Rezension über:

Wolfgang Behringer / Eric-Oliver Mader / Justus Nipperdey (Hgg.): Konversionen zum Katholizismus in der Frühen Neuzeit. Europäische und globale Perspektiven (= Kulturelle Grundlagen Europas; Bd. 5), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2019, 332 S., 4 Tbl., 10 Farbabb., ISBN 978-3-643-13981-8, EUR 39,00
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Rezension von:
Herbert Jaumann
Neunburg
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Herbert Jaumann: Rezension von: Wolfgang Behringer / Eric-Oliver Mader / Justus Nipperdey (Hgg.): Konversionen zum Katholizismus in der Frühen Neuzeit. Europäische und globale Perspektiven, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2019, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 2 [15.02.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/02/33582.html


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Wolfgang Behringer / Eric-Oliver Mader / Justus Nipperdey (Hgg.): Konversionen zum Katholizismus in der Frühen Neuzeit

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Während die ältere Forschung bekanntlich nicht nur, was den Gegenstand betrifft, stärker am Protestantismus interessiert, sondern auch in ihren Fragestellungen und Urteilen, zumindest in Deutschland, eher protestantisch-lutherisch gesinnt war, ist das schon seit Jahrzehnten anders geworden. Man kann sich eines offenbar reichen Vorrats an Quellen bedienen und die Erforschung der Gegenreformation wie auch der Rückkehr der 'Ketzer' und 'Häretiker' zum wahren Glauben der alten Kirche, der Konversionen also, ihrer Motive und Veranlassungen, der angewandten Verfahren sowie ihrer Zwecke und Funktionen für die Kirche und deren 'Konversionspolitik' kann heute auf einer soliden Grundlage aufbauen.

Dies demonstriert auch die vorliegende Sammlung weitgehend neuer Forschungsbeiträge - bei manchen handelt es sich um Auszüge aus neueren Publikationen des betreffenden Verfassers -, ein Band, der also einmal nicht auf eine Tagung zurückgeht. Die gut orientierende Einleitung der Herausgeber skizziert einige Aspekte der internationalen, interkulturellen und interdisziplinären Forschung über "die Konversionen zum Katholizismus im globalen Kontext" und gibt sodann einen Überblick über den Aufbau des Werkes. Dessen Beiträge sind thematisch miteinander verbunden durch die "Konversionstheorie der Katholischen Kirche, in welcher der menschliche Wille eine zentrale Rolle spielte" (16) und gegen die der lutherische Protestantismus mit seiner Lehre von der individuellen Rechtfertigung und einer generellen Subjektivierung des Glaubens sozusagen fast chancenlos war, zumindest unter den Bedingungen des 'Konfessionellen Zeitalters', der Offensive der alten Kirche infolge des Konzils von Trient und der wohlgezielten Aktivitäten neuartiger religiöser Orden wie besonders der Jesuiten. Die Situation, der sich eine Konversionssoziologie dieser Zeitlage gegenübersieht, wird durch ein 'Push and Pull'-Schema erläutert: Während auf protestantischer Seite Motive wie der innerkonfessionelle Unfriede und die Zersplitterung in immer mehr 'Protestantismen' sowie die zunehmende dogmatische Verhärtung (1577 die Konkordienformel) zur Konversion gedrängt haben mögen, lassen sich für eine erneute Anziehungskraft der römischen Kirche, die für deren Konversionserfolge entscheidend gewesen sein dürften, mehrere Faktoren nennen: das ehrwürdige Alter der Institution und die Autorität und Macht des Papsttums, die Tradition der jeweiligen eigenen Familie, die Einheit und Klarheit des Dogmas usw.

Der erste Teil des vierteilig konzipierten Bandes umfasst Beiträge über die systematische Konversionspolitik dieser Kirche und ihrer Institutionen (wie der nach wie vor aktiven Inquisition), die auch durch Gründung eigens dafür entworfener neuer Institutionen als Ergebnis des Tridentinums und seiner Beschlüsse realisiert wurde. Der zweite Teil ("Überzeugungs- und Absicherungsstrategien") beschäftigt sich mit den konkreten Verfahren und Methoden der Konversion, der Kommunikation (und Psychologie) also und der dafür traditionsgemäss zuständigen Rhetorik, zumal in ihrer Anwendung auf die kirchliche Homiletik, Paränese und Pastorale. Auch weil die rasch zurückgehende Attraktivität des Protestantismus zur Erklärung der erfolgreichen Konversionsbemühungen der alten Kirche nicht ausreicht, konzentriert sich der dritte Teil auf die sogenannten 'Fürstenkonversionen', einen prominenten Strategiebereich der Rekatholisierung aus (oft ausschließlich) weltlichen, d.h. meist politischen Motiven. Die Beiträge des vierten Teils schließlich beschäftigen sich mit dem Katholizismus Urbi et Orbi, dem weiten Feld der außereuropäischen, transkulturellen Konversionspolitik, d.h. der Christianisierung von Völkern in Mittel- und Südamerika, Afrika und Asien durch die katholischen Kolonialmächte Portugal, Spanien und später auch Frankreich, bei der es zwar um Formen der Konversion, aber natürlich nicht um eine Rekatholisierung von Häretikern (von 'abgefallenen' und zurückzugewinnenden 'Sündern') geht, sondern um 'Bekehrung' von 'Heiden' zur wahren Religion. Der Anhang enthält lediglich ein Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen sowie eine Liste der Autorinnen und Autoren, während bedauerlicherweise auf Register oder etwa ein Verzeichnis der wichtigsten Literatur ganz verzichtet wurde.

Grundlegend für Teil I ist der material-und detailreiche Beitrag "Protestanten, Juden und Muslime in Rom" von Ricarda Matheus (Mainz / Bonn) über die um die Mitte des 16. Jahrhunderts in Rom neu gegründeten zentralen Institute der kirchlichen Konversionspolitik, das Ospizio dei Convertendi und die Casa dei Catecumeni [1], und Albrecht Burkhardt (Limoges) handelt von der Verfolgung "falscher" Konvertiten durch die Inquisition in Italien, ein Beitrag, der auch im Kontext des forschungsaktuellen Dissimulations-Themas gelesen werden kann. [2] Zu den umfangreichsten Beiträgen gehören Texte in Teil II, besonders langwierig geraten sind hier Wolfgang Schilds (Bielefeld) Darlegungen zu Bekehrungsschriften von Friedrich Spee SJ, etwa dem Güldenen Tugend-Buch (zuerst 1649), mit seitenlangen Zitaten aus keineswegs entlegenen Quellen, während manches zur Sache Gehörige völlig unbeachtet bleibt, wie vor allem die gut begründete These von Berns über die Rolle der Uhrenmechanik für die Frömmigkeitsrhetorik. [3] Anne Conrads Beitrag (Saarbrücken) handelt von Frauen als Adressatinnen jesuitischer Konversionsarbeit sowie auch von den Aktivitäten der 1609 von Mary Ward gegründeten "Virgines Angliae" (noch heute die 'Englischen Fräulein'), einer weiblichen Entsprechung der 'Gesellschaft Jesu'. In das weite Feld der religiös-konfessionellen Ambiguität und Dissimulation gehört in mancher Hinsicht auch das vom Mitherausgeber Justus Nipperdey (Saarbrücken) bearbeitete Thema, das vor allem der Aufmerksamkeit von Interessenten an der frühneuzeitlichen Gelehrtenkultur sicher sein müsste: nämlich das öffentliche Beschweigen eigener konfessioneller Verortung wie auch gegebenenfalls einer Konversion in Kreisen der sogenannten 'Projektemacher', Vertreter jenes relativ neuen Gelehrtentypus um 1700 mit labilem sozialen Status und entsprechender Rollenunsicherheit, die oft "gleichzeitig als ökonomische Autoren, Unternehmer, fürstliche Berater und Alchemisten (auftraten)" (157). In Teil III über die 'Fürstenkonversionen', dem vielleicht bekanntesten, aber deshalb nicht weniger reizvollen Thema, werden wir durch einen Artikel Eric-Oliver Maders (München) eingeführt und die folgenden drei Beiträge handeln auf sehr unterschiedliche Weise von den Konversionen Heinrichs IV. von Frankreich (Rainer Babel, Saarbrücken / Paris), Königin Christinas von Schweden (Susanna Åkerman, Stockholm), die Åkerman zufolge entscheidend vom Hermetismus und Athanasius Kircher (also weniger von den Pariser 'libertins érudits') zum Konfessionswechsel bewogen wurde, sowie der Könige Karl II. (noch auf dem Sterbebett) und Jakob II. (1673) in England (Ronald Hutton, Bristol). Ein Text wie der von Hutton, der sage und schreibe ohne ein einziges Zitat auskommt, ist zumal hierzulande ein wahrhaft seltener Fall in geisteswissenschaftlichen Aufsätzen. Nicht zuletzt weil er seine Quellen nicht nur genau kennt, sondern so gründlich verarbeitet und reflektiert hat, dass sich noch jedes Detail in seinen eigenen Gedankengang und Sprachduktus integrieren lässt, entsteht eine dicht und überaus prägnant formulierte Abhandlung, in der kein Wort zu viel ist und die mit 6 Druckseiten auskommt (235-241), während andere für wenig mehr an Information fünfmal so viel brauchen. Teil IV enthält schließlich ausführliche und gut orientierende Beiträge zur Konversion indigener Fürsten in Mexiko und Perú (Iris Gareis, Frankfurt/M.), zu West- und Westzentralafrika von Kirsten Rüther (Wien) und von Stefan Eisenhofer (München) über die "Aneignung christlicher Sakralkunst im Königreich Kongo". Über die Fürstenkonversion in China berichtet der auch in Europa seit langem bekannte Historiker Ronnie Po-chia Hsia (Pennsylvania State University) und die an letzter Stelle gedruckte Arbeit der Historikerin Haruka Oba (Kurume-Universität, Japan) gehört zu den besten in diesem Band. Sie handelt von der Darstellung, besser: der Verwendung japanischer Fürstenkonversionen auf dem deutschen Jesuitentheater, unterrichtet aber zugleich auch über Grundsätzliches zum Verhältnis des frühneuzeitlichen Japan zur christlichen Missionierung und Konversionen zum katholischen Bekenntnis.

Fremd ist diesem Band jede, gar eine theorieförmig vorgetragene Art von Kritik, Quellenkritik ebenso wie Kritik der Religion und der Kirche, die ja bei einem Thema wie der Konversion, der Inquisition benachbart, nicht gar so fernläge. Er bietet vor allem Bestandsaufnahme, Deskription und Unterscheidung von Phänomenen, Orientierung über die Forschung und Benennung von Ergebnissen und Desideraten. Und weil das gewiss nicht wenig ist, sind die meisten Beiträge lesenswert.


Anmerkungen:

[1] Der Beitrag geht zurück auf einen wichtigen Sammelband: Barocke Bekehrungen. Konversionsszenarien im Rom der Frühen Neuzeit, hgg. von Ricarda Matheus / Elisabeth Oy-Marra / Klaus Pietschmann, Bielefeld 2013. Vgl. auch: Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit, hgg. von Ute Lotz-Heumann / Jan-Friedrich Missfelder / Matthias Pohlig, Gütersloh 2007.

[2] Vgl. den Band: Konfessionelle Ambiguität. Uneindeutigkeit und Verstellung als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit, hgg. von Andreas Pietsch / Barbara Stollberg-Rilinger, Gütersloh 2013, und die Rezension des Verfassers, in: literaturkritik.de 5(2014). - Peinlich, aber den Wert des Beitrags von Burkhardt nicht vermindernd ist allerdings, dass das für den Titel verwendete treffliche ital. Zitat von der "ingorda peccaminosa sete dell'interesse" (etwa: der so unersättlich gierigen, sündhaften Gewinnsucht) im Text falsch übersetzt wird, nämlich als "Sekte des [pekuniären] Interesses" (72), ital. sete (Durst, Gier) wurde offenbar als 'Sekte' (das wäre la setta) missverstanden. - Dort auch in Anm. 65 das aus einem Gutachten des Ospizio dei Convertendi von 1737 stammende Zitat im vollen Wortlaut.

[3] Jörg Jochen Berns: "Vergleichung eines Vhrwercks, vnd eines frommen andächtigen Menschens". Zum Verhältnis von Mystik und Mechanik bei Spee, in: Friedrich von Spee. Dichter, Theologe und Bekämpfer der Hexenprozesse, hg. von Italo Michele Battafarano. Gardolo di Trento 1988, 101-206.

Herbert Jaumann