Gert Melville / Johannes Helmrath (eds.): The Fourth Lateran Council. Institutional Reform and Spiritual Renewal, Affalterbach: Didymos-Verlag 2017, 354 S., 3 Farbabb., 2 Tabl., ISBN 978-3-939020-84-4, EUR 59,00
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Gert Melville / Anne Müller (eds.): Female vita religiosa between Late Antiquity and the High Middle Ages. Structures, developments and spatial contexts, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2011
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Das Vierte Laterankonzil war zweifellos die bedeutendste Kirchenversammlung des Hochmittelalters. Dementsprechend groß war die Zahl der Tagungen, die anlässlich des achthundertjährigen Jubiläums im Jahr 2015 abgehalten wurden. Der anzuzeigende Sammelband geht auf ein Symposium an der Päpstlichen Lateranuniversität zurück, das vom Päpstlichen Komitee für Geschichtswissenschaft (Pontificio Comitato di Scienze Storiche) organisiert wurde. Nach einem Vorwort des Präsidenten, Bernard Ardura, folgt ein Essay von Walter Kardinal Brandmüller über das Nachleben des IV. Lateranums in Kanonistik und Dogmatik.
Den eigentlichen Auftakt bilden Beiträge zu den Grundlagen des Konzils. Johannes Helmrath liefert dazu eine lesenswerte Einführung in die Verfahren des Vierten Laterankonzils in vergleichender Perspektive. Dabei geht er auch auf oft wenig beachtete kulturgeschichtliche Aspekte ein, etwa auf die spezifischen Räumlichkeiten, in denen die Versammlung tagte, oder darauf, inwiefern Reden und Predigten den gesamten Ablauf des Konzils strukturierten. Kenneth Pennington widmet sich der rechtsgeschichtlichen Seite des Themas, wobei es ihm gelingt, einige Grundannahmen der kanonistischen Forschung in Frage zu stellen. So bringt er gute Argumente gegen die gängige Annahme, dass Innozenz III. der alleinige Verfasser der Konzilsdekrete gewesen sei. Das Verbot für Kleriker, sich an Gottesurteilen zu beteiligen, dürfte wohl ebenso wenig eine Neuerung darstellen, wie die Praxis des Inquisitionsprozesses.
Der zweite Abschnitt des Sammelbandes behandelt die Bedeutung des Konzils für Dogmatik und Ekklesiologie. Mit dem ersten Dekret "Firmiter credimus", das eine Erweiterung des Glaubensbekenntnisses darstellte, knüpfte das IV. Lateranum direkt an die ökumenischen Konzilien von Nicäa und Konstantinopel an. Zudem leistete es einen Beitrag zur mittelalterlichen Debatte über das Böse in der (ursprünglich) guten Schöpfung, die Josep-Ignasi Saranyana skizziert. Werner Maleczek macht plausibel, dass "Firmiter credimus" im Wesentlichen aus der Feder Innozenz' III. stammt, der dabei auf seine Studien in Paris aufbaute, die sein theologisches Denken generell prägten. Als Wendepunkt in der Ekklesiologie des Mittelalters beschreibt Thomas Prügel das Laterankonzil, da hier erstmals die Rolle des Episkopats gegenüber anderen Vertretern des Klerus und der Orden relativiert worden sei, was noch Auswirkungen auf den Konziliarismus des 15. Jahrhunderts gehabt habe. In die Frage der Einheit von Ost- und Westkirche brachte die Versammlung hingegen wenig Bewegung. Die griechische Orthodoxie (im lateinischen Kaiserreich von Konstantinopel) wurde zwar zum disziplinarischen Gehorsam aufgefordert, aber es gab keine inhaltlichen Auseinandersetzungen über liturgische und dogmatische Fragen, wie Stefan Burkhardt ausführt.
Dem Thema "Klerus und Laien" ist der dritte Abschnitt der Publikation gewidmet. Zunächst stehen in dem Beitrag von Julia Barrow die Dekrete im Fokus, die explizit die Reform des Klerus behandeln. Danach rückt die Konzilsgesetzgebung in den Mittelpunkt, die vor allem Auswirkungen auf die Laienwelt hatte, also die Canones zur Ehegesetzgebung, zu denen David D'Avray knappe Überlegungen vorstellt. Catherine Vincent diskutiert die Konzilsbeschlüsse, die das Bußwesen regeln. Die Predigt sollte bekanntermaßen die Brücke zwischen kirchlicher Lehre und Laienwelt schlagen, womit sich Nicole Bériou befasst. Sie analysiert zunächst die bedeutende Eröffnungspredigt Innozenz' III., ehe sie sich Canon 10 zuwendet, der die Einsetzung von Predigern in Vertretung des Bischofs regelte, und für die Entstehung des Dominikanerordens bedeutsam wurde. John Sabapathy setzt sich kritisch mit der These R. I. Moores auseinander, wonach sich im Hochmittelalter eine "persecuting society" ausgebildet habe, zu deren Entstehung das IV. Lateranum durch die Dekretierung des Inquisitionsverfahrens beigetragen habe.
Im vierten Teil des Sammelbandes stehen schließlich die Konzilsbeschlüsse im Zentrum, die den Umgang mit nicht-orthodoxen und nicht-christlichen Gruppen betreffen. Die ersten Beiträge erschließen das Thema der Häresie, das Gian Luca Potestà am Beispiel der Verurteilung der Trinitätslehre des Joachim von Fiore erörtert. Das Vorgehen gegen die Albigenser behandelt Jörg Feuchter, der sowohl die Probleme der Chanson de la Croisade, der wichtigsten Quelle für die einschlägigen Konzilsverhandlungen, als auch die wissenschaftlichen Kontroversen um die Dekrete berücksichtigt. Joseph Goering diskutiert die Konzilsbeschlüsse, welche die Juden betreffen, aus rechtsgeschichtlicher Perspektive. Mit den Muslimen befasst sich abschließend Nikolas Jaspert, der deutlich macht, dass diese auf dem Konzil nicht nur als Feindbild für die Kreuzzugsplanungen eine Rolle spielten, sondern auch - motiviert durch die Sorge vor einer "commixtio" verschiedener Religionen - in den Dekreten, die das Zusammenleben von Christen und Andersgläubigen regelten.
Der letzte Abschnitt des Bandes nimmt die Beschlüsse über das Ordenswesen in den Blick, insbesondere Canon 13, der darauf abzielte, die große Vielfalt religiöser Gemeinschaften einzuschränken. Gert Melville kommt bei der Analyse des Dekrets zu dem Schluss, dass es anders als Teile der Forschung annehmen, sehr restriktiv angelegt war. Die Vorschrift, sich einer "religio approbata" anzuschließen, mochte zwar eine gewisse Offenheit suggerieren, da dieser Begriff bislang nicht genauer definiert war; aber die Ergänzung, dass nicht nur eine der existierenden Regeln, sondern auch die spezifischen "institutiones" einer Gemeinschaft zu übernehmen waren, sollte Neugründungen aller Art eigentlich unmöglich machen. Wie es in dieser Hinsicht nach dem Vierten Lateranum in der Praxis aussah, erörtert Maria Pia Alberzoni. Sie weist vor allem auf die Bedeutung der Kardinallegaten hin, welche die Reformdekrete des Konzils vor Ort umsetzten und dabei neue religiöse Gemeinschaften - etwa der Dominikaner, Franziskaner und Magdalenerinnen - durchaus unterstützten. Die Diskussion über die Gründung neuer Orden lebte auch auf dem Zweiten Konzil von Lyon 1274 noch einmal auf, was der abschließende Beitrag von Pierantonio Piatto behandelt.
Der Sammelband wird sicherlich grundlegend für die weitere Diskussion über das Vierte Laterankonzil und seine Nachwirkungen werden. Auch wenn einige Beiträge ihr Thema etwas ausführlicher erschließen als andere, so bewegen sich doch alle auf hohem fachlichen Niveau. Sie stammen zudem von Autorinnen und Autoren, die zu den einzelnen Forschungsfeldern grundlegende Studien vorgelegt haben, weshalb die Lektüre in jedem Fall ein Gewinn ist.
Georg Strack