Gwilym Dodd (ed.): Fourteenth Century England X (= Fourteenth Century England), Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2018, XII + 201 S., 2 s/w-Abb., ISBN 978-1-78327-279-2, GBP 60,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Gwilym Dodd (ed.): Henry V. New Interpretations, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2013
Gwilym Dodd / Anthony Musson (eds.): The Reign of Edward II. New Perspectives, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2006
Gwilym Dodd / Craig Taylor (eds.): Monarchy, State and Political Culture in Late Medieval England. Essays in Honour of W. Mark Ormrod, York: York Medieval Press 2020
Als vor nun 18 Jahren der erste Band der Reihe "Fourteenth Century England" erschien, reagierte man damit auf das innerhalb der Historikerzunft stark gewachsene Interesse am englischen 14. Jahrhundert. Und doch war unklar, ob dieses "burgeoning of scholarly interest" (ix) so weit reichen konnte, um einer eigenen Publikationsreihe zum Durchbruch zu verhelfen. Nach zehn Bänden ist inzwischen wohl jedem Zweifler klar, dass die Reihe "Fourteenth Century England" einen maßgeblichen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte des 14. Jahrhunderts geleistet hat und noch immer leistet: vorliegender zehnter Band mit seiner mehr oder minder eklektischen Themenvielfalt legt davon ein beredtes Zeugnis ab. Die insgesamt 9 Beiträge behandeln dabei ebenso institutionen- wie personengeschichtliche Fragestellungen.
Kathryn Warners einleitender Artikel behandelt ein Rechnungsbuch, das von der königlichen Kammer zwischen dem 5. Juni 1325 bis Ende Oktober 1326 getätigte Zahlungen überliefert ("Bought by the king himself". Edward II, his chamber, his family and his interests in 1325-26, 1-23). Es handelt sich dabei um den einzig vollständig erhaltenen Rechnungsbericht der königlichen Kammer für die Regierungszeit Edwards II. (Society of Antiquaries of London, MS 122). Dokumentiert finden sich darin nicht nur großzügige Geschenke des Königs an seinen Favoriten Despenser, darunter eine große Tristan und Isolde-Handschrift oder Wandbehänge mit Gold- und Silberstickereien, sondern auch Zahlungen an Männer "für das, was sie taten, als der König zu Bett ging" oder "für das, was sie taten, als der König speiste". Dahinter verbergen sich dem Zeremoniell geschuldete Aktivitäten, die leider aber nicht näher ausgeführt werden. Einige Male wird auf Gelegenheiten verwiesen, in denen der König Gelder an diejenigen seiner Untertanen verteilte (par ses meins propres), die ihm zuvor Geld- oder Nahrungsgeschenke dargebracht hatten. Solche Einträge stützen die Aussagen derjenigen zeitgenössischen Kritiker, die dem König seinen Umgang mit niederen Schichten vorgeworfen hatten. Tatsächlich scheint sich dieser Umgang im letzten Jahr seiner Regierungszeit intensiviert zu haben.
Auch in Seymour Phillips Beitrag spielt die desaströse Regierungszeit Edwards II. eine zentrale Rolle (Parliament in the Reign of Edward II, 25-46). Als Edward 1307 an die Macht kam, war das Parliament "a familiar and well-established institution, with deep roots in the past" (27). Als Institution, die über Wohl und Wehe des Königreichs entschied, wurde es vom König in regelmäßigen Abständen zusammengerufen, zwischen Oktober 1307 und November 1325 allein 26 Mal. Angesichts der defizitären Quellenüberlieferung (lediglich für acht Parlamente sind die entsprechenden offiziellen Quellen erhalten) warnt Phillips zu Recht davor, die Regierungszeit Edwards II. unreflektiert mit dem Aufstieg der "Commons" zu verbinden. Er stimmt folgerichtig auch nicht in den Chor derjenigen ein, die glauben, "that Edward II did not like parliaments" (39). Sicherlich sah der König so mancher Versammlung nicht mit ungeteilter Freude entgegen, ja verhinderte sie mitunter aktiv, dennoch wusste auch er, dass er bei wichtigen Angelegenheiten unbedingt auf Rat und Zustimmung der Großen angewiesen war.
Alison McHardys Beitrag ergänzt Phillips Aussagen (The Representation of the clergy in Parliament, 47-66). Vorgestellt wird eine ausgesprochen aussagekräftige Quellengattung (The National Archives, Special Collection 10), in der sich Ernennungsschreiben der sog. proctors finden. Sie agierten als offizielle Vertreter all derjenigen (hohen) Kleriker, die nicht persönlich am Parliament teilnehmen konnten bzw. wollten. McHardy richtet den Blick auf die unterschiedlichen "Klassen" dieser proctors, an der Spitze die "chancery mandarins" (57), die immer wieder positiv auf Vertretungsanfragen reagierten, keiner häufiger als Thomas Evesham, der in der Zeit zwischen 1313-1341 über 114 diesbezügliche Aufträge wahrnahm. Die konkrete Tätigkeit der proctors vor Ort wird am Beispiel der vom Kathedralkapitel von Lincoln bestellten Vertreter behandelt.
Auf Parliaments wurde auch immer wieder über die Finanzierung von Kriegen gestritten. Einen Aspekt der Kriegsführung, nämlich das logistische Arrangement, behandelt Ilana Krug in ihrem ausgesprochen lesenswerten Beitrag (Feeding Mars. Military purveyance in the long fourteenth century, 67-88), während Alan Kissane ("Unnatural in body and a villain in soul". Rape and sexual violence towards girls under the age of canonical consent in late medieval England, 89-111) auf den sexuellen Missbrauch von Kindern eingeht und anhand einer schmalen Quellenbasis von 14 Vergewaltigungsfällen im Zeitraum zwischen 1235 und 1435 zeigt, wie gut die Chancen auf Freispruch für Vergewaltiger immer dann standen, wenn Verfahrensfehler geltend gemacht werden konnten. Im Anhang (110f.) findet sich eine Transkription und englische Übersetzung eines besonders schweren Missbrauchsfalls in Lincoln, wo 1335 die achtjährige Agnes de Cloworth von einem gewissen Hugh de Outhorp, Bruder und Gehilfe des örtlichen baillif, vergewaltigt worden war. Durch das Eingreifen seines einflussreichen und reichen Bruders ging Hugh im Prozess, der erst zehn Jahre später angestrengt wurde, höchstwahrscheinlich straffrei aus.
Bridget Wells-Furby beleuchtet die wichtige Frage, inwieweit Ehen im 14. Jahrhundert zum Zweck der Erweiterung des Landbesitzes in der Familie des Bräutigams geschlossen wurden (Marriage and inheritance. The element of chance in the development of lay estates in the fourteenth century, 113-132). Nur die wenigsten Bräute gehörten der begehrten Gruppe der "heir apparent" an - denjenigen also, die sicher ein Erbe erwarten konnten. Der allergrößte Teil besaß den Titel einer "heir presumptive", für die die Chancen auf das Ererben von substantiellem Landbesitz eher schlecht standen. Wells-Furby legt ihrer Untersuchung den Landesitz von 33 Familien zugrunde, deren Vertreter im 14. Jahrhundert (ein Mal oder mehrfach) im Parlament saßen. In den Blick geraten 48 Heiraten "which resulted, sooner or later, in a permanent accrual of land" (120) Immerhin in 33 Fällen resultierte daraus eine Vergrößerung der Landbesitzungen, mit der man zum Zeitpunkt der Heirat nicht rechnen konnte (vgl. hierzu die Auflistung mit "unexpected inheritances", 129-132). Biologische Zufälle in der Erbenkette spielten dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Der Artikel von Laura Tompkins liefert ein weiteres Beispiel für die Attraktivität reicher Erbinnen auf dem englischen Heiratsmarkt (Mary Percy and John de Southeray. Wardship, marriage and divorce in fourteenth-century England, 133-156). Im Januar 1377 fand die Hochzeit des John of Southeray und der Mary Percy am königlichen Hof mit einiger Prachtentfaltung statt (vgl. hierzu S. 143 mit einer Transkription/Übersetzung eines Eintrags in den Registern der königlichen wardrobe, in dem die Ausgaben für die Hochzeitskleidung aufgeschlüsselt werden). John war der illegitime Sohn Edwards III., seine Mutter Alice Perrers. Diese hatte alles daran gesetzt, sich kurz vor dem Ableben des Königs nicht nur selbst schamlos zu bereichern, sondern auch ihren Sohn möglichst vorteilhaft zu verheiraten. Dass die beiden Eheleute bei der Trauung noch im Kindesalter waren, war übliche Praxis, ermöglichte es aber der jungen Mary, nach dem Ableben Edwards III. und dem Sturz seiner Mätresse beim Papst ein Bittgesuch um die Annullierung der Ehe einzureichen, dem auch stattgegeben wurde.
Elizabeth Biggs untersucht das Verhältnis Richards II. zu seiner Palastkapelle St. Stephen's (Richard II's kingship at St Stephen's Chapel, Westminster, 1377-99, 157-177). 1348 auf dem Gelände des Westminster-Palastes zur gottesdienstlichen Versorgung der im Palast Lebenden errichtet, fungierten die zwölf Kanonikate unter Richard II. als Versorgungsmasse für seine Getreuen. Deutlich wird, dass im Dauerstreit zwischen der benachbarten Abtei und dem Kanonikerkolleg der König zwar nicht offen Partei für eine der beiden Parteien ergriff, jedoch eine für die Kanoniker gesichtswahrende Streitschlichtung ermöglichte.
Der Einordnung der "reburial activities" Richards II. in einen breiteren historischen Kontext dient der Beitrag von Anna M. Duch (Bodies in constant motion. The burials and reburials of the Plantagenet dynasty, c. 1272-1399, 179-201). Die Autorin meldet darin Zweifel an der These an, Westminster Abbey sei in Anlehnung an Saint-Denis zur "royal necropolis" erhoben wurde. Doch muss man sich dann fragen, wie Edwards III. 1339 ergangener Befehl, zukünftig in der Edwardskapelle der Abtei nur noch Könige und deren Ehefrauen zu bestatten, gedeutet werden muss. Deutlich wird, dass anders als vom (notorisch unzuverlässigen) Hauptchronisten Thomas Walsingham behauptet, die Aktivitäten Richard II. "neither deviant nor innovative" (200) waren.
Die meisten der in vorliegendem Band versammelten Beiträge spiegeln nicht nur den aktuellen Stand der Forschung zuverlässig wider, sondern verweisen darüber hinaus auf offene Forschungsdesiderate. Reicher Stoff für weitere Bände der "Fourteenth Century Studies" ist also vorhanden.
Ralf Lützelschwab