Gabriel Byng: Church Building and Society in the Later Middle Ages (= Cambridge Studies in Medieval Life and Thought. Fourth Series; 107), Cambridge: Cambridge University Press 2017, XII + 324 S., 31 s/w-Abb., 19 Tbl., ISBN 978-1-107-15709-5, GBP 75,00
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In der mittelalterlichen Gesellschaft kam Kirchen eine zentrale Rolle zu, die weitaus mehr umfasste, als bloß Raum für religiöse Versammlungen zu bieten. Die örtliche Bevölkerung identifizierte sich mit 'ihrer' Kirche, die das gesamte Leben begleitete - von der Taufe des Neugeborenen bis zum Seelenamt und der Trauerfeier für den Verstorbenen. Nicht zuletzt repräsentierten Kirchen auch das Selbstverständnis eines Ortes, einer Stadt. Die Größe des Bauwerks, die Höhe seines Turmes wurden nicht selten als Spiegelbild sowohl von Wohlstand als auch von Frömmigkeit der Dorf- bzw. Stadtbewohner gesehen. Auch die Anzahl an Sermones In dedicatione ecclesiae, die sich in Predigtsammlungen des Mittelalters finden, zeugt davon, welche Bedeutung eine Kirche für die örtlichen Gemeinschaften hatte.
Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Bedeutung des vorgelegten Bandes, der sich auf das spätmittelalterliche England konzentriert und in dem sich Gabriel Byng folgende Ziele gesetzt hat: "defining the financial, political and social boundaries of the parish when it comes to church construction" (9). Sein Vorhaben hat der Verfasser in sechs Abschnitte unterteilt, die eingerahmt werden von einer Einleitung (1-50), die u. a. einen Forschungsüberblick bietet und den historischen Kontext insbesondere in wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Hinsicht skizziert, sowie einer abschließenden Zusammenfassung (278-281), deren Kürze auf den ersten Blick verwundern mag. Bei genauerer Betrachtung wird man aber zu dem Schluss kommen, dass es dem Autor gelingt, alle Fäden zusammenzuführen und eine prägnante Gesamtschau seiner Untersuchung zu bieten. Dies gelingt auch deshalb, weil jedes Kapitel der Studie mit einer eigenen kurzen Einleitung und einer ebensolchen Zusammenfassung versehen ist. Einem ökonomisch gesinnten Leser wird damit die Lektüre auch nur ausgewählter Kapitel ermöglicht, ohne dass Inhalte aus anderen Partien des Bandes für das Gesamtverständnis erforderlich wären.
Die Abfolge der sechs Kapitel orientiert sich am Bau einer Pfarrkirche - von der zentralen Frage der Finanzierung über die Suche nach geeignetem Material und sachkundigen Arbeitern bis zur Organisation während des Baubetriebs. So richtet der Autor seinen Blick zunächst (51-109) auf den Pfarrsprengel und fragt, "who in the parish paid and through which mechanisms" (51). Dank überlieferter Berichte von Kirchenvorstehern kann er zeigen, dass die Kirchen in kleineren Orten auf sehr unterschiedliche Weise finanziert wurden. Alles hing - wenig überraschend - von der Finanzkraft seiner Bewohner ab. In Thame (Oxfordshire) etwa konnte mehr als die Hälfte der Kosten durch Sammlungen zusammengetragen werden, während für das Bauvorhaben in All Hallows (London Wall) der Großteil des Geldes geliehen werden musste (57f.).
Welche Rolle demgegenüber Adel und Klerus bei der Finanzierung spielten, wird im zweiten Kapitel (110-135) beleuchtet. Selbstverständlich hatte der ansässige Adel gerade dort einen großen Anteil an der (Wieder-)Errichtung von Seitenschiffen, Kapellen und Türmen, gelegentlich auch ganzer Kirchen, wo sich Gräber der Familie befanden. Repräsentative Angaben über geleistete Zahlungen können indes nicht gemacht werden: "none of these sources can show what proportion of the cost they paid for" (134).
Wurde der Bau sodann begonnen, übernahmen verschiedene Personen und Gruppen die Organisation und Überwachung des Baugeschehens. Im dritten Kapitel (136-173) werden zunächst die Kirchenvorsteher ('churchwardens') vorgestellt, die mit ihren Aufzeichnungen bisweilen sehr anschauliche Quellen hinterlassen haben. So kann der Autor nicht nur nachweisen, wie oft, in welchen Abständen und in welcher Höhe die Handwerker für ihre Dienste entlohnt wurden, sondern auch die vielfältigen Aufgaben der churchwardens aufzeigen: Sie mussten Verträge schließen, auf Reisen gehen, um Material und Handwerker zu besorgen oder sich weiterhin um finanzielle Zuschüsse bemühen (141).
Wie im nächsten Kapitel (174-213) gezeigt wird, wurden diese Aufgaben vor allem an größeren Baustellen mitunter von einem Bauausschuss oder Vertragsausschuss verantwortet. Sofern überliefert, sind Verträge die auskunftsfreudigsten Quellen. Dass der Autor aber dadurch fast nur Beispiele aus dem 15. und 16. Jahrhundert anführen kann, hat einen einfachen Grund: "particularly before the highly specialised parish administration of the long fifteenth century, it was perhaps less common to find written contracts, contracting committees and fabric wardens - evidence for this is, of course, difficult to come by" (212).
Dies gilt in gewissem Maße auch für die Verträge und Aufzeichnungen, die im fünften Kapitel (214-245) ausgewertet werden, um Bauvorhaben in den Blick zu nehmen, die von Familien, Großgrundbesitzern, dem Adel oder Institutionen (v. a. Kathedralkapitel oder Colleges in Oxford und Cambridge) geleitet wurden (214). Sehr anschaulich wird hier das Miteinander von "community and local leadership, tenants and lords, church and laity" (214) geschildert, das nicht selten zu Konflikten führte (242-244). Wer aber auch immer den Kirchenbau initiiert hatte - während des Bauprozesses stellten sich die gleichen Herausforderungen, denen der Autor das letzte Kapitel gewidmet hat. Unter der Überschrift "Approaches to building work" (246-277) zeigt er auf, wie wichtig u.a. die Einhaltung des Zeit- (262-264) und Finanzplans (264-268) war.
Es gelingt Gabriel Byng, den eingangs zitierten, selbst formulierten Zielen vollauf gerecht zu werden. Sein Band rezipiert und diskutiert nicht nur die bisherige Forschung zum Thema, sondern besticht auch durch eine große Materialfülle. Auch wenn bisweilen der Eindruck entsteht, dass dem Buchtitel "and the Reformation Era" hätte beigefügt werden können, so ist dies dem vorhandenen Quellenmaterial geschuldet. Wesentlich entscheidender ist doch, dass eine Fülle an Handschriften zu Rate gezogen wurde - die meisten aufbewahrt in den National Archives in Kew.
Christoph Galle