Indravati Félicité: Das Königreich Frankreich und die norddeutschen Hansestädte und Herzogtümer (1650-1730). Diplomatie zwischen ungleichen Partnern (= Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte. Neue Folge; Bd. LXV), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2017, 439 S., ISBN 978-3-412-50918-7, EUR 60,00
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Die vorliegende Monographie, eine überarbeitete und ins Deutsche übersetzte Fassung der an der Pariser Sorbonne entstandenen Dissertation der Verfasserin aus dem Jahr 2012, behandelt einen Untersuchungsgegenstand, der in mehrerer Hinsicht vielversprechend erscheint: Zum einen wird mit den Beziehungen zwischen Frankreich und den Reichsständen der eher kaiserfernen norddeutschen Region ein Themenfeld analysiert, das bislang nicht hinreichend, geschweige denn systematisch erforscht worden ist. Zum anderen leistet die Arbeit einen konkreten Beitrag zu den in neuerer Zeit verstärkt untersuchten Handlungsspielräumen mindermächtiger politischer Gemeinweisen im Rahmen von asymmetrischen Beziehungen zu mächtigeren Akteuren.
Im Zentrum stehen die Beziehungen der drei Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck sowie der Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Schleswig-Holstein-Gottorf zur Krone Frankreich. Den zeitlichen Schwerpunkt bildet hierbei die Regierungszeit Ludwigs XIV. von Frankreich, wobei die Darstellung punktuell auch darüber hinaus geht.
Im ersten Teil der Arbeit ("Sein und politisches Überleben als Triebfeder der Diplomatie") wird in vergleichsweise konventioneller Weise die Geschichte der bilateralen Beziehungen zwischen Frankreich und den genannten norddeutschen Reichsständen geschildert. Der zweite Teil der Untersuchung ("Über das Verhandeln: Entscheidungsfindung, Zugang zu Informationen und Kommunikation") widmet sich hingegen verstärkt Fragestellungen und Erkenntnisinteressen der jüngeren Diplomatiegeschichtsschreibung. Es geht hierbei weniger um eine im engeren Sinne ereignisgeschichtlich-chronologisch angelegte Beziehungsgeschichte im Stil der älteren Historiographie als vielmehr um strukturelle Betrachtungen, die um das Wesen frühneuzeitlicher Politik und Diplomatie kreisen. Ins Zentrum rücken insbesondere die politischen und diplomatischen Akteure, ferner Formen und Probleme der Kommunikation sowie Fragen der wechselseitigen Wahrnehmung.
Insgesamt gesehen ist es der Verfasserin gelungen, den Forschungsstand zu den französisch-norddeutschen Beziehungen - auch und gerade durch die Heranziehung ungedruckter Quellen - beträchtlich zu erweitern. Es ist nunmehr deutlicher erkennbar, welchen Stellenwert die norddeutschen Mindermächtigen im französischen Kalkül hatten, welche Strategien sie verfolgten, um ihr eigenes politisches Überleben in einer ausgesprochen kriegsintensiven Zeit zu sichern, und inwiefern sie überhaupt als politisch-diplomatische Akteure im europäischen Mächtesystem anerkannt wurden. Plausibel und gut belegt ist der präsentierte Gesamtbefund: "Die französische Regierung betrachtete die Städte und Fürstentümer des Nordens lediglich als Vermittler, nie als zentrale Akteure im diplomatischen Spiel. [...] Den untersuchten Ständen gelang es dank der Verhandlungen mit dem Ausland, ihr Überleben zu sichern: Sie verfügten so über eine gewisse Macht und vor allem über internationale Präsenz, wurden mithin wahrgenommen." (391) Eine zentrale Rolle kam in diesem Kontext dem Kaiser zu, dem traditionellen Garanten und Protektor der Mindermächtigen.
Leider werden die wertvollen inhaltlichen Befunde, die durch nützliche Anhänge fundiert werden, durch einige Nachlässigkeiten bzw. Unklarheiten formaler, methodischer und inhaltlicher Art etwas beeinträchtigt. Zunächst einmal ist zu konstatieren, dass der Aufbau der Arbeit dem Leser einiges abverlangt. Der ständige Wechsel der drei Perspektiven (Hansestädte, Schleswig-Holstein-Gottorf und Mecklenburg-Schwerin) führt zu häufigen thematischen und chronologischen Sprüngen, die eine schnelle Orientierung bisweilen erschweren.
In formaler Hinsicht fallen Schwächen bei der korrekten bibliographischen Aufnahme der Literatur auf. Dies betrifft zum Beispiel in den Fußnoten die korrekte Aufnahme von Schriftenreihen (vgl. etwa 15 Anm. 5), Tippfehler, falsche Autorennamen (Achenbach statt korrekt: Auerbach), falsche bzw. uneinheitliche Schreibweisen (Rijswijk und Rijswijck). Kurioserweise werden die genannten Dinge im Quellen- und Literaturverzeichnis oftmals korrekt dargestellt.
Darüber hinaus fallen auch einige inhaltliche Defizite ins Gewicht. Einige Beispiele für diesen Sachverhalt seien hier zur Verdeutlichung angeführt: So wurde der Devolutionskrieg Ludwigs XIV. von 1667 nicht gegen das Heilige Römische Reich geführt (287). Der ausführlich behandelte französisch-hansische Schifffahrtsvertrag datiert von 1655 und nicht, wie im Text teilweise zu lesen ist (78), von 1665. Frankreich war nicht "Mitglied" des Reichstags (20), der Kaiser war nicht der "Souverän des Reiches" (297) und er fungierte bei Konflikten zwischen Untertanen nicht als "Schiedsrichter", sondern er agierte in derartigen Fällen primär in seiner Funktion als oberster Gerichtsherr (265f). Ob und inwiefern diese Unschärfen eventuell durch die Übersetzung ins Deutsche entstanden sind, konnte nicht überprüft werden. So drängt sich beispielsweise der Eindruck auf, dass eigentlich Stände bzw. Reichsstände gemeint sind, wenn der Begriff "Staaten" verwendet wird; andererseits ist bisweilen auch von "deutschen Staaten und Ständen" (360) die Rede.
Aus Sicht des Rezensenten wäre es besonders weiterführend gewesen, wenn die Verfasserin die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und die Tatsache, dass ihr Untersuchungsgegenstand den traditionell eher kaiserfernen Norden des Reiches in den Blickpunkt rückt, in systematischer Weise analysiert hätte: Lässt die Gestaltung der Beziehungen Frankreichs zu den Reichsständen der norddeutschen Peripherie, die in der direkten Einflusszone protestantischer Mächte (Dänemark, Schweden und Brandenburg-Preußen) lag, andere Handlungsmuster und -strategien erkennen als die Beziehungen Versailles' zu den Reichsständen des eher kaisernahen Süden und Südwesten des Reiches? Hier besteht zweifelsohne noch Bedarf an weiterführenden Forschungen.
Insgesamt gesehen ist dem wertschätzenden Werbetext auf der Rückseite des Buches voll und ganz zuzustimmen: Die Ergebnisse der Arbeit "erweitern unsere Kenntnisse sowohl von konkreten Gesandtschaften und Verhandlungen als auch von Kultur und Methoden der frühmodernen Diplomatie." Beeinträchtigt wird dieser auch hier noch einmal hervorzuhebende erfreuliche Befund allerdings durch eine Reihe von vermeidbaren Unachtsamkeiten, die einen etwas ungünstigen Eindruck hinterlassen, den das Thema und der eigentlich positive Gehalt der Arbeit eigentlich gar nicht verdient haben.
Michael Rohrschneider