Jürgen Bärsch: Kleine Geschichte des christlichen Gottesdienstes, 2., durchgesehene Auflage, Regensburg: Friedrich Pustet 2017, 204 S., 11 s/w-Abb., ISBN 978-3-7917-2721-9, EUR 19,95
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Jürgen Bärsch / Benedikt Kranemann (Hgg.): Geschichte der Liturgie in den Kirchen des Westens: Rituelle Entwicklungen, theologische Konzepte und kulturelle Kontexte. Band 1: Von der Antike bis zur Neuzeit, Münster: Aschendorff 2018, 667 S., ISBN 978-3-402-13186-2, EUR 62,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Jürgen Bärsch / Benedikt Kranemann (Hgg.): Geschichte der Liturgie in den Kirchen des Westens: Rituelle Entwicklungen, theologische Konzepte und kulturelle Kontexte. Band 2: Moderne und Gegenwart, Münster: Aschendorff 2018, 604 S., ISBN 978-3-402-13187-9, EUR 62,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Jan Brademann / Kristina Thies (Hgg.): Liturgisches Handeln als soziale Praxis. Kirchliche Rituale der Frühen Neuzeit, Münster: Rhema Verlag 2014
Christian G. Schulz: Gottes Wort und fürstliche Macht. Silberaltäre des 17. Jahrhunderts zwischen München und Stockholm, Regensburg: Schnell & Steiner 2021
Philip Knäble: Eine tanzende Kirche. Initiation, Ritual und Liturgie im spätmittelalterlichen Frankreich, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2016
Wilhelm Durandus: Rationale divinorum officiorum. Übersetzung und Verzeichnisse von Herbert Douteil, mit einer Einführung herausgegeben und bearbeitet von Rudolf Suntrup, Münster: Aschendorff 2016
Dominik Kuhn: Der lateinisch-altenglische Libellus precum in der Handschrift London, British Library, Arundel 155, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2014
Hans-Werner Goetz: Die Wahrnehmung anderer Religionen und christlich-abendländisches Selbstverständnis im frühen und hohen Mittelalter (5.-12. Jahrhundert), Berlin: Akademie Verlag 2013
Die Zeiten sind vorbei, als der durchschnittliche Historiker, befragt nach dem Nutzen der Liturgiegeschichte für die Geschichtswissenschaft, allenfalls Namen wie Percy Ernst Schramm oder Ernst Kantorowicz und Themen wie Krönungsordines oder Herrscherakklamationen hätte nennen können - vorausgesetzt, er hätte mit dem Begriff Liturgiegeschichte überhaupt etwas anfangen können. Stattdessen kann man mit dem israelischen Historiker Yitzhak Hen feststellen: "In other words, liturgy is a unique and indispensable tool for the study of any Christian society in its historical, cultural, and spiritual context." [1]
Heute haben Historiker(innen) eher das Problem, auf der Suche nach aktuellen deutschsprachigen Überblicksdarstellungen zum Thema fündig zu werden. Besser gesagt: bis vor kurzem hatten sie dieses Problem, dem nun abgeholfen ist durch die beiden hier anzuzeigenden Werke aus katholischer Perspektive: eine knappe Einführung und eine umfangreiche, handbuchartige Darstellung in zwei Bänden. Zuvor war der deutsche Buchmarkt auf diesem Gebiet sehr übersichtlich (einen Überblick nicht nur über die deutschsprachigen Darstellungen bietet I, 20-25). [2] Hier ist einmal die Geschichte des christlichen Gottesdienstes des evangelischen Theologen William Nagel zu nennen, ein Büchlein, das auf gut 250 Seiten im Format eines Reclam-Heftes die christliche Liturgiegeschichte in ihrer ganzen Breite, allerdings entsprechend knapp darstellt. [3] Es ist seit Jahrzehnten vergriffen. Noch älter, aber wesentlich wirkmächtiger ist von katholischer Seite Theodor Klausers Kleine Abendländische Liturgiegeschichte, die in 5. Auflage zuletzt 1965 erschienen und mehrfach übersetzt worden ist. [4]
Wenn man feststellt, dass diese älteren Darstellungen schon lange nicht mehr den aktuellen Forschungsstand repräsentierten, so ist damit nicht die Selbstverständlichkeit gemeint, dass die Detailforschung Schritt für Schritt in dieser oder jener Frage vorangekommen sei. Vielmehr geht es um Umbrüche massiverer Art. Diese sind keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal der Liturgiegeschichte. Dass bisher als zentral betrachtete Quellen sich als problematisch in ihrer Deutung oder als eher marginal in ihrer Bedeutung erweisen, dass lang gehegte und gepflegte wissenschaftliche Überzeugungen plötzlich in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus, ohne dass an ihre Stelle bereits neue Interpretationen getreten wären, kennt man auch sonst. Auch die zunehmende Skepsis, in präskriptiven Texten die vergangene Praxis greifen zu können, oder die Verschiebung von Perspektiven und das Aufkommen neuer Fragestellungen lassen sich auch außerhalb der Liturgiegeschichte beobachten. In ihr wirken sich derartige Umbrüche aber wohl stärker aus, weil sie nicht nur die wissenschaftliche opinio communis erschüttern, sondern auch die mit den alten Interpretationen mehr oder weniger eng verbundenen theologischen Vorannahmen und Überzeugungen.
Gerade in der letztgenannten Hinsicht ist ein Vergleich der hier vorzustellenden Werke v. a. mit Klausers einflussreichem Buch erhellend. Bereits im Titel hatte er sein Thema durch das Wort 'abendländisch' eingeschränkt. Tatsächlich ist dieses Adjektiv noch zu weit, denn es meint hier eigentlich 'katholisch'. Und auch hier beschränkt er sich auf den dominanten Strang, die römische Liturgie. Jürgen Bärsch hat mit Kleine Geschichte des christlichen Gottesdienstes einen ebenso allgemeinen Titel wie Nagel gewählt, ohne dessen thematische Breite anzustreben, sein Ziel ist wesentlich bescheidener: "Das Buch konzentriert sich auf den Gottesdienst der römisch-katholischen Kirche, weitgehend im deutschen Sprachgebiet." (15). Allerdings enthält es jeweils ein Kapitel zur ostkirchlichen und zur protestantischen Liturgie.
Bärsch/Kranemann scheinen mit dem Obertitel Geschichte der Liturgie in den Kirchen des Westens näher an Klauser zu bleiben. Vor einer derartigen vorschnellen Einschätzung sollte jedoch schon der Plural Kirchen warnen. Damit sind nicht bloß die "Liturgie in der Alten Kirche des Ostens" (I, 155-200) und die außerrömischen lateinischen Liturgien im Westen (I, 377-421) gemeint, sondern auch die Entwicklungen in den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen, gemäß der Überzeugung der Herausgeber: "Anders als konfessionsüberschreitend kann Liturgiegeschichte nicht geschrieben werden" (I, 28). Die protestantischen Liturgien werden breit, fast im gleichen Umfang wie die katholische Liturgie behandelt (I, 425-479. 561-667; II, 125-163. 343-439). Den Schlusspunkt bildet ein Kapitel zum Altkatholizismus (II, 441-481). Allerdings wird vom Protestantismus fast nur der Mainstream (jedenfalls aus deutscher Sicht), Lutheraner, Reformierte und Anglikaner, behandelt, jeweils von Vertretern der entsprechenden Konfession. Hier zeigt sich klarer als in der Darstellung der katholischen Liturgie, dass dieses Werk, trotz seines beachtlichen Umfangs, stark von einer deutschen Perspektive geprägt ist und sich häufig auf den deutschsprachigen Raum konzentrieren, ja beschränken muss (I, 28).
Nicht weniger auffällig ist die Verschiebung der zeitlichen Schwerpunkte. Hatte Klauser drei von seinen vier Kapiteln dem Altertum und dem Mittelalter gewidmet, wobei die ersten beiden der (vermeintlichen) Glanzzeit der Liturgie bis zum Hochmittelalter und das dritte der angeblichen spätmittelalterlichen Dekadenz ("Die Periode der Auflösung, der Wucherungen, der Um- und Mißdeutungen" [5]) galten, reicht der erste Band von Bärsch/Kranemann [v]on der Antike bis zur Neuzeit, während der zweite Moderne und Gegenwart behandelt. Die "schöpferischen Anfänge" [6] verlieren aber nicht nur quantitativ an Gewicht, sie verlieren auch an Glanz und nicht zuletzt an Bestimmbarkeit und Eindeutigkeit und damit an theologischer Normativität. Bärsch/Kranemann weisen denn auch prägnante Epochencharakterisierungen ab (I, 19), wie sie Klauser mit seinen griffigen, urteilsstarken Formulierungen erfolgreich geprägt hatte.
Schließlich hatte Klauser selbstverständlich für katholische Theologen geschrieben. Dagegen richten sich die beiden hier zu besprechenden Publikationen - trotz ihrer eindeutigen theologischen Perspektive (explizit: I, 26) - an ein allgemeineres Publikum (11; I, 27). Bärsch erklärt einleitend die grundlegenden Begriffe (16-17), und ein Glossar, das nicht nur liturgische Fachbegriffe, sondern auch Wörter wie 'Bischof', 'Rosenkranz' und 'Sakrament' enthält, sollte sicherstellen, dass auch Leser, die keine gelernten Katholiken sind, nicht an Verständnisschwierigkeiten scheitern. Sich klarzumachen, was der Nicht-Fachmann alles nicht weiß, ist allerdings gar nicht einfach. So wird ausgerechnet die im ersten Kapitel ständig angesprochene Eschatologie nicht erklärt. Auch Begriffe wie 'Exodusereignis', 'Sprengel' und 'Kairos' wären im Glossar gut aufgehoben. Bärsch/Kranemann bieten ein entsprechend ausgerichtetes Glossar (das auch das Stichwort 'Eschatologie' enthält), und auch sie wenden sich nicht allein an Theologen (I, 27).
Wenn sie ihrem Werk den Untertitel Rituelle Entwicklungen, theologische Konzepte und kulturelle Kontexte geben, erheben sie den Anspruch, die Geschichte der Liturgie keineswegs bloß aus sich selbst zu erklären, sondern sie in die allgemeinere Geschichte des Glaubens und der sozio-ökonomischen, kulturellen und mentalen Bedingungen einzuordnen. Das gelingt - wie auch sonst bei historischen Handbüchern und Gesamtdarstellungen - je nach Thema und Autor mehr oder weniger gut. Insgesamt ist hier sicherlich noch Luft nach oben, zumal die deutsche Forschung hier nicht die Avantgarde bildet. Ohnehin gingen entsprechende Anstöße eher von (Kirchen-)Historikern als von Liturgiewissenschaftlern aus, im deutschen Sprachraum etwa von A. Angenendt für das Mittelalter (der in I, 273-292, mit einem Beitrag zum Frühmittelalter vertreten ist), von P. Hersche und jüngst von A. Holzem für die frühe Neuzeit. Während sie breit berücksichtigt werden, sucht man nach manchem innovativen fremdsprachigen Autor oder Beitrag vergebens.
In ihrer Abhebung von überkommenen Zugängen und Interpretationen und den Versuchen, neue Ansätze möglichst breit zu integrieren, sind sich Bärsch und Bärsch/Kranemann sehr ähnlich, so dass die vorangehenden Ausführungen mehr oder weniger stark für beide Publikationen gelten, auch dort, wo nur die eine oder andere explizit genannt worden ist. Doch handelt es sich um Werke eigenen Rechts, die zudem auf der Skala wissenschaftlicher Gesamtdarstellungen gewissermaßen die beiden äußeren Positionen einnehmen: hier der kurze, einführende Überblick, dort das mehrbändige Handbuch.
Dass und wie Bärsch versucht, auf fachsprachlicher Ebene sein Thema möglichst voraussetzungslos anzugehen, ist schon angesprochen worden. Auch sonst nimmt die Darstellung auf Anfängerbedürfnisse Rücksicht. Sie ist mit ihren knapp 200 Seiten in zwölf Kapitel geteilt, die wiederum stark untergliedert sind. Wo es sich anbietet, werden Sachverhalte durch Diagramme oder Abbildungen verdeutlicht. Auf Anmerkungen wird verzichtet, wörtliche Zitate aber in einem Anhang nachgewiesen. Die Literaturangaben sind an die jeweiligen Kapitel angehängt. Bärsch macht hier das für ein derartiges Einführungswerk einzig richtige: eine ganz knappe Auswahl (zumeist zwischen einem halben und einem guten Dutzend Titel pro Kapitel), die aber kommentiert wird.
Bärsch/Kranemann hat dagegen Handbuchcharakter, und der Rezensent fragt sich, warum der Begriff 'Handbuch' im Titel nicht auftaucht, den heute Verlage - wenn irgend möglich - jedem Sammelwerk verpassen, um es in der Flut der Tagungsbände besser verkäuflich zu machen. Auch ohne diese Selbstbezeichnung erwartet den Leser ein Werk, das in hohem Umfang die Ansprüche erfüllt, die traditionell an ein Handbuch gestellt werden. Die Beiträge decken in den bereits benannten Grenzen die Chronologie lückenlos ab. Der mit der thematischen Beschränkung einhergehende Eurozentrismus wird exemplarisch durch ein Kapitel zu Brasilien aufgebrochen. Jedem Kapitel ist eine nach "Quellen" und "Literatur" differenzierende Bibliographie angehängt, die bzgl. der spezifisch liturgiewissenschaftlichen Literatur nicht nur sehr aktuell ist, sondern auch fremdsprachige Titel breit berücksichtigt. Auf Anmerkungen ist verzichtet worden, Referenzen werden in Klammern in den Text eingefügt.
Wenig 'handbuchmäßig' sind leider die Inhaltsverzeichnisse der beiden Bände, indem sie lediglich Autor und Titel des jeweiligen Kapitels nennen. Die umfangreichen, bis zu 70 Seiten umfassenden Kapitel sind tatsächlich differenziert gegliedert. Ein Vergleich zwischen mehreren Kapiteln legt zudem den Schluss nahe, dass den Autoren ein Gliederungskonzept vorgelegen hat, das aber nicht durchgängig sklavisch übernommen worden ist. Leider verliert diese differenzierte Binnengliederung der einzelnen Kapitel weitgehend ihren Wert, weil sie nicht vom Inhaltsverzeichnis abgebildet wird. Dadurch ist, wer das Werk unter einer bestimmten Fragestellung systematisch durchgehen möchte, auf das (allerdings sehr gute) Sachregister zurückgeworfen. Dieses Manko sollte bei einer Neuauflage auf jeden Fall behoben werden.
In einem weiteren Punkt hätte sich der Rezensent mehr Auskunftsfreude gewünscht. Dies betrifft - im großen wie im kleinen - die zeitlichen Abgrenzungen: Wann endet die "Neuzeit" und beginnt die "Moderne", wann geht diese in die "Gegenwart" über? Explizite Aussagen dazu sucht man vergeblich. Ein Blick auf die Abgrenzung zwischen Band 1 und 2 liefert keine klare Antwort: In Band 1 sind die katholische und die anglikanische Liturgie bis zur Aufklärung geführt, die lutherische und reformierte aber bis in das 19. Jahrhundert. Band 2 beginnt mit einem Beitrag über die katholische Liturgie in Frankreich, der im 16. Jahrhundert einsetzt, während das nächste Kapitel die "Katholische Liturgie der Aufklärungszeit" behandelt, jenes zur anglikanischen Kirche im 19. Jahrhundert einsetzt und die Kapitel zu den lutherischen und reformierten Liturgien sich auf das 20. Jahrhundert beschränken.
Das setzt sich im kleinen fort: Wie die "Liturgie in den ersten Jahrhunderten" (Kap. 3) zeitlich von jener "in der Alten Kirche" (Kap. 4 und 5) abgegrenzt ist, erfährt man weder aus den Kapitelüberschriften noch aus der Bandeinleitung, sondern erst bei der Lektüre der Kapitel selbst. Überhaupt enthält der Abschnitt "Aufbau und Zielsetzung des vorliegenden Bandes" im einleitenden Kapitel zwar bemerkenswerte programmatische Aussagen, geizt jedoch mit präzisen Angaben zu wichtigen Aspekten des Werkes. So lässt sich das besondere Kapitel zu Frankreich liturgiegeschichtlich gut begründen. Dies zu tun haben die Herausgeber aber unterlassen. Aber diese Detailkritik kann den sehr positiven Gesamteindruck nicht trüben.
Die beiden vorgestellten Werke fassen endlich die fruchtbaren und teilweise grundstürzenden Forschungen der letzten Jahrzehnte zusammen und verdichten sie zu aktuellen Gesamtdarstellungen. Sie versuchen, die Liturgiegeschichte nicht losgelöst von den übergreifenden historischen Entwicklungen zu betrachten, und zugleich Zugänge zum Thema über den Kreis der Experten hinaus zu eröffnen. Dieses Angebot sollten all jene Historiker nutzen, die davon profitieren können. Eine gute Ausrede (zu schwierig, zu abgelegen, verstehen ohnehin nur Experten), dies nicht zu tun, haben sie jedenfalls jetzt nicht mehr.
Anmerkungen:
[1] Yitzhak Hen: Key Themes in the Study of Medieval Liturgy, in: T & T Clark Companion to Liturgy, ed. b. Alcuin Reid, London / New York 2016, 73-92, hier 74.
[2] Die beiden hier zu besprechenden Werke werden nicht streng hintereinander abgehandelt. Gleichwohl können Verweise aufgrund der Seitenangaben auch ohne Titelnennung eindeutig dem jeweils gemeinten Werk bzw. Band zugeordnet werden, weil in der Anführung von Bärsch/Kranemann die Bandangabe als römische Ziffer der Seitenangabe vorangestellt ist, während eine einfache Seitenangabe immer auf Bärsch verweist.
[3] William Nagel: Geschichte des christlichen Gottesdienstes, 2. Aufl., Berlin 1970.
[4] Theodor Klauser: Kleine Abendländische Liturgiegeschichte. Bericht und Besinnung, 5. Aufl., Bonn 1965.
[5] Ebd., 95.
[6] Ebd., 9.
Stephan Waldhoff