird spekuliert, sei in Wirklichkeit Mitglied einer vom Bundesnachrichtendienst (BND) gesteuerten "Stay Behind Organisation" (SBO) gewesen. Doch laut der MfS-Akte, die Förster zitiert, hatte Lembke Waffen und Sprengmittel von einem unbekannten Bundeswehrangehörigen erhalten, "der für die Vernichtung von alten Waffen und überlagerter Munition verantwortlich war". (189)
Und schließlich präsentiert Förster einen MfS-Bericht, der nahelegt, dass die Schlüsselfigur des westdeutschen Neonazismus, Michael Kühnen, bereits während seiner Haft mit dem BfV in Verbindung stand. Belege dafür gibt es nicht.
Letzterer Aspekt verdeutlicht, dass das MfS ein problematischer Kronzeuge ist und die überlieferten Erkenntnisse mit Vorbehalt betrachtet werden müssen. Förster plädiert daher abschließend für eine "vergleichende Analyse der in Ost und West damals vorliegenden Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden". (233) Sein nüchtern-sachlich gehaltenes Buch ist jedenfalls ein guter Ausgangspunkt für weitere Forschung.
Anmerkung:
[1] Vgl. u. a. Yury Winterberg / Jan Peter: Der Rebell. Odfried Hepp. Neonazi, Terrorist, Aussteiger, Bergisch Gladbach 2004; Michaela Koller-Seizmair: Die Interessen und Aktivitäten der DDR-Staatssicherheit in Südtirol, in: Zeitschrift für Politik 53 (2006), 454-472; Tobias von Heymann: Die Oktoberfest-Bombe. München, 26. September 1980 - die Tat eines Einzelnen oder ein Terror-Anschlag mit politischem Hintergrund? Berlin 2008; Thomas Riegler: "Wir setzen uns rein und mischen da richtig mit". Die DDR-Staatssicherheit und der Südtirolkonflikt, in: zeitgeschichte 40 (2013), 166-180; Samuel Salzborn: Die Stasi und der westdeutsche Rechtsterrorismus. Drei Fallstudien (Teil I), in: Deutschland Archiv, 15.4.2016, Link: www.bpb.de/224836; (Teil II), in: Deutschland Archiv, 19.4.2016, Link: www.bpb.de/224934
Thomas Riegler