Rezension über:

Monika Eisenhauer: Monastische Reformen des 15. Jahrhunderts als Mittel zur Konstruktion und Konsolidierung von Recht, Staat und Verfassung. Das Kloster St. Alexander in Grafschaft und die Umsetzung theoretischer Entwürfe in Sinne des Thomas von Aquin, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2016, 415 S., ISBN 978-3-643-13615-2, EUR 44,90
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Rezension von:
Christian Hoffarth
Institut für Personengeschichte, Bensheim
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Christian Hoffarth: Rezension von: Monika Eisenhauer: Monastische Reformen des 15. Jahrhunderts als Mittel zur Konstruktion und Konsolidierung von Recht, Staat und Verfassung. Das Kloster St. Alexander in Grafschaft und die Umsetzung theoretischer Entwürfe in Sinne des Thomas von Aquin, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2016, in: sehepunkte 19 (2019), Nr. 6 [15.06.2019], URL: https://www.sehepunkte.de
/2019/06/30347.html


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Monika Eisenhauer: Monastische Reformen des 15. Jahrhunderts als Mittel zur Konstruktion und Konsolidierung von Recht, Staat und Verfassung

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Eine schnelle Suche in den einschlägigen Datenbanken bekundet, dass der 2015 an der Fernuniversität Hagen vorgelegten und 2016 im LIT Verlag veröffentlichten Dissertation von Monika Eisenhauer bislang noch keine oder jedenfalls keine gut sichtbaren Besprechungen zuteil geworden sind. Dieser Befund, das darf mit guten Gründen vermutet werden, ist wohl nicht dem Zufall geschuldet. Der unscheinbare Band mit den vielen gewichtigen Substantiven auf dem Deckel verlangt den Leserinnen und Lesern nämlich eine gewaltige Syntheseleistung ab, die die Verfasserin selbst bedauerlicherweise nicht erbracht hat.

Die Herausforderung beginnt schon bei der Identifikation von Fragestellung und Skopus der Arbeit. Erwartungsgemäß findet sich zwar gleich auf den ersten Seiten ein abstrakter Aufriss der Aufgabenstellung, von dem man sich eine Erhellung des allzu vielsagenden und deshalb dunkel bleibenden Buchtitels erhoffen darf. Doch leider werfen die dort dargelegten Absichtsbekundungen mehr Fragen auf als sie beantworten.

Plausibel ist zunächst noch das Vorhaben, die Reform des Benediktinerklosters Grafschaft im Sauerland im Rahmen der Bursfelder Kongregation Anfang des 16. Jahrhunderts einer neuen Untersuchung zu unterziehen. Gut nachvollziehbar auch noch der Plan, die Reform in einen größeren politischen Kontext zu stellen und dabei insbesondere nach "Verbindungen zur Territorialpolitik der Frühen Neuzeit" (6) zu fahnden. Wenn dann aber dieser Grafschafter "Mikrokosmos" zudem auf den "Makrokosmos der prinzipiellen Kirchengeschichte" projiziert werden soll und "[z]um Schluß [sic] [...] der Längsschnitt durch drei Jahrhunderte [erfolgt], um die kontextuellen geistesgeschichtlichen Zusammenhänge und Modifikationen aufzuzeigen" (6), so fühlt man sich als Leser nicht eben bei der Hand genommen. An diesem Gefühl ändert auch ein auf den Seiten 97-101 eingeschaltetes Unterunterkapitel zu "Arbeitshypothese und Fragestellung" wenig (Zitat: "Die zu bildende Arbeitshypothese soll eine Fragestellung formulieren, mit deren Hilfe der nachfolgende Rahmen der theoretischen Hintergründe beleuchtet werden kann." [97])

Dennoch: Die inhaltliche und methodische Variationsbreite, die sich in Titel, Inhaltsverzeichnis und Einleitung der Studie abzeichnet, steht für ein ehrgeiziges und fleißiges Programm. Und stellt man sich der Herausforderung, dieses Programm und die oftmals kryptischen Formulierungen, mittels derer es ausgefaltet wird, zu durchdringen, so stößt man durchaus auf eine ganze Menge anschlussfähiger Hypothesen und Folgerungen.

Die interessantesten Angebote hält fraglos der erste Teil der Arbeit bereit, in dem die Verfasserin eine Neuinterpretation der Ursachen und Motive der Reform des Klosters St. Alexander in Grafschaft zu Beginn des 16. Jahrhunderts unternimmt (11-155). Im Jahr 1507 war der gesamte Konvent der 1508 an die Bursfelder Kongregation angeschlossenen Benediktinerabtei auf Betreiben des Kölner Erzbischofs Hermanns IV. abgesetzt und durch Mönche des Klosters Brauweiler ersetzt worden. In Anschluss an die erzählenden Quellen wurde diese Maßnahme in der bisherigen Forschung stets als Reaktion auf einen langwierigen moralischen Niedergang der Abtei verstanden, der auch eine ökonomische Krise nach sich gezogen habe. Den Mönchen wurden Sittenverfall und Privatbesitz zum Vorwurf gemacht. Von diesen beiden zentralen Anwürfen gegen den Konvent ausgehend, unterzieht Eisenhauer die Niedergangsthese einer intensiven Prüfung, wobei sie sich neben den altbekannten Quellen auch auf eine eigens angestellte quantitative Auswertung des überlieferten Urkundenbestandes zur Ökonomie des Klosters stützt. Die wirtschaftliche Krise, so kann sie zeigen, wurzelte ganz wesentlich in den steuerlichen Ansprüchen des Kölner Erzbistums selbst, unter dessen Landesherrschaft das Kloster 1444 geraten war. In Reaktion auf die finanziellen Bedrückungen durch die Besteuerung überführte der Konvent zwischen 1495 und 1504 einen bislang in seinem Besitz gewesenen Zehnten auf Umwegen in den Privatbesitz eines der Konventualen, sodass er nicht mehr durch den Bischof besteuert werden konnte. Und auf eben diese Hintergründe führt die Verfasserin - nicht unplausibel - die Anschuldigung des Privatbesitzes zurück. Als tatsächliches Motiv der erzwungenen Reform hingegen identifiziert sie das Streben nach herrschaftlicher Durchdringung aufseiten der Obrigkeiten.

Weitaus weniger überzeugend nimmt sich dagegen die vorgeschlagene Neudeutung des Vorwurfs des Sittenverfalls aus. Von der Tatsache, dass sich im räumlichen Einflussbereich der Abtei St. Alexander zwei mit Fresken zur Offenbarung des Johannes geschmückte Kirchenräume finden, schließt die Verfasserin auf die Vorherrschaft apokalyptischer Theologie und Liturgie im Grafschafter Kloster. Diese Hypothese veranlasst sie zu weitschweifigen Ausführungen über das gleichsam antiautoritäre Potential eschatologischer Weltdeutung im Christentum, und vor dieser Folie wiederum will sie schließlich im Vorwurf des Sittenverfalls eine Häresieanschuldigung erkennen. Bedenkt man allerdings die weite Verbreitung apokalyptischer Bildmotive im Mittelalter [1], so erweist sich schon die Prämisse dieser im Übrigen kaum irgendwie quellenmäßig abzustützenden Annahme als äußerst fraglich.

Die dem allenfalls lose anschließenden zweiten Teil ("Theoretische Hintergründe der Reformprogrammatik" [157-313]) zugrundeliegende, jedoch nirgendwo klar ausformulierte Idee scheint sodann zu lauten, dass sich seit dem 14. Jahrhundert eine Reihe kausal aufeinander aufbauender, sowohl von der Kurie (im Rahmen der Konzilien des 15. Jahrhunderts) als auch von einzelnen anderen Akteuren (etwa den Schöpfern der devotio moderna) getragener Reformideen und -bestrebungen ausmachen lassen, die eine Umwandlung monastischen Lebens überhaupt bedingten, in der sich wiederum Prinzipien frühneuzeitlicher Staatlichkeit präfiguriert finden. In diesem Großkapitel offenbart sich stärker als zuvor das gesamte Dilemma der Arbeit. So ist beispielsweise der wieder und wieder angerissene und umkreiste Gedanke eines mittelbaren Zusammenhangs zwischen der Entschärfung eschatologischer Theologie und einer gezielten Verweltlichung der Frömmigkeit auf der einen sowie devoter Untertänigkeit im Fürstenstaat auf der anderen Seite intellektuell durchaus sehr anregend. Leider wird er aber - wie viele andere prinzipiell spannende Ideen - nie wirklich festgehalten und ausbuchstabiert und bleibt dadurch nur einer von vielen losen Fäden in einem diffusen Gedankengeflecht.

Der dritte Teil endlich (315-374) ist, abermals unter dürftiger Folgelogik, der politischen Theorie des Thomas von Aquin gewidmet, in der Eisenhauer die maßgeblichen ideellen Anregungen für die Reformtheorie des Spätmittelalters in ihrer angenommenen Verquickung mit den Verstaatlichungsprozessen der Frühneuzeit sieht. Als Ausgangspunkt der Betrachtungen und verbindendes Element zu den vorherigen Kapiteln werden an dieser Stelle noch einmal die Themenkreise Privatbesitz/ökonomischer Niedergang und Sittenverfall/Apokalyptik aufgerufen. Aber so tüchtig das folgende Referat der thomasischen Gesellschaftstheorie auch kompiliert sein mag, so sehr zeigen sich auch hier von Beginn an die systematischen Schwächen. So erklärt die Verfasserin, dass sich bei kleinlicher Suche zwar möglicherweise erweisen könne, dass Thomas sich "an irgendeiner Stelle seiner vielen Werke" zur Frage des Privatbesitzes geäußert habe, hält dies jedoch für den Gesamtkomplex ihrer Studie für irrelevant (317). Die grundlegende Bedeutung der Problematik von Besitz und Eigentum für das Denken des Bettelmönchs Thomas von Aquin ist aber freilich alles andere als ein Arkanum [2], und die Implikationen der engen ideengeschichtlichen Verbindung von Armutsgebot und Eschatologie gerade in der Weltsicht der Mendikanten hätten durchaus als wertvolles Instrument für die synthetische Integration der gegen das Kloster Grafschaft erhobenen Vorwürfe mit reformtheologischen Diskursen des Spätmittelalters dienen können.

Am Ende bleibt eine gewisse Ratlosigkeit. Mithilfe eines starken Lektorats, durch Verdichtung und Organisation hätten die in Eisenhauers Buch versammelten Ideen und Forschungserträge gewiss eine Reihe lesenswerter und wertvoller Aufsätze zur Geschichte des Klosters Grafschaft und den monastischen Reformen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit abgegeben. In der vorliegenden Form indes dürfte das Werk wenig nachhaltiges Interesse auf sich ziehen. Schade!


Anmerkungen:

[1] Vgl. nur R. Chadabra: Art. "Apokalypse des Johannes", in: LCI 1 (1968), Sp. 124-142; J. Fonrobert: Art. "Apokalypsemotive", in: LCI 1 (1968), Sp. 142-150.

[2] Vgl. Jan G. J. van den Eijnden: Poverty on the Way to God: Thomas Aquinas on Evangelical Poverty, Leuven 1994.

Christian Hoffarth