Peter Rückert (Bearb.): Freiheit - Wahrheit - Evangelium. Reformation in Baden-Württemberg, Ostfildern: Thorbecke 2017, 2 Bde., 752 S., 1 CD-ROM, zahlr. Farbabb., ISBN 978-3-7995-1235-0, EUR 55,00
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Das Herzogtum Württemberg, in dem 1534 die Reformation eingeführt wurde, gehörte im 16. Jahrhundert nicht nur zu den ersten protestantischen Territorien im Reich, sondern entwickelte sich auch zu einem der entscheidenden Akteure unter den evangelischen Ständen. Auch aus diesem Grund stand die württembergische Reformation in den letzten Jahrzehnten immer wieder im Fokus der Forschung. Neben zahllosen Aufsätzen in Zeitschriften und Tagungsbänden sind einschlägige Monografien und Ausstellungskataloge mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen erschienen. [1]
Die vorliegende zweibändige Publikation zur Reformation in Württemberg begleitete eine der jüngsten Ausstellungen zum Thema, die das Hauptstaatsarchiv Stuttgart in Kooperation mit den Staatlichen Schlössern und Gärten Baden-Württemberg unter Federführung von Peter Rückert erarbeitet hat. Titel und Untertitel des Werks lassen keine zeitliche Fokussierung erkennen, tatsächlich liegt diese jedoch auf der Frühzeit der Reformation, auf den Jahren zwischen 1534 und 1550, in denen Herzog Ulrich die neue Lehre in Württemberg einführte.
Während im Beitragsband 35 wissenschaftliche Aufsätze verschiedenster Disziplinen versammelt sind, dokumentiert der Katalogband die einzelnen Exponate, die gleichzeitig an vier Standorten - im Kunstgebäude Stuttgart sowie den Klöstern Maulbronn, Bebenhausen und Alpirsbach - zu sehen waren.
Der Inhalt beider Bände ist in vier großen Themenfeldern organisiert. Zunächst werden die gesellschaftlichen Umstände und Bedingungen der Reformation in Württemberg vorgestellt. Umbruchtendenzen kamen in Revolten wie dem "Armen Konrad" (1515) und dem Bauernkrieg (1524/25) zum Ausdruck, wobei sich soziale Forderungen mit solchen nach religiösen Reformen verbanden. Diesen Aspekten gehen die Beiträge von Robert Kretzschmar, Alexandra Haas, Volker Leppin, Hermann Ehmer, Christian Herrmann, Georg Wendt und Nicole Bickhoff nach. Der Schwerpunkt innerhalb dieses Themenfelds wurde damit nicht auf die spätmittelalterliche Frömmigkeit als Motor für den Ruf nach kirchlicher Erneuerung gelegt. Lediglich der Beitrag von Hartmut Kühne befasst sich mit dem Ablasswesen als einem zündenden Funken für die Reformation.
Im zweiten Themenfeld wird die Verbreitung der evangelischen Lehre mithilfe verschiedener Medien betrachtet. Sechs Aufsätze widmen sich dem Gegenstand im Spiegel von Drucken und Handschriften (Volker Honemann, Armin Schlechter, Kerstin Losert, Saskia Limbach, Manuel Santos Noya und Eva-Linda Müller). Honemann betont, dass durch Gutenbergs bahnbrechende Innovation der beweglichen Lettern nicht nur die reformatorischen Ideen gestreut werden konnten, sondern dass die scharfe Polemik des "protestantischen Bilderkampfes" auch nachhaltigen "Hass zwischen den Konfessionen" (Beitragsband, 86) säte. Die evangelische Bildsprache, in der die Glaubensinhalte häufig mit provokanten Spitzen verbunden wurden, stellen Hans-Martin Kaulbach und Matthias Ohm am Beispiel von Druckgrafik, Gemälden und Medaillen vor. Auch die Ausstattung von Kirchen mit Sakralgegenständen und Bildwerken war dem reformatorischen Wandel unterworfen, wie Ingrid-Sibylle Hoffmann, Karl Halbauer und Tilmann Marstaller anhand der Stuttgarter Stiftskirche, der Marienkirche in Upfingen und der Peterskirche in Weilheim darlegen. Ausstattungsstücke, die für den evangelischen Gottesdienst nicht mehr benötigt wurden, wie Sakramentshäuschen und Seitenaltäre, wurden vielerorts entsakralisiert, Silbergeräte eingeschmolzen, bildliche Darstellungen von Heiligen aus den Kirchen geschafft oder in evangelischem Sinne übermalt.
Das dritte Schwerpunktthema widmet sich den reformatorischen Veränderungen auf dem Gebiet der Liturgie, Musik und Predigt. Dabei arbeiten Joachim Kremer und Andreas Traub die kirchenmusikalischen Traditionen in Württemberg ebenso auf wie Andreas Odenthal die Transformation mittelalterlicher Stundenliturgie in den evangelisch umgeformten Klöstern und Andreas Holzem das Lutherbild in katholischen Kontroverspredigten. Der Beitrag von Peter Rückert und Andreas Traub zu reformatorischen Liedern und Sprüchen, die auf der beiliegenden CD-ROM eingesprochen und -gesungen wurden, führt eindrucksvoll vor Augen, dass neben schriftlichen und bildlichen Medien auch verschiedene akustische Möglichkeiten genutzt wurden, um die neue Lehre zu verbreiten und die römische Kirche zu verunglimpfen.
Im vierten Themenfeld wenden sich die Beiträge den Zisterzienserklöstern Maulbronn und Bebenhausen sowie dem Benediktinerkloster Alpirsbach zu. Diese sowie elf weitere Männerklöster wurden unter Herzog Ulrich teils mit Waffengewalt säkularisiert. Die in der 1535 erlassenen württembergischen Klosterordnung erkennbaren Ansätze zur Einrichtung von Schulen in den Klöstern wurden jedoch erst unter Herzog Christoph, der das Herzogtum in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zum evangelischen Musterland ausbaute, fortgeführt. Da sich die vorliegende Publikation auf die Frühphase der Reformationseinführung beschränkt, wird auf diesen bedeutenden Schritt für die Ausbildung zukünftigen Personals für Verwaltung und Kirche - mithin für die Ausbildung eines evangelischen Staats - nur am Rande eingegangen. Stattdessen rücken Erwin Frauenknecht, Johannes Wilhelm, Alma-Mara Brandenburg, Peter Rückert, Friedemann Scheck und Ingo Glueckler herrschaftskonsolidierende und personengeschichtliche Aspekte ins Blickfeld, wenn sie etwa die Beziehungslinien Herzog Ulrichs zu den Klöstern oder die Lebensläufe der reformationszeitlichen Äbte Johannes von Friedingen in Bebenhausen und Albert Blarer in Alpirsbach nachzeichnen.
Der Blick auf "Die Reformation in den Klöstern" bleibt trotz dieser generalisierenden Überschrift exemplarisch. Es wurden nur drei der insgesamt 14 Männerklöster in den Fokus genommen, während die Frauenklöster überhaupt keine Beachtung erfuhren, sieht man von dem solitären Beitrag von Peter Rückert zum Zisterzienserinnenkloster Rechentshofen ab, der unvermittelt und etwas verloren am Schluss des Beitragsbandes erscheint. Den Klöstern in Württemberg hätte in ihrer Gesamtheit deutlich mehr Aufmerksamkeit zugewandt werden können, zumal sich gerade die Frauenkonvente gegen Herzog Ulrichs Säkularisierungsbestrebungen zur Wehr setzten und die Auflösung der Klostergemeinschaften zunächst abwenden konnten.
Der Katalogband würdigt die einzelnen Exponate und besticht durch die Vielfalt gut reproduzierter Abbildungen. Auf den stark verkleinerten Abdruck großformatiger Urkunden (106, 114f., 136f., 304f., 309) hätte man jedoch zugunsten von Details verzichten können: Die Dokumente sind nicht lesbar und vermitteln nur vage den Eindruck imposanter Schriftdokumente, der mitunter jedoch dadurch geschmälert wird, dass Teile der Abbildung im Buchfalz verschwinden (die Bulle 114f.) oder außerhalb des Abdrucks liegen (die Bulle 136f.). Bei den Abbildungen im Beitragsband wären Querverweise zu den jeweiligen Katalognummern mit den ausführlichen Objektbeschreibungen wünschenswert gewesen.
Obwohl die Reformationsereignisse in Württemberg - und gerade die der frühen Jahrzehnte - bereits vielfach im Fokus des landes- und kirchengeschichtlichen Interesses standen, stellen die vorliegenden beiden Bände sowohl in ihrer thematischen Breite als auch in ihrer inhaltlichen Tiefe derzeit die umfassendste Publikation zum Thema dar. Neben bekannten Sachverhalten vermitteln sie zudem neue Forschungsergebnisse, insbesondere in den Beiträgen von Georg Wendt zur evangelischen Bewegung während der habsburgischen Statthalterregierung um 1525 und von Kerstin Losert zur Rekonstruktion zeitgenössischer Sammelbände mit reformatorischen Drucken.
Anmerkung:
[1] Alfried Wieczorek / Christoph Strohm / Stefan Weinfurter (Hgg.): Reformation! Der Südwesten und Europa, Ausstellungskatalog Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, Regensburg 2017; Christoph 1515-1568. Ein Renaissancefürst im Zeitalter der Reformation, Ausstellungskatalog Landesmuseum Württemberg, Ulm 2015; Andrea Kittel / Wolfgang Schöllkopf (Hgg.): Württemberg wird evangelisch. 475 Jahre Reformation - 450 Jahre große Kirchenordnung, Ausstellungskatalog Schlosskirche im Alten Schloss Stuttgart, Stuttgart 2009; Peter Rückert (Hg.): Alte Christen - neue Christen. Württemberg im Streit um die Reformation, Ausstellungskatalog Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Stuttgart 1999; Siegfried Hermle (Hg.): Reformationsgeschichte Württembergs in Portraits, Holzgerlingen 1999; Martin Brecht / Hermann Ehmer: Südwestdeutsche Reformationsgeschichte. Zur Einführung der Reformation im Herzogtum Württemberg, Stuttgart 1984; Reformation in Württemberg. Ausstellung zur 450-Jahr-Feier der Evangelischen Landeskirche, Landesbibliothek Stuttgart, 3 Bde., Stuttgart 1984.
Sabine Arend