Sabina Brevaglieri / Matthias Schnettger (Hgg.): Transferprozesse zwischen dem Alten Reich und Italien im 17. Jahrhundert. Wissenskonfiguration - Akteure - Netzwerke (= Mainzer Historische Kulturwissenschaften; Bd. 29), Bielefeld: transcript 2018, 341 S., 21 s/w-Abb., ISBN 978-3-8376-3293-4, EUR 39,99
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Wie Wissen generiert wurde, in welchen Kreisen es sich entfaltete und durch welche Akteure es sich dies- und jenseits der Alpen verbreitete, sind zentrale Fragen dieses Bandes. Die gesammelten Beiträge thematisieren nicht nur Transferprozesse von Wissen, sie sind selbst Ergebnis eines interkulturellen Austausches: Der Sammelband ging aus einer interdisziplinären und internationalen Arbeitsgruppe hervor, welche sich an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz etablierte. Einige Beiträge des Buches wurden schon im Rahmen der Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit im Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands in München im Jahr 2013 vorgestellt.
Die zeitlichen und geografischen Konturen der Transferprozesse des Wissens sowie der Stand der Forschung werden in der Einleitung von Sabina Brevaglieri und Matthias Schnettger skizziert. Interessant ist, dass trotz der konfessionellen Spannungen am Anfang des Dreißigjährigen Krieges und der schwierigen politischen Situation ein kontinuierlicher Kulturaustausch und Wissenstransfer zwischen Nord- und Südeuropa stattfand. Als von zentraler Bedeutung wird nicht nur die Vermittlung von Wissen, sondern auch seine Vermehrung und seine Anpassung an einen neuen Kontext gesehen, denn alle diese Transferprozesse werden für beide Seiten als Bereicherung verstanden.
Der Sammelband ist in drei Abschnitte gegliedert. Der erste Teil des Bandes ist den "Arten des Wissenserwerbs" gewidmet. Sebastian Becker rekonstruiert die Zirkulation von technischem Wissen zwischen Italien und dem Heiligen Römischen Reich. Dieser Transfer erfolgte zum einen durch die Verbreitung von Büchern, Stichen, Zeichnungen und Modellen, zum anderen durch Reisen und Migration von Spezialisten und Handwerkern. Die Mobilität dieser Einzelpersonen und kleiner Gruppen konnte bis dato nicht systematisch untersucht werden, da besonders außerhalb des höfischen Kontextes nur wenige Quellen vorhanden sind. Becker versucht die Spuren dieser "Experten" zu finden und sie anhand verschiedener Beispiele darzustellen. Er greift etwa das Patentgesetz der Republik Venedig heraus, gemäß dem den Spezialisten, die in den Territorien der Serenissima noch unbekannte, aber anderswo bereits verbreitete Technologien einführten, das entsprechende Monopol zur wirtschaftlichen Nutzung eingeräumt werden sollte.
Die besondere Rolle von Künstlern und Musikern, die am Hof tätig waren, für den kulturellen Transfer ist der Forschung längst bekannt, sollte aber weiter kritisch hinterfragt werden. So stellt Klaus Pietschmann die vielseitige Persönlichkeit des römischen Kastraten Giovanni Andrea Angelini Bontempi vor, welcher während seiner Tätigkeit am Dresdener Hof auch sein Können als Komponist, Bühnenarchitekt, Historiograph und Theoretiker zeigte. Seine Il Paride (1662) gilt als die erste italienische Oper für einen protestantischen Hof und ist ein hervorragendes Beispiel eines Gattungstransfers: Die zentralen stilistischen Elemente der venezianischen Oper werden dezidiert übernommen und gleichzeitig angepasst, um sie dem Dresdener Publikum besser vermitteln zu können. Pietschmann betont, dass mit dieser Oper nicht nur der Transfer von Wissen erfolgte, sondern auch die Anpassung und Implementierung einer musiktheatralischen Praxis.
Eine äußerst interessante Persönlichkeit wird von Rubén González Cuerva vorgestellt: Pater Dominicus a Jesu Maria, ein spanischer Karmeliter, wurde 1620 mit päpstlicher Legitimation ins Heilige Römische Reich entsandt und verkehrte an den Höfen von München und Wien. Hier wurde er Vertrauter und Ratgeber beider Monarchen und erhielt breite Unterstützung bei der Gründung von Klöstern der unbeschuhten Karmeliten. Die Tatsache, dass Pater Dominicus schon zu Lebzeiten "lebender Heiliger" genannt wurde, führte nicht nur zum Erfolg seiner Predigten, sondern auch zu einem Kulturaustausch zwischen Nord- und Süd-Europa bzw. zwischen dem spanisch-italienischen und dem deutschen Katholizismus.
Der zweite Teil des Bandes widmet sich dem Wissenstransfer dies- und jenseits der Alpen durch bedeutende Persönlichkeiten. Cecilia Mazzetti di Pietralata stellt einen Teil des von ihr koordinierten Forschungsprojekts über die Sammlungstätigkeit der römischen Familien Savelli und Orsini vor. Die Brüder Paolo und Federico Savelli erlauben eine interessante Fallstudie zum Transfer von Informationen und Wissen, aber auch von Gütern zwischen dem Papsttum und dem habsburgischen Kaisertum: Als Militärs und Diplomaten bekleideten beide verschiedene Ämter und machten rasch Karriere, welche den Aufbau eines engmaschigen Netzwerks von Beziehungen und Informationskanälen förderte. Anhand der bis dato unbekannten schriftlichen Hinterlassenschaft von Federico Savelli rekonstruiert Mazzetti di Pietralata dieses Netzwerk, sodass sowohl der modus operandi als auch die Strategien der Familienrepräsentation dieser vielschichtigen Persönlichkeit gezeigt werden konnten.
Die Bedeutung eines ausgedehnten Netzwerks für den transalpinen Transferprozess wird auch in dem Beitrag von Matthias Schnettger thematisiert, der sich Kardinal Ernst Adalbert von Harrach und den zwei Kaiserinnen Eleonora Gonzaga die Ältere, Gemahlin Ferdinands II., und ihrer Großnichte Eleonora Gonzaga-Nevers, der dritten Frau Ferdinands III., widmet. In allen drei Fällen wirkten die Protagonisten als "Wissensbroker": Der Begriff wird von Schnettger in Anlehnung an den Terminus "Patronagebroker" [1] verwendet und möchte damit den privilegierten gesellschaftlichen Stand sowohl der beiden Gonzagas als auch des Kardinals bezeichnen und deren Zugang zu unterschiedlichen Ressourcen andeuten. Wie der Autor anmerkt, liege die wichtige Voraussetzung für diese Wissensvermittlung in der vorzüglichen Ausbildung und in den kulturellen und künstlerischen Interessen dieser Akteure, welche besonders im Bereich von Musik, Theater und Literatur wirkten.
Ein besonderer Einblick in die Geschichte und Politik sowohl des Reiches als auch der römischen Kurie wird durch den Nuntiaturbericht von Carlo Carafa gewährt und in dem Aufsatz von Guido Braun zusammengefasst. Carafa, welcher sich in den 1620er Jahren am Kaiserhof befand, berichtete in seiner Relazione nicht nur über seine politische Mission, sondern auch über die Menschen und das Land in dieser Frühphase des Dreißigjährigen Krieges. Ein Teil dieser Relazione wurde in das Buch Commentaria de Germania sacra restaurata (erste Ausgabe 1630) aufgenommen und erlangte so eine gesteigerte Reichweite.
Die letzten beiden Aufsätze des Bandes erscheinen im Kapitel "Archive des Wissens und Erinnerung". Damit wird Büchern und Archiven die Funktion als Objekt für die Vermittlung von Wissen und Werten durch Zeit und Raum zugeschrieben.
Der Beitrag von Sabina Brevaglieri stellt Transferprozesse zwischen evangelischem und katholischem Europa vor, die anhand unkonventioneller Medien erfolgten. Als Beispiel wird ein afrikanisches Chamäleon genannt, welches die Aufmerksamkeit der Res Publica Literaria sowohl als lebendes Wesen als auch als präpariertes Tier erlangte. So wurde die Beschreibung des Chamäleons gemeinsam mit einigen anatomischen Skizzen zum Thema in der Korrespondenz zwischen Franz Nidermeyr, Leibarzt des Landgrafen von Hessen-Darmstadt, und Johannes Faber, Medicus im Kreis des Papstes.
Saniye Al-Baghdadi untersucht die Konstruktion einer politischen und kulturellen Identität der Dynastie Savoyen im 16. und 17. Jahrhundert, deren Ergebnisse durch mehrere Publikationen, wie etwa die Histoire généalogique de la Royale Maison de Savoye (1660) und das Theatrum Statuum Sabaudiae (erste Ausgabe 1682), europaweit verbreitet wurde. Diese gezielte Historiographie stütze sich auf den literarischen Topos der Alpen als natürlicher Begrenzung und Schutzwall Italiens. Darüber hinaus wurde den Savoyern eine neue Rolle als Wächter und Schützer der Grenzen des Heiligen Römischen Reichs zugesprochen und, im Zuge einer neuen genealogischen Konstruktion, eine Herkunft der Dynastie jenseits der Alpen gesucht. Diese ist im Rahmen des Wettstreits mit anderen Herrscherhäusern, wie etwa den Medici, zu verorten und kann als notwendiges Repräsentationsbedürfnis der Regenten eines kleinen Herzogtums interpretiert werden.
Die Stärke des Bandes liegt in der Heterogenität der Beiträge, und zwar sowohl in den unterschiedlichen Herangehensweisen und Ansätzen der Forschung als auch im interdisziplinären Charakter. Dabei wird nicht nur durch konkrete Fallbeispiele der Facettenreichtum der Erforschung des Wissenstransfers abgebildet, sondern - dank des regen Austausches zwischen internationalen Wissenschaftlern - neues Wissen erworben.
Anmerkung:
[1] Birgit Emich / Nicole Reinhardt / Hillard von Thiessen/Christian Wieland: Stand und Perspektive der Patronageforschung. Zugleich eine Antwort auf Heiko Droste, in: Zeitschrift für Historische Forschung 32 (2005), 233-265, hier 244f. und 248f.
Silvia Tammaro