Richard A. Moss: Nixon's Back Channel to Moscow. Confidential Diplomacy and Détente (= Studies in Conflict, Diplomacy, and Peace), University Press of Kentucky 2017, XVIII + 396 S., 20 s/w-Abb., ISBN 978-0-8131-6787-9, USD 45,00
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Durch dieses Buch muss man sich durchbeißen. Schwarzbrot, wie es so schön heißt. Es handelt vom "Back Channel" zwischen Henry Kissinger und Anatoly Dobrynin, dem geheimen Kanal also, den der Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten und der sowjetische Botschafter in Washington seit 1969 nutzten, um das Verhältnis der beiden Weltmächte politisch zu entkrampfen und militärisch berechenbarer zu machen. Jedes Protokoll, jede Gesprächsnotiz und jeder mündliche Rapport über die Treffen wird bilanziert, auf Dissonanzen, Fortschritte und Rückschläge geprüft, jede Vor- und Nachbereitung im Weißen Haus akribisch vermerkt - Jahr für Jahr, Monat für Monat, Tag für Tag, bisweilen findet sich gar der Hinweis "a minute later". Dass derlei ermüdet und weniger deutlich mehr gewesen wäre, liegt auf der Hand - auch, dass nur Spezialisten oder unheilbar Neugierige bis zum Ende durchhalten. Dennoch sei vor einer Kapitulation gewarnt. Die Lektüre nährt den geistigen Kräftehaushalt für Debatten über Zeitgeschichte im Allgemeinen und die Beziehungen zwischen Großmächten im Besonderen. Schwarzbrot eben.
Selbstverständlich ist vieles bekannt. Wie sollte es bei der mittlerweile unüberschaubaren Literatur auch anders sein? Oder angesichts des von Henry Kissinger betriebenen Aufwandes, die Nachwelt mit mehr oder weniger nützlichen Informationen so lange zuzuschütten, bis am Ende kaum noch jemand weiß, wo oben und unten ist? Sich hauptsächlich auf einen Gegenstand und eine Quellengattung zu konzentrieren, schärft den Blick für das Wesentliche, Detailversessenheit und Exkursionen ins Unterholz hin oder her. Dass in erster Linie der Diskussions- und Entscheidungsprozess in Washington rekonstruiert wird, ist zweifellos zu bedauern. Aber so lange die russische Archivpolitik sich nicht ändert, bleibt das Klagen über darstellerische Asymmetrien jenen vorbehalten, die zwanghaft immer irgendein Haar in der Suppe finden müssen. Dessen ungeachtet kann man aus dem hier arrangierten Material zahlreiche griffige Thesen destillieren, die einer dahinplätschernden Diskussion über Diplomatie im Kalten Krieg etwas Esprit einhauchen.
Erstens wird deutlich, wie sehr die vermeintlichen Neuerer Nixon und Kissinger in den Denkmustern des Kalten Krieges gefangen waren. Das Misstrauen gegenüber der UdSSR und der Volksrepublik China saß porentief, ständig ist von "feindlichen Mächten" die Rede, denen man noch im hintersten Winkel der Erde Paroli bieten müsse. Washingtons Haltung im (dritten) indisch-pakistanischen Krieg 1971 illustriert, welcher Preis für diese Fixierung gezahlt wurde: Unfähig oder unwillig, sich ein Bild von der komplexen Konfliktlage zu machen, taumelte die Administration Nixon durch das Geschehen und ermunterte Indira Gandhi geradezu zu einer Liaison mit Moskau. Der Lerneffekt in den USA tendierte gegen null. Umso mehr redete man einer verknöcherten Grundrechenrechenart namens "Nullsummenspiel" das Wort, der zufolge eine Seite immer nur auf Kosten der anderen Gewinne einstreichen kann. In anderen Worten: Wer als Weltmacht nicht vom Recht des Stärkeren Gebrauch macht, hat bereits abgedankt.
Zweitens sind die substantiellen Unterschiede zwischen amerikanischer Detente und bundesdeutscher Entspannungspolitik unter Willy Brandt nicht hoch genug zu veranschlagen. Zugespitzt, aber nicht überspitzt ließe sich sagen: Für Nixon und Kissinger war Detente ein zusätzliches Besteck im Instrumentenkasten des Kalten Krieges, auf das man je nach Bedarf zurückgreifen oder verzichten konnte - je nachdem, ob es der Restauration amerikanischer Hegemonie nutzte oder schadete. Willy Brandt hingegen sah in Entspannungspolitik und Vertrauensbildung einen Wert an sich, unverzichtbar, um den Kalten Krieg zunächst zu entgiften und in der langfristigen Perspektive zu überwinden. Dass die hohen Herren in Washington intern über ihn lästerten, was das Zeug hielt, hatte sich schnell herumgesprochen; dennoch erstaunt die allfällige Gossensprache immer wieder aufs Neue, spiegelt sie doch das Gegenteil des von Henry Kissinger gepflegten Selbstbildes. Kleine Karos nämlich und gallige Missgunst obendrein.
Drittens bietet dieses Buch Beispiele zuhauf, um hinter die beliebte Rede von Nixons und Kissingers strategischer Weitsicht gleich mehrere Fragezeichen zu setzen. Gleichgewicht der Mächte? Im Kern eine blumige Ummantelung des Defizits, dass es schlicht kein belastbares Konzept für Kooperation, Arbeitsteilung und eine Neujustierung von Macht gab. Öffnung nach China? Unstrittig ein überraschender Zug, der aber zu gleichen Teilen Mao Zedong zugeschrieben werden muss. Kontrolle der strategischen Rüstung mittels des SALT-Abkommens? Obwohl ein Beitrag zur politischen Klimaverbesserung, fehlte die Einbettung in eine strategische Sicherheitsarchitektur - abgesehen davon, dass Nixon und Kissinger jederzeit bereit waren, diesen Vertrag gegen geopolitische Gewinne an anderer Stelle einzutauschen. Und schließlich Vietnam, Vietnam, immer wieder Vietnam. Einer Obsession gleich, schwebte dieses Thema über allen Debatten, verzehrte Energien und häckselte jede außenpolitische Idee so lange klein, bis am Ende nur das ewige Mantra übrigblieb: Eine Niederlage in Vietnam dürfe es nicht geben, weil sich die USA davon nie wieder erholen würden. Punkt. Neue Stärke demonstrieren, entschlusskräftig auftreten und mit Durchhaltewillen beeindrucken, darauf kam es an - auch wenn ein nicht zu gewinnender Krieg um Jahre verlängert wurde und nochmals Hunderttausende für das Image einer Weltmacht ihr Leben hergeben mussten. Schnörkelloser als Richard Moss kann man die um Nixon und Kissinger drapierten Illusionen nicht eindampfen.
Viertens gingen die entscheidenden Impulse für eine Revision der weltpolitischen Agenda seit den späten 1960er Jahren von der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt aus. Erst als Bonn 1970 die Verträge mit Moskau und Warschau unterschrieben und ein Viermächteabkommen über Berlin angeregt hatte, kam Bewegung in die amerikanische Politik, erst seit dem Frühjahr 1971 intensivierte Kissinger den Austausch mit Dobrynin. Was immer den Ausschlag gegeben haben mag, den Motor der Entspannungspolitik hielten die Regierung Brandt und Gleichgesinnte in West- und Osteuropa in Gang, die Bremser saßen in Washington. An dieser Konstellation sollte sich trotz diverser Machtwechsel bis in die zweite Hälfte der 1980er Jahre nichts ändern. Auch deshalb nicht, weil amerikanische Politiker ihre Karrieren immer dann beschleunigen konnten, wenn sie eine auf Annäherung und Ausgleich bedachte Politik als Zeichen der Schwäche geißelten. Oder wahlweise als europäische Krankheit.
Fünftens trug die "Geheimdiplomatie" zwischen Kissinger und Dobrynin erheblich zur Delegitimierung und Krise der Detente bei. Die oppositionellen "hardliner", denen jegliches Arrangement mit Moskau, Peking oder anderen kommunistisch geführten Staaten gegen den Strich ging, hatten leichtes Spiel, weil sie jederzeit mit anders gelagerten, aber dennoch plausiblen Vorwürfen punkten konnten: Übermäßige Machtkonzentration im Weißen Haus, Übergehung des Außenministeriums und des Kongresses, mangelhafte Unterrichtung der Öffentlichkeit. In der Tat: Exakt diese Motive hatten den neu gewählten Präsidenten 1969 zur Einrichtung des "Back Channel" bewogen. Und damit hatte sich Nixon selbst eine Falle gestellt. Ob in Moskau deshalb von Dialektik die Rede war, ist bei Moss nicht überliefert.
Die Diskussion ist eröffnet - was will und kann ein Autor mehr wollen, zumal mit einem Buch, das den Lesern alles abverlangt?
Bernd Greiner