Michael Rohrschneider: Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620-1688). Studien zu einem frühneuzeitlichen Mehrfachherrscher (= Historische Forschungen; Bd. 119), Berlin: Duncker & Humblot 2019, 230 S., ISBN 978-3-428-15343-5, EUR 59,90
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Historische Jubiläen entfalten bekanntlich seit je eine belebende Wirkung auf publizistische Aktivitäten und die Vermittlung wissenschaftlicher Themen in Kreisen außerhalb des Fachpublikums. Natürlich wird man angesichts der von solchen "Events" ausgehenden Anziehungskraft den Blick nicht davor verschließen können, dass mitunter eingetretene Pfade erneut beschritten und bekannte Themen neu "aufgehübscht" werden. Nicht jedoch in dem Fall des hier zu besprechenden Bandes. Michael Rohrschneider legt anlässlich des im Jahre 2020 bevorstehenden 400. Geburtstages des Kurfürsten Friedrich Wilhelm eine Sammlung jener Studien aus seiner Feder vor, die die Persönlichkeit, den Herrschaftsstil und die Zeit dieses brandenburgisch-preußischen Herrschers thematisiert haben.
In einer instruktiven Einleitung skizziert der Verfasser knapp, aber präzise den forschungsgeschichtlichen Hintergrund. Nach einer Hochzeit biografischer Forschung vom späten 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurde es danach in diesem Genre recht still. Biografien, noch dazu zu Herrscherpersönlichkeiten, galten als zu konventionell und antiquiert daherkommend und methodisch kaum innovativ. Dies spiegelte sich auch in der Beschäftigung mit dem Leben jenes Herrschers wider, der am Beginn des "Aufstiegs" des brandenburgisch-preußischen Gesamtstaates gestanden und demzufolge gerade in den durch die borussische Forschung geprägten Narrativen eine kaum zu überschätzende Bedeutung eingenommen hatte.
Der Band bietet ein breites Spektrum der thematischen Annäherung an diesen Forschungsgegenstand. Dem kommt zugute, dass sich Michael Rohrschneider auf verschiedenen Feldern der Frühneuzeitforschung einen Namen gemacht und dabei auch immer wieder die Politik des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm behandelt hat: Sei es im Umfeld seiner Dissertation, in der mit Fürst Johann Georg II. von Anhalt-Dessau einer der wichtigsten Angehörigen der politisch-höfischen Führungsgruppe in der brandenburgisch-preußischen Residenz im Mittelpunkt stand und die Veranlassung bot, sich in späteren Aufsätzen auch mit weiteren hohen Amtsträgern im Umfeld des "Großen Kurfürsten" zu beschäftigen, wie etwa dem Oberpräsidenten Otto von Schwerin. Einen weiteren thematischen Schwerpunkt in dem Band bilden das von Rohrschneider in mehreren Publikationen verfolgte und komparativ behandelte Problem der "Mehrfachherrschaft" bzw. der "zusammengesetzten Staatlichkeit" sowie außenpolitische Fragestellungen, die sein Œuvre vor allem im Umfeld seiner langjährigen Beschäftigung mit dem Westfälischen Friedenskongress und seinen Folgen prägten. Durch diesen mehrdimensionalen Zugriff wird der vorliegende Band einen gewichtigen Beitrag im Kontext der sicher zu erwartenden Publikationswelle im Jubiläumsjahr des "Großen Kurfürsten" darstellen.
Zwar kann diese Anthologie gewiss keine Biografie ersetzen; wichtige Bereiche der Herrschaftspraxis Friedrich Wilhelms, wie die Wirtschaftspolitik, die Bemühungen um den Aufbau des Heeres oder die Inszenierung innerhalb der höfischen Öffentlichkeit bleiben ausgespart. Gleichwohl bilden die hier veröffentlichten Beiträge Rohrschneiders wichtige Mosaiksteine für eine moderne Biografie dieses Kurfürsten und zeigen zugleich auf eindrucksvolle Weise, dass trotz einer scheinbar erdrückenden Literaturlage mit neuen methodischen Ansätzen neue Einsichten gewonnen werden können.
Ohne den Inhalt der in der Fachwelt zumeist einschlägig bekannten Einzelstudien noch einmal zu referieren, seien die genannten Vorzüge repräsentativ am Beispiel des Aufsatzes über die "Pommernpolitik des Großen Kurfürsten im Urteil der Geschichtsschreibung" knapp vorgeführt, bei dem es sich um die einzige Erstveröffentlichung eines Beitrags in dem Band handelt. Detailliert rekonstruiert der Verfasser die historiografischen Linien jenes wirkungsmächtigen Interpretaments, das ausgehend von Droysen den Kampf um den Besitz ganz Pommerns als Teil einer Strategie des angeblich "deutschen Berufes" Preußens zu erklären versuchte bis hin zu den Neuansätzen, die stärker die Handlungsspielräume und -zwänge eines Mehrfachherrschers in einer "composite monarchy" berücksichtigen. Deutlich wird dabei zugleich, dass es - wie so oft - eine "ex post factum"-Sicht war, die einige interpretatorische Fallstricke bereithielt. So hatte die damalige Forschung, dabei den späteren Aufstieg des Hohenzollernstaates vor Augen, schon frühzeitig das machtpolitische Potential des Hohenzollernstaates recht hoch veranschlagt.
Und last but not least dürfte von allen, die sich gegenwärtig und künftig mit dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg beschäftigen, dankbar das eigens für diesen Band angelegte Personenregister aufgenommen werden.
Frank Göse