Linda G. Jones / Adrienne Dupont-Hamy (eds.): Christian, Jewish, and Muslim Preaching in the Mediterranean and Europe. Identities and Interfaith Encounters (= Sermo: Studies on Patristic, Medieval, and Reformation Sermons and Preaching; Vol. 15), Turnhout: Brepols 2019, X + 337 S., 9 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-58271-9, EUR 90,00
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Das Mittelmeer war seit jeher ein Raum, in dem neben dem Austausch von Waren und Gütern immer auch ein besonders intensiver und vielfältiger Kontakt zwischen Kulturen und Religionen stattfand. Nicht ohne Grund hat daher Fernand Braudel schon weit vor dem 'spatial turn' in den Geisteswissenschaften sein Hauptwerk dem Mittelmeer gewidmet. [1] Ähnlich gelagert dürften vor einigen Jahren die Beweggründe von Michael Borgolte und Nikolas Jaspert gewesen sein, sich in einer Tagung des Konstanzer Arbeitskreises mit jenen Kommunikationsräumen auseinanderzusetzen, die durch Meere eröffnet wurden. Dass in diesem Zusammenhang das Mittelmeer, insbesondere verglichen mit dem Nord- und Ostseeraum, einen wesentlich häufigeren, zudem intensiveren und vielfältigeren Kontakt zwischen verschiedenen Religionen ermöglichte bzw. forderte, mag sicher für das gesamte Mittelalter zutreffend sein. [2] In beiden Fällen geht es daher um die Kommunikation miteinander. Im anzuzeigenden Band hingegen steht die Kommunikation übereinander im Zentrum, insbesondere die Kommunikation über die aufgrund ihrer religiösen oder kulturellen Zugehörigkeit Anderen oder Fremden.
Die versammelten Beiträge, die auf einen Workshop zurückgehen, der an der Universität Pompeu Fabra in Barcelona stattfand, machen sich zur Aufgabe, die unterschiedlichen argumentativen Strategien herauszuarbeiten, die bei der Rede über andere religiöse oder kulturelle Hintergründe angewandt wurden, und zu untersuchen, welche Vorurteile, Ängste oder Stereotype in diesem Zusammenhang eine Rolle spielten. Damit ist das Grundvorhaben in mancherlei Hinsicht von großer Aktualität, auch wenn sich die versammelten Beiträge auf verschiedene Beispiele beziehen, die im Wesentlichen dem Spätmittelalter entnommen sind. Sie eint, dass es sich in allen Fällen um Fallstudien zur Predigtforschung im weitesten Sinne handelt und nicht etwa allein um Beiträge zur Predigt in verschiedenen Räumen und religiösen Kontexten, wie der Titel fälschlich suggerieren könnte.
Die Untersuchung der vielfältigen Interaktion zwischen verschiedenen Gesellschaften im Mittelmeerraum und in Europa erfolgt "from the perspectives of identities, cultures, and representations, with a special focus on how preaching informs religious and gendered identities and alterity" (IX). Die mittelalterliche Predigt im weitesten Sinne stellt dafür den Rahmen dar. Daraus resultiert beispielsweise, dass sich Nirit Ben-Aryeh Debby (251-272) nicht nur auf die Kreuzzugspredigten des italienischen Franziskanerobservanten Johannes von Capestrano (1386-1456) konzentriert, sondern auch dessen ikonographische Darstellung berücksichtigt. Der Beitrag von Linda G. Jones konzentriert sich nicht primär auf Predigten, fügt sich aber dennoch ein, da er sich mit den Wunderberichten eines ägyptischen Sufisten beschäftigt, der ein berühmter Prediger im Kairo des 12. Jahrhunderts war (273-299). Ähnliches gilt für die Fallstudie von Cándida Ferrero Hernández (301-319): obwohl ein Vergleich verschiedener Berichte angestellt wird, die von einer Disputation zwischen einem Bettelordensmönch (Pedro de Alcántara) und einem Morisken (Abdalá Oropesa) handeln, wird die Predigtthematik insofern berührt, als die Berichte aus Gründen der interreligiösen Mission sowie als Werkzeuge der Polemik Verbreitung fanden und ihnen damit eine ähnliche Funktion wie vielen Predigten zukam.
Dass die Mehrheit der Beiträge aber quellenmäßig durchaus auf Predigten fußt, lässt kein Ungleichgewicht entstehen, sondern erfolgt vor dem Hintergrund der Thematik und des Erkenntnisziels, nicht zuletzt auch aufgrund der bisherigen Forschung, völlig zurecht. Schließlich haben David d'Avray [3] oder Charles Connell [4] gezeigt, dass die Predigt ein Medium der Massenkommunikation darstellte, das in der Lage war, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und Polemik gegen Andersgläubige zu verbreiten, und dass dies gleichermaßen für die christliche wie die jüdische oder muslimische Predigt galt. Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass aufgrund der intensiven Kontakte zwischen Christen und Muslimen völlig zurecht die Hälfte der zwölf Beiträge der iberischen Halbinsel gewidmet ist. In diesem Zusammenhang werden in chronologischer Reihenfolge zunächst Spuren von Isidors 'Contra Judaeos' in Predigten des ausgehenden 12. Jahrhunderts (unter besonderer Berücksichtigung Martins von Léon, gest. 1203) gesucht (Amélie de las Heras, 147-174). Es folgt eine erhellende Analyse eines Textes, die im Werk des katalanischen Geschichtsschreibers als säkulare politische Rede König Jakobs I. von Aragon (1208-1276) gedeutet wird, in den Memoiren des Königs hingegen als eine Predigt, die nicht nur öffentlichkeitswirksam seinen tiefen Glauben verdeutlichen sollte, sondern auch im Rahmen der Kreuzzugspropaganda zum Einsatz kam (Xavier Renedo Puig, 227-249). Auch die anderen Beiträge erschließen homiletisches oder oratorisches Schriftgut, das bislang nur unzureichend erforscht wurde. Neben der erwähnten Studie von Ferrero Hernández sind dies die Untersuchungen von Oriol Catalán (123-146), Carolina M. Losada (175-194) und Olivier Brisville-Fertin (69-91). Während Catalán bislang noch unedierte Predigten zweier katalanischer Franziskanerprediger des 14. Jahrhunderts erschließt, analysiert Losada die antijüdische Rhetorik in den Predigten, die Vincenz Ferrer vor iberischem Publikum hielt, kurz nachdem der Anteil der jüdischen Bevölkerung nach den Pogromen von 1391 drastisch dezimiert worden war. Brisville-Fertin nimmt demgegenüber die muslimische Predigttradition auf der iberischen Halbinsel in den Blick, die ihren Anfang im Mittelalter nahm, aber weit in die Frühe Neuzeit hineinreichte.
Dass die andere Hälfte der Beiträge den Blick von der iberischen Halbinsel weg und auf unterschiedliche geographische Räume richtet, stellt in keiner Weise einen Bruch dar, sondern bedeutet einen Mehrwert für den Band, da es so möglich wird, die außergewöhnliche Situation auf der iberischen Halbinsel entsprechend einzuordnen. Neben den Beiträgen von Ben-Aryeh Debby und Jones ist dies zunächst die überaus detaillierte Analyse einer Predigt, die der Kardinalbischof von Tusculum, Eudes de Châteauroux, vor einer Gemeinschaft von Nonnen in Orvieto hielt (Jussi Hanska und Sari Katajala-Peltomaa, 25-49); sodann eine Untersuchung der Bußpredigten des Franziskaners Hugo von Digne (gest. 1256; Damien Ruiz, 51-67), gefolgt von homiletischen Beispielen von Rabbi Isaak Nathan von Nantes, einem Prediger, der großen Einfluss in den jüdischen Gemeinschaften in der Provence und Nordspanien hatte (Ram Ben-Shalom, 195-223). Dass sich zudem auch eine Fallstudie auf dänische und schwedische Musterpredigten konzentriert, mag im Vergleich zur geographischen Verortung der übrigen Beiträge zunächst überraschen (Jonathan Adams, 93-119), doch ist sie gerade deswegen von großem Gewinn für das Anliegen des Bandes, weil die Bedeutung der Predigt für die Konstruktion von Identität und Alterität hier besonders deutlich wird. Schließlich gab es in Skandinavien prinzipiell keine Juden oder Muslime, trotzdem bediente man sich der gleichen Stereotype und trug damit in Abgrenzung und im Gefühl der Überlegenheit zur Entstehung einer einheitlichen lateinisch-christlichen, kulturellen Identität bei (113).
In ihrer Multiperspektivität, die sowohl unterschiedliche historische Kontexte und Bedingungen wie auch verschiedene geographische Räume, zudem mehrere Religionen unter Einbeziehung verschiedener Quellengattungen berücksichtigt, stellen die versammelten Fallstudien einen wertvollen Beitrag zur Erforschung des mittelalterlichen Predigtwesens dar. Durch die umfangreichen Quellen- und Literaturverzeichnisse, die auf jeden Beitrag folgen, ist zudem eine gute Grundlage für weitergehende Forschungen gelegt. So würde sich ein noch detaillierterer Vergleich zwischen den christlichen, jüdischen und muslimischen Predigttraditionen und -praktiken des Mittelalters anbieten. Genauso dürfte es von großem Gewinn sein, andere Regionen zu berücksichtigen oder den Blick gerade in Richtung Früh- und Hochmittelalter auszuweiten. Die Vielfalt der Quellengattungen, auf die dafür zurückgegriffen werden kann, und der methodischen Ansätze, die gewählt werden können, verdeutlicht der vorliegende Band eindrücklich.
Anmerkungen:
[1] Fernand Braudel: La méditerranée et le monde méditerranéen à l'époque de Philippe II, Paris 1949.
[2] Michael Borgolte / Nikolas Jaspert (Hgg.): Maritimes Mittelalter. Meere als Kommunikationsräume (= Vorträge und Forschungen; 83), Ostfildern 2016.
[3] David d'Avray: Method in the Study of Medieval Sermons, in: Nicole Bériou / David d'Avray (Hgg.): Modern Questions about Medieval Sermons: Essays on Marriage, Death, History and Sanctity, Spoleto 1990, 3-29.
[4] Charles W. Connell: Popular Opinion in the Middle Ages. Channeling Public Ideas and Attitudes, Berlin 2016.
Christoph Galle