Rezension über:

Gerlinde Huber-Rebenich (Hg.): Jacques Bongars (1554-1612). Gelehrter und Diplomat im Zeitalter des Konfessionalismus (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation; 87), Tübingen: Mohr Siebeck 2015, XII + 148 S., ISBN 978-3-16-152724-1, EUR 79,00
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Rezension von:
Herbert Jaumann
Neunburg
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Herbert Jaumann: Rezension von: Gerlinde Huber-Rebenich (Hg.): Jacques Bongars (1554-1612). Gelehrter und Diplomat im Zeitalter des Konfessionalismus, Tübingen: Mohr Siebeck 2015, in: sehepunkte 16 (2016), Nr. 9 [15.09.2016], URL: https://www.sehepunkte.de
/2016/09/27339.html


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Gerlinde Huber-Rebenich (Hg.): Jacques Bongars (1554-1612)

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Anders als der lutherische Protestantismus mit seiner Beschränkung auf südwestliche, mittel- und norddeutsche Territorien des Reiches ist der europäische Calvinismus vor dem Dreißigjährigen Krieg transnational. Trotz fortschreitender Konfessionalisierung, der nach dem Tridentinum (1563) einsetzenden Gegenreformation und der Massenexilierung gerade unter den Reformierten in Frankreich und den Niederlanden [1] brachte diese 'Zweite Reformation' unter dem Vorzeichen eines internationalen Calvinismus im westlichen Europa eine Blütezeit zumal für die späthumanistische Gelehrtenkultur. Umgekehrt wurde durch die in den Netzwerken der Respublica litteraria verbundenen Philologen, Juristen und Politiker [2], von denen die wenigsten strenge Calvinisten waren, aus diesem Calvinismus eine übernationale Kultur, für die man fast die leicht anachronistische Bezeichnung 'liberal' verwenden könnte. Man denke an Zentren wie Leiden und Amsterdam, in Deutschland Heidelberg und Kassel, an den Pariser libertinage érudit (Pintard) und an Gelehrte wie Lipsius und Joseph Scaliger, Lingelsheim, Opitz und Casaubon. Heinz Schilling hat von diesen Jahrzehnten um 1600 von der "Vorsattelzeit" für die Konstitution der Moderne gesprochen [3] - eine sozusagen 'satteltechnisch' etwas schwierige Metapher, aber man versteht, was gemeint ist.

Zu den kennzeichnenden Rollen der Akteure in der Kultur dieses politischen Calvinismus gehört der 'gelehrte Gesandte', und Jacques Bongars repräsentiert "diesen Karriereweg [...] geradezu idealtypisch" (VI). Geboren in einer Juristenfamilie in Orléans, erhält er bereits seine Ausbildung im deutschen Exil (Schule und Studien in Marburg und Jena, später noch Jurisprudenz besonders in Bourges) und amtiert von den 80er-Jahren bis 1610 als Geschäftsträger (Botschafter) des Königs Henri IV in Deutschland. Bongars' umfangreiche Bibliothek, Briefe und der übrige Nachlass liegen bereits seit 1632 in Berner Bibliotheken [4], weshalb dort aus Anlass des 400. Todesjahres im März 2013 ein Kolloquium stattfand, auf dessen Vorträge die Aufsätze des Sammelbandes zurückgehen. Die Herausgeberin Gerlinde Huber-Rebenich, selbst Klassische Philologin in Bern, macht in ihrem prägnanten Vorwort dessen drei thematische Schwerpunkte deutlich: (1) Über Funde in Briefsammlungen und Manuskriptbeständen außerhalb Berns berichten Alexa Renggli mit detailierten Einblicken in die Bestände in der Zentralbibliothek Zürich sowie Charles-Eloi Vial über Bongars-Mss. in der Pariser BNF. (2) Den jungen Bongars als tüchtigen Philologen und den angehenden Diplomaten als Orient-Reisenden lassen drei Beiträge sehr viel deutlicher werden, als man das der bisherigen Forschung entnehmen kann: Andreas Ammann (Bern) schreibt ausführlich über die Justin-Ausgabe, die früheste und gewiss größte Leistung des Philologen Bongars (gedruckt 1581). Es handelt sich um eine Edition der unter dem Titel Historiae Philippicae von dem kaiserzeitlichen Historiker Pompeius Trogus verfassten und nicht überlieferten Weltgeschichte in 44 Büchern, von der ein gewisser Iunianus Iustinus zwischen dem 2. und 4. Jahrhundert eine Epitome hergestellt hat. Ammann beschreibt diese Edition, ihre Entstehung und Methode, sehr genau und zeigt insbesondere, wie der junge Philologe sich mit dieser Leistung erste Anerkennung in der Respublica litteraria, zunächst bei keinem Geringeren als Lipsius, zu verschaffen versteht ("Editionsphilologie und Gelehrtennetzwerk"). Im Zusammenhang seiner Stammbücher-Forschung wertet Walther Ludwig das bisher unbeachtete Exemplar des jungen Bongars aus, das diesen 1585/86 auf seiner großen Reise von Prag über Wien nach Konstantinopel begleitete, einer Reise, die Ludwig mit guten Gründen als abgebrochene Palästinareise verstanden wissen will (ein im Ms. überlieferter Reisebericht ist schon lange bekannt und gedruckt), und Joanna Weinberg (Oxford) handelt mit Bezug auf dasselbe Stammbuch ausführlicher über Bongars' Interessen am Judentum während des Prager Aufenthalts. Leider erfahren wir nichts über seine anderen philologischen Arbeiten, etwa seine Textsammlung zur ungarischen Geschichte und besonders die Annotationen zu Martianus Capella, die erst mehr als ein Jahrhundert später in der Edition von Walthard (1763) gedruckt wurden. [5]

Den dritten Schwerpunkt des Bandes über Strukturen und Netzwerke des Calvinismus im Hinblick auf (außen)politische und gelehrte Kommunikation bilden informative Beiträge von Philip Benedict (Genf) über "French Protestants in the Service of the Crown, 1554-1612", von Ruth Kohlndorfer-Fries, der man die erste größere und vorläufig maßstabsetzende Monografie verdankt [6], über die jahrzehntelange Verbindung des hugenottischen Diplomaten mit dem niederländischen Unternehmer Daniel van der Meulen ("Unternehmertum - Politik - Gelehrsamkeit"), sowie schließlich Heinz Schilling (Berlin), der weiter ausholt und Grundbegriffe aus dem Problemhaushalt seiner Forschungen zur protestantischen Konfessionalisierung liefert: "Protestantische Netzwerke und politische Außenbeziehungen im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts". Zumal in den Abhandlungen dieses Schwerpunktes vermisst man eine Anbindung an die doch naheliegende zeitgenössische Diplomatie-Theorie um 1600 und davor, die in Deutschland durch den Legatus (1604) des Marburger Juristen-Philologen Hermann Kirchner bekannt war, aber an maßgebliche Schriften des vorangehenden Jahrhunderts in Frankreich und Italien anschließen konnte (Ottaviano Maggi u.a.). [7]


Anmerkungen:

[1] Vgl. Heinz Schilling: Niederländische Exulanten im 16. Jahrhundert, Gütersloh 1972.

[2] Vgl. Herbert Jaumann: Respublica litteraria: Partei mit einem Programm der Parteilosigkeit. Gegen das anachronistische Mißverständnis eines mehrdeutigen Konzepts der Frühen Neuzeit, in: Jb. Aufklärung 26 (2014), Thema: Gelehrtenrepublik, 17-30.

[3] In Heinz Schillings Grundlagenwerk: Aufbruch und Krise. Deutschland 1517-1648, Berlin 1988, 267-370.

[4] Vgl. "Ein herrliches Präsent". Die Bongars-Bibliothek seit 350 Jahren in Bern, hg. von Christoph v. Steiger u.a., Bern 1983 (Ausstellungskatalog); und Raphael Breuer: Der Berner Codex 149 b. Beiträge zur Biographie des Jacques Bongars und zur Geschichte seiner diplomatischen Tätigkeit in Deutschland 1589-1606, Mainz 1905.

[5] Jacobus Bongarsius (ed.): Rerum Hungaricarum Scriptores varii, Krakau 1582, Hannover 1611. Bongars' Noten zu De nuptiis philologiae et Mercurii libri II des Martianus Capella befinden sich handschriftlich in der Ausgabe Basel: Henricus Petrus 1532 und wurden im Druck in die Ausgabe Bern: Wagner 1763, hg. von Beat Ludwig Walthard, übernommen (in: Variae lectiones). Vgl. auch Albert Jahn: Die Kunde und Benutzung der Bongarsischen Hss.- und Büchersammlung der Stadtbibliothek in Bern, Bern 1878.

[6] Ruth Kohlndorfer-Fries: Diplomatie und Gelehrtenrepublik. Die Kontakte des französischen Gesandten Jacques Bongars (1554-1612), Tübingen 2009; dazu die instruktive Rezension von Friedrich Beiderbeck in: sehepunkte 12 (2012), Nr. 6. Unbedingt heranzuziehen ist auch Axel E. Walter: Späthumanismus und Konfessionspolitik. Die europäische Gelehrtenrepublik um 1600 im Spiegel der Korrespondenzen Georg Michael Lingelsheims, Tübingen 2004.

[7] Hermann Kirchner: Legatus. Cunctis tum in juris prudentiae politicarumque artium studiis, tum in reipublicae administratione versantibus, Lich 1604, 2., erw. Ausg. in 2 Bdn., Marburg 1614. Vgl. Verfasser: Art. Kirchner, Hermann (1562-1620), in: 2Killy Literaturlexikon, Bd. 6 (2009), 427-429.

Herbert Jaumann