Rezension über:

Reinhart Strecke: Schinkel oder Die Ökonomie des Ästhetischen, Berlin: Lukas Verlag 2017, 112 S., 23 s/w-Abb., ISBN 978-3-86732-295-9, EUR 20,00
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Rezension von:
Christof Baier
Institut für Kunstgeschichte, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf
Redaktionelle Betreuung:
Hubertus Kohle
Empfohlene Zitierweise:
Christof Baier: Rezension von: Reinhart Strecke: Schinkel oder Die Ökonomie des Ästhetischen, Berlin: Lukas Verlag 2017, in: sehepunkte 18 (2018), Nr. 10 [15.10.2018], URL: https://www.sehepunkte.de
/2018/10/30613.html


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Reinhart Strecke: Schinkel oder Die Ökonomie des Ästhetischen

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Karl Friedrich Schinkel gehört nicht zu den Architekten, über die zu wenig geforscht und zu wenig geschrieben wurde. Allein in den letzten zehn Jahren erschienen dutzende Monografien und Aufsätze, die im Zusammenhang von Ausstellungen, Forschungsprojekten oder Qualifikationsarbeiten entstanden sind. Als Schöpfer beeindruckender und einflussreicher Bauten im Zentrum der Hauptstadt ebenso wie an vielen Orten des damaligen Königreichs Preußen; aber auch als Maler und Kunst- bzw. Architekturtheoretiker war Schinkel für Architekten und Kunsthistoriker eigentlich seit Franz Kugler durchgehend von hohem, vor dem zeitgenössischen Interessenhorizont stets neu justiertem Interesse.

Von besonderer Anziehungskraft ist dabei immer wieder der Künstler-Architekt Schinkel. Schon Franz Kugler schrieb 1842, Schinkel sei "vor allem Künstler", sei "vom Geist der Schönheit" durchdrungen [1]; Alfred von Wolzogen hob 1864 hervor, Schinkel sei "nicht blos Architekt, sondern auch ein hervorragender Maler, ja sogar ein Kunstphilosoph" gewesen. [2] Jüngst zeigte beispielsweise Jörg Trempler, wie ertragreich noch heute der Blick auf "Schinkels Motive" sein kann. [3]

Vor dem Hintergrund des Reichtums an Schriften zu Schinkel ist es umso erstaunlicher, dass es Reinhart Strecke in seinen über Jahrzehnte betriebenen Forschungen gelungen ist, das Bild Schinkels um eine wesentliche Facette zu bereichern. Denn Schinkel war nicht nur malender, kunsttheoretisch versierter, philosophisch orientierter, poetisch veranlagter und pädagogisch interessierter Architekt. Er war auch Mitglied und später Leiter der Oberbaudeputation, der obersten preußischen Baubehörde seiner Zeit - Schinkel war Beamter. Diesem seit Paul Ortwin Rave aus dem Interessenshorizont vieler Kunst- und Architekturhistoriker verschwundenen zentralen Aspekt des Werks Schinkels hat Strecke wieder zu seinem Recht verholfen.

Reinhart Strecke hat schon in seinen ersten Forschungs- und Publikationsprojekten, etwa der 2000 gezeigten Ausstellung "Mathematisches Calcul und Sinn für Ästhetik" und dem namensgleichen Katalog versucht, den Baubeamten Schinkel von jenem grauen Schleier zu befreien, den der verwaltungskritische Blick der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts über jede Form des Beamtentums gelegt hatte. Streckes Habilitationsschrift "Anfänge und Innovation der preußischen Bauverwaltung. Von David Gilly zu Karl Friedrich Schinkel" (2000) sowie sein 2010 vorgelegtes Werk "Schinkels Akten. Ein Inventar" sind heute Standardwerke der Schinkel-Forschung aber auch der Beschäftigung mit der Baukunst des 18. und 19. Jahrhunderts. In zahlreichen Einzeluntersuchungen hat Strecke das Bild Schinkels im Sinne seiner Schwerpunktsetzung Schritt um Schritt bereichert. Er hat gezeigt, wie unverzichtbar auch bei einem scheinbar so vollständig erforschten Architekten wie Schinkel der Blick in die reichlich überlieferten Akten sowohl der einzelnen Bauprojekte als auch des Verwaltungsalltags ist. Den "archivalischen Mehrwert" beweisen auch die in dem vorliegenden Band versammelten Texte. [4]

Eva Börsch Supan hat in ihrer Rezension zu diesem Band einen zentralen Aspekt des Beitrags von Reinhart Strecke zur Schinkelforschung markiert. Sie kritisiert, Strecke habe mit Schinkels humorvoller Gelegenheitszeichnung für Beuth und dem "in jahrelanger Anstrengung aus innerstem Antrieb geschaffenen Werk wie 'Griechenlands Blüte'" Werke miteinander verglichen, die man "nicht auf eine Ebene stellen" könne. Und diese Ebene, so kann man vervollständigen, ist selbstverständlich die der kunsttheoretisch-philosophischen, malerischen Durchdringung eines komplexen Stoffes durch den Künstler Schinkel - denn aus "innerstem Antrieb" kann man ja nicht verbeamteter Staatsdiener sein - oder?

Aber genau dieser Vergleich, dieses Gleichsetzen der künstlerisch-ästhetischen, malerischen Fixierung eines Ideals mit dem lebensweltlichen, auf aktiver Zeitgenossenschaft beruhenden, auch bildungs- und wirtschaftspolitischen Engagement ist der Punkt, den Strecke macht. Es geht ihm darum, Schinkel als Künstler und als aktiv in die politischen, institutionellen und eben auch bauverwaltungstechnischen Prämissen seiner Zeit eingebundenen Menschen zu betrachten. Hier von Ebenen zu sprechen - die eine hoch und in ihrer künstlerischen Freiheit wertvoll, die andere niedrig, nur an die Mühen des zwangsauferlegten Alltags gebunden - dies reproduziert eine kunsthistorische Blickverengung, die das Ganze nicht erfassen kann. Denn Schinkel war nicht nur Architekt des Königs, also Hofarchitekt in neuzeitlicher Tradition, sondern er war auch preußischer Baubeamter, Mitglied einer kritisch die Entwicklungen der Zeit zwischen Reform und Revolution reflektierenden und aktiv mitgestaltenden Reformbeamtenschaft.

Es ist vor ihrer so skizzierten Bedeutung außerordentlich zu begrüßen, dass nun mit dem hier besprochenen schmalen Band die verstreut publizierten Forschungen Streckes zu Schinkel gesammelt, neu synthetisiert und um Wesentliches ergänzt vorliegt. Strecke stellt seine Ausweitung des forschenden Blicks auf Schinkel an verschiedenen Bauprojekten und Themenfeldern vor, etwa dem von Schinkel so hartnäckig verfolgten Projekt für eine Königliche Bibliothek im Zentrum Berlins, welches in dem aktenkundigen Engagement Schinkels weitreichende Rückschlüsse zulässt. Zentral setzt Strecke die Prämisse "Ökonomiebau statt Prachtbau: das öffentliche Bauwesen", welche zu einer "Architektur ganz ohne Pathos" führte, zu neuen Konzepten für die ästhetische Aufwertung des Ökonomiebaus. Schließlich nimmt Strecke unter seinem spezifischen Fokus auch Schinkels "Kupfergrabenlandschaft" mit dem städtebaulichen Arrangement funktional und formal so unterschiedlicher Bauten unter die Lupe. Diese Auswahl, oder besser, das was fehlt bzw. nur am Rande besprochen wird, wie etwa die Friedrichwerdersche Kirche, das Schauspielhaus, das Schloss Charlottenhof oder das Alte Museum, markieren eine bewusste, zielgerichtete Konzentration des Interesses, ohne das damit eine Beschränkung der Anwendbarkeit der hier angelegten Untersuchungskriterien angezeigt ist.

Streckes Studien zeichnet eine kritische Verortung Schinkels und seines Werks vor einem in voller Breite und Tiefe reflektierten zeithistorischen Horizont aus. Dadurch kommen neben ästhetischen und kunsttheoretischen Fragestellungen vornehmlich politische, wirtschaftstheoretische und soziale Aspekte zu ihrem Recht. Wer also den ganzen Schinkel kennenlernen, wer erfahren will, wie Bauen und Stadtplanen im frühen 19. Jahrhundert in den komplexen Netzwerken ihrer Ideen-, Auftrag- und Formgeber stattfand, der lese dieses sehr anregende Buch.

Dass die Forschungen von Reinhart Strecke auch einen Weg zu einer noch zu schreibenden umfassenden Architekturgeschichte Brandenburg-Preußens im 18. Jahrhundert weisen, die danach fragt, welche Prämissen den allerorts noch anzutreffenden Bauten der vielen, bis heute kaum angemessen erforschten Baumeister im Schatten der Knobelsdorffs, Gillys und Schinkels zugrunde lagen, sei abschließend nur am Rande erwähnt.


Anmerkungen:

[1] Franz Kugler: Karl Friedrich Schinkel: eine Charakteristik seiner künstlerischen Wirksamkeit, Berlin 1842, IVf.

[2] Alfred von Wolzogen: Schinkel als Architekt, Maler und Kunstphilosoph, Berlin 1864, 16.

[3] Jörg Trempler: Schinkels Motive. Mit einem einleitenden Essay von Kurt W. Forster, Berlin 2007.

[4] Reinhart Strecke: Der archivalische Mehrwert. Archivkunde als kunst- und architekturhistorische Hilfswissenschaft, in: ders. (Hg.): Inventar zur Geschichte der preußischen Bauverwaltung 1723-1848, Berlin 2005, Bd. 2, VIII-XXVIII.

Christof Baier