Robert Saunders: Yes to Europe! The 1975 Referendum and Seventies Britain, Cambridge: Cambridge University Press 2018, XIV + 509 S., 32 s/w-Abb., ISBN 978-1-108-42535-3, GBP 24,99
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Rory Miller: Inglorious Disarray. Europe, Israel and the Palastinians since 1967, London: Hurst Publishers 2011
James P. Hubbard: The United States and the End of British Colonial Rule in Africa, 1941-1968, Jefferson, NC: McFarland & Company 2011
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Peter Hennessy: Winds of Change. Britain in the Early Sixties, London: Allan Lane 2019
"Willy, you must get us in, so we can take the lead." [1] Ohne einen Anflug von Ironie eröffnete der Außenminister George Brown 1967 seinem bundesdeutschen Kollegen Brandt die Vorzüge einer Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in den Europäischen Gemeinschaften (EG). Am Ende eines für die Labour-Regierung Harold Wilsons schwierigen Jahres hatten sich die Hoffnungen, ein neues Kapitel der britischen Geschichte aufzuschlagen, verflüchtigt. Präsident Charles de Gaulle zeigte den Briten ein zweites Mal nach 1963 die kalte Schulter. De Gaulles Nachfolger Georges Pompidou hatte schließlich ein Einsehen mit Edward Heath und ermöglichte es dem europhilsten Bewohner von 10 Downing Street, seine Nation 1973 in die EG zu führen. Dieser kurze Abriss veranschaulicht nicht nur den windungsreichen Weg Großbritanniens nach Europa. Er lässt auch erahnen, wie sehr die britisch-kontinentalen Annäherungsversuche vom sacro egoismo taktischer Erwägungen geprägt war. Für das Referendum von 1975 über die fortgesetzte EG-Mitgliedschaft gilt Nämliches. In seiner in bester angelsächsischer Erzählmanier verfassten Studie resümiert Robert Saunders, dass die Volksabstimmungen von 1975 und 2016 zuvörderst innenpolitischen Zwangslagen des jeweiligen Premierministers geschuldet waren, die beide allenfalls als Vernunfteuropäer zu charakterisieren waren.
Saunders untergliedert sein Buch in drei Abschnitte über die Protagonisten des Referendums, dessen zentrale Themen und territoriale Dimension. Als Novum der britischen Verfassungsgeschichte stieß das Referendum 1975 in der Öffentlichkeit auf wenig Gegenliebe: Das taktische Kalkül Harold Wilsons war angesichts knapper Mehrheitsverhältnisse im Unterhaus und einer in der Europafrage zerrissenen Labour-Partei zu offensichtlich. Europa war bis dato in Wahlkämpfen auf geringe Resonanz seitens des Elektorats gestoßen, weshalb die offizielle Debatte über Europa, so Saunders trocken, stets eher "the psychiatrist than the historian" (31) zu beschäftigen schien. Dabei sei es unfair, Großbritannien den Vorwurf zu machen, es habe sich nach dem Zweiten Weltkrieg von Europa abgewandt. Der Integrationsprozess selbst sei als "heady brew of idealism, self-interest and fear" (34) keineswegs immer geradlinig verlaufen. Schließlich sei es aufgrund der volkswirtschaftlichen Daten des Königreichs mitnichten Ausfluss zukunftsvergessener Nostalgie gewesen, sich nach 1945 fürs erste auf die ökonomischen und machtpolitischen Hebel des Commonwealth zu kaprizieren. Doch in den sechziger Jahren begannen sich die Gewichte merklich zu verschieben, auch wenn Saunders den declinism ins Reich der Ideologie verweist. Der 1967 vom Kabinett Wilson beschlossene Rückzug von den Stützpunkten östlich des Suezkanals war der Schwanengesang des Empire. Dennoch blieb der 1973 vollzogene EG-Beitritt für viele Briten ein Stein des Anstoßes. Das Referendum sollte die Frage ein für alle Mal klären und gleichzeitig die Labour-Regierung vor einer Zerreißprobe bewahren. Wilson bestand auf Nachverhandlungen mit den EG-Partnern, deren Ergebnis er dann den Wählerinnen und Wähler vorlegen wollte. Da mit Helmut Schmidt und Valéry Giscard d'Estaing zwei maßgebliche Staatsmänner der EG ebenfalls intergouvernementalen Entscheidungsverfahren den Vorzug vor supranationalen Visionen gaben, gestaltete sich das Verhandlungsklima für Wilson günstig. Obendrein nahm der Commonwealth-Gipfel von 1975 den Nostalgikern den Wind aus den Segeln, indem er einmütig Wilsons Position zugunsten eines Verbleibs in der EG guthieß.
Nichtsdestotrotz blieb Labour gespalten, während die Konservativen unter ihrer neuen Führerin Margret Thatcher fast geschlossen ein Ja beim Referendum befürworteten. Die Anhänger der EG organisierten sich in Britain in Europe (BIE). Saunders beschreibt diese Gruppierung als "one of the most professional campaigns of the modern era" (100). Im Londoner Clubland geboren, verfügte BIE über eine finanziell und organisatorisch gut geölte Kampagnenmaschinerie, welche ihre Widersacher wie Waisenknaben aussehen ließ. Dank eines engmaschigen Netzwerks vermochte BIE schnell auf neue Entwicklungen zu reagieren und für alle Bevölkerungsteile maßgeschneiderte Argumentationsmuster zu formulieren. Jugendliche Aktivisten sorgten dabei für eine sympathische Begleitmusik, die jedoch nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass im Verein mit den weithin proeuropäischen Medien nichts dem Zufall überlassen blieb. Genau diese "Elitenverschwörung" machten die Brexiteers vier Jahrzehnte später zum Ausgangspunkt ihrer underdog-Kampagne. Der nach seiner doppelten Abwahl im Schmollwinkel kauernde Edward Heath schwang sich zu ungeahnten rhetorischen Höhen auf und zählte neben Roy Jenkins und David Thorpe zu den begeisterndsten Rednern von BIE. Doch auch hier legt Saunders luzide den Finger in die Wunde, denn alle drei gehörten zu den "dispossessed of British politics" (129), die ihre Glanzzeiten hinter sich hatten und in der parteipolitischen lost cause Europa - zweifelsohne aus Überzeugung - einen Kristallisationspunkt ihres Wirkens fanden.
Die um die National Referendum Campaign (NRC) gruppierten EG-Gegner versammelten ein diffuses Spektrum, das von den Kommunisten bis zu den Faschisten reichte. Die Labour-Partei war zwar mehrheitlich gegen die Mitgliedschaft, wollte aber ihrem eigenen Premierminister nicht in den Rücken fallen, was die NRC um wesentliche finanzielle und organisatorische Mittel brachte. Tony Benn, alter Fahrensmann der Labour-Linken, wirbelte wie ein Derwisch durch die Grafschaften, um vor dem kapitalistischen Club auf dem Kontinent zu warnen, der zudem eine engstirnig provinzielle Agenda verfolge, die nicht mit den globalen Verpflichtungen Britanniens im Einklang stehe. Auch die Gewerkschaften waren in der Regel gegen die EG, sieht man von einzelnen EG-Freunden wie Vic Feather ab, die freilich besonderes Gewicht in der Arbeiterbewegung besaßen. Die "levée en masse by Britain's commercial sector" (156) verstärkte zudem die Tendenz seitens der Arbeiter, angesichts der sich abzeichnenden Deindustrialisierung das Risiko eines Austritts als Sprung ins Ungewisse zu scheuen. Auf diese Logik setzte 2016 auch David Cameron. Dass die Arbeiterschaft 1975 nicht ihren Gewerkschaften folgte, wertet Saunders zu Recht als Omen für die in den achtziger Jahren forcierte Entfremdung zwischen großen Teilen der Arbeiter und deren Interessenvertretern.
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass ökonomische Argumente im Zentrum der Kampagne standen. Insbesondere die Frage nach der Sicherheit der Lebensmittelversorgung, bei der Großbritannien in hohem Maße vom Ausland abhängig war, und die Unsicherheit im Zeichen von Ölkrise und Inflation beflügelten die BIE-Aktivisten. Idealistischere Töne inmitten der sich später rächenden "apocalyptic prognostications" (211) steuerten im Wesentlichen die Kirchen bei, die ihr europäisches Credo mit einem Aufbruch in eine gelebte Ökumene verknüpften. Eine kaum messbare Rolle spielte indes die nur auf den ersten Blick reichlich akademisch wirkende Problematik der Souveränität, die neben Benn vor allem Enoch Powell, die Kassandra der permissiven Gesellschaft, umtrieb. Die Ausführungen hierzu gehören zu den stärksten Passagen bei Saunders. Powell sakralisierte die Nation zu einer Art Glaubensartikel, der im britischen Parlament gewissermaßen Fleisch geworden war. Während seine Gegner darauf hinwiesen, dass die NATO-Mitgliedschaft und die Abhängigkeit von IWF-Krediten jeder überhöhten Form von Souveränität Hohn sprächen und die politischen Turbulenzen seit Mitte der sechziger Jahren starke Zweifel an der Unfehlbarkeit des Westminster-Parlamentarismus keimen ließen, attestierte Powell der herrschenden Klasse einen "act of psychological self-harm" (240) in ihrem Bestreben, Großbritannien in Europa zu verankern. Powell sah darin überdies verspätete imperiale Zuckungen von Politikern und Meinungsmachern, die einen postkolonialen Schulkomplex an der EG-Mitgliedschaft abbüßen wollten. Bedenkt man, dass UKIP 2016 unter dem Schlachtruf "take back control" in die Referendumskampagne ziehen sollte, so scheint die Saat der Debatten von 1975 langfristig aufgegangen zu sein.
Eigenartige Bettgenossen brachte auch die Kampagne im Celtic Fringe zusammen. Bemerkenswert dabei war, mit welcher Einhelligkeit die Extremisten in Nordirland gegen die EG wetterten, während jene Kräfte, die gut zwei Jahrzehnte später das Karfreitagsabkommen ermöglichten, für die EG votierten. In Wales und Schottland sprachen sich die Nationalisten gegen den Verbleib in der EG aus - das Elektorat folgte dem ebenso wenig wie in Ulster -, vollzogen jedoch bald eine Kehrtwende und erblicken heute in der EU die Sachwalterin ihrer Interessen.
Saunders schließt mit einem Vergleich der Kampagnen von 1975 und 2016. Der Sieg der EG-Befürworter 1975 wurde nicht nur für die Labour-Rechte zum "pyrrhic victory" (371). Da BIE jeglicher Vision für eine Vertiefung der Gemeinschaft abhold war, mussten entsprechende Entwicklungen unter der Delors-Kommission die Verlierer auf den Plan rufen, die nicht ohne Grund darüber Klage führten, dass eine immer tiefere Integration 1975 nicht zur Wahl stand. Und dass die Migration ins Königreich "from a trickle to a flood" (376) anschwoll und die Legitimität des Projekts Europa zu unterminieren drohte, war angesichts der sozioökonomischen Rahmenbedingungen in den siebziger Jahren auch nicht abzusehen. Hinzu kommt das Verhalten der Premierminister: Während Wilson das Treiben ironisch-distanziert von der Seitenlinie beobachtete und wohlwollend den Vormarsch seiner Läuterungsagenda goutierte, stürzte sich Cameron mitten ins Getümmel und brach dank seiner postpubertären Attitüde die Brücken zu den Skeptikern in den eigenen Reihen ab.
Saunders gelingt eine - von Redundanzen freilich nicht freie - tour d'horizon durch das Referendum von 1975. Ohne grundlegend Neues zu präsentieren, arbeitet er überzeugend die intellektuellen Strömungen und personellen Konstellationen heraus, die ausschlaggebend für das Votum waren. Mit Blick auf den Brexit 2016 unterschlägt er die Rolle der Medien, die, ganz anders als 1975, mehrheitlich und unnachgiebig die EU mit Hohn und Spott überzogen und dabei die Grenze zu fake news mehr als einmal überschritten.
Anmerkungen:
[1] Willy Brandt: Erinnerungen, Frankfurt/M. 1989, 453.
Gerhard Altmann