Jeff Kendrick / Katherine S. Maynard (eds.): Polemic and Literature Surrounding the French Wars of Religion (= Studies in Medieval and Early Modern Culture; LXVIII), Berlin: De Gruyter 2019, X + 208 S., 1 Tbl., 9 s/w-Abb., ISBN 978-1-5015-1803-4, EUR 86,95
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Der von Jeff Kendrick und Katherine S. Maynard herausgegebene Band versammelt die Beiträge einer Konferenz, die 2015 am Virginia Military Institute stattfand und sich dem Thema "Wars of Words, Words of War" widmete, also nach dem Zusammenhang zwischen den Französischen Religionskriegen als sowohl militärischen wie auch polemisch-publizistischen Auseinandersetzungen fragte. Diese Forschungsperspektive, die bereits durch die Arbeiten etwa Barbara Diefendorfs eröffnet worden ist, hat in den letzten Jahren wieder vermehrt Aufmerksamkeit erfahren und zur Veröffentlichung mehrerer inzwischen einschlägiger Studien geführt, die unser Wissen über die Debatten der Französischen Religionskriege, ihre Inhalte und Funktionsweisen, auf breiter Basis erweitert haben. [1]
In ihrer Einleitung formulieren die Herausgeber ein doppeltes Erkenntnisinteresse als konzeptionellen Rahmen für die Analyse des Verhältnisses zwischen militärischer und polemischer Auseinandersetzung: "How did these texts create these conflicts, and how did the conflicts create the texts?" (2). Dafür wird ein breiter, von der Funktion und nicht von der Form her gedachter, Polemikbegriff zu Grunde gelegt: Es geht weniger um 'klassische' Quellengattungen polemischer Literatur, wie etwa Pamphlete oder Flugschriften, sondern um Polemik als öffentliche Auseinandersetzung über und durch "fighting words" (2), als Argumentationstechnik und Modus der öffentlichen Debatte also. Diese Ausdehnung des Polemikbegriffs, die die Herausgeber auch mit den etymologischen Wurzeln des erstmals in den Französischen Religionskriegen auftauchenden Begriffs polémique begründen, erscheint angesichts der mitunter artifiziell wirkenden Trennung zwischen polemischen und nicht-polemischen Texten, wie etwa Frédéric J. Baumgartner sie vorgenommen hat, durch die Möglichkeit zur Einbeziehung breiterer Quellen einerseits überzeugend und weiterführend.[2] Andererseits sollte jedoch im Auge behalten werden, dass auch die hier vorgenommene Ausweitung keine zeitgenössischen Denkhorizonte und Kategorien abbildet, da die Klassifizierung einer Veröffentlichung als "polemisch" aus der Perspektive der Akteure des 16. Jahrhunderts ja gerade auf die Markierung scheinbar wenig qualitätvoller Debattenbeiträge abzielte und die Zeitgenossen sich dabei durchaus an der Form und weniger der Funktion orientierten. Der funktionale Polemikbegriff erklärt sich aber - und vor diesem Hintergrund ist obige Anmerkung zu verstehen - ganz wesentlich aus der disziplinären Verortung des Sammelbands im literatur- und nicht im geschichtswissenschaftlichen Feld. Diesen Forschungskontext gilt es sich auch bei den einzelnen Beiträgen bewusst zu machen, die weniger an jüngere geschichtswissenschaftliche und mehr an literaturwissenschaftliche Debatten zu den Französischen Religionskriegen anknüpfen.
Dabei bilden die einzelnen Beiträge sowohl zeitlich als auch thematisch ein breites Spektrum ab. Zeitlich orientieren sie sich zwar an der 'engen' Periodisierung der Französischen Religionskriege mit 1562 als Start- und 1598 als Endpunkt, gehen aber durch Beiträge, die den Einfluss biblischer Motive auf die Produktion satirischer Texte in den 1550er Jahren (Christopher Flood) und die Rezeption der Pazifikationsbemühungen in den 1610er Jahren (Katherine S. Maynard) untersuchen, etwas darüber hinaus. Thematisch konzentrieren sie sich auf 'kanonische' Autoren wie Pierre de Ronsard und Antoine de Chandieu (Charles-Louis Morand-Métivier), Jean Begat (Jeff Kendrick) oder Agrippa d'Aubigné (Kathleen Perry Long, Marcus Keller, Ashley Voeks), was zunächst ebenfalls konventionell erscheinen mag, durch die innovative Fokussierung auf den Konnex zwischen den militärischen und den polemischen Konflikten aber im Detail zu interessanten Beobachtungen führt, von denen einige hier umrissen werden sollen:
So zeigt etwa der Beitrag von Charles-Louis Morand-Métivier zur Auseinandersetzung zwischen Pierre de Ronsard und Antoine de Chandieu in den 1560er Jahren anschaulich, wie eng in öffentlichen Debatten nicht nur auf die inhaltlichen Argumente, sondern auch auf ihre sprachliche Gestaltung Bezug genommen wurde, wenn es um die Abfassung entsprechender Repliken ging. (28-48). Amy Graves Monroe untersucht anhand der Gestaltung von Titelblättern, wie bereits auf dieser formalen Ebene nicht nur ein Kampf zwischen den Autoren, sondern auch um die Aufmerksamkeit von Lesern (und damit letztlich Käufern) geführt wurde. Brooke Di Lauros Beitrag zu Maurice Scève, Pierre de Ronsard und Joachim Du Bellay macht den Konnex zwischen der volkssprachlichen Debatte und der Verbreitung von Vorstellungen deutlich, die nicht nur der französischen Sprache, sondern auch der französischen Kultur erhebliche Bedeutung beimaßen. (86-100). Ashley Voeks thematisiert anhand von Agrippa d'Aubignés "Chambre dorée", wie stark zeitgenössische Perzeptionen eines gleichermaßen geographisch-räumlich wie juristisch-administrativ verwüsteten Landes ihren Niederschlag in literarischen Texten fanden und entsprechend aus diesen, als gegenwartsdiagnostischen Beobachtungen, abgelesen werden können. (130-151). Diese Liste von durchaus weiterführenden Detailbeobachtungen ließe sich noch erweitern, das thematische Spektrum der Beiträge dürfte allerdings sichtbar geworden sein.
Wenngleich die erkenntnisleitende und zu Beginn formulierte Frageperspektive auf die Wechselwirkungen zwischen militärischer und polemischer Gewalt abzielte, ist es doch vor allem der literarische Niederschlag militärischer und gewalttätiger Ereignisse und Prozesse, der in den Beiträgen untersucht wird. Es geht stärker um die Verarbeitung von Gewalt als um ihre Entzündung, wie sie etwa für die Veröffentlichungen Artus Desirés im Paris der späten 1560er Jahre untersucht worden ist.[3] Das schmälert den Beitrag der hier zusammengestellten Beiträge keineswegs, sollte jedoch bei der Lektüre ebenso berücksichtigt werden wie die disziplinäre Verortung in literaturwissenschaftlichen Kontexten. Insgesamt bietet der Sammelband gerade auf Grund der Vielzahl der Detailbeobachtungen eine Menge Lesens- und Lernenswertes und ist, auch angesichts des nicht nachlassenden Interesses an den publizistischen Debatten der Französischen Religionskriege, insgesamt ein wertvoller Beitrag zur Forschung.
Anmerkungen:
[1] Zur Forschungsperspektive generell Barbara Diefendorf: Simon Vigor. A Radical Preacher in Sixteenth-Century Paris, in: The Sixteenth Century Journal 18 (1987), 399-410, als exemplarische neuere Studie zu den Debatten der Französischen Religionskriege Tatiana Debaggi Baranova: A coups de libelles. Une culture politique au temps des guerres de religion (1562-1598), Genf 2012 (=Cahiers d'Humanisme et Renaissance; 104).
[2] Frédéric J. Baumgartner: Radical Reactionaries. The Political Thought of the French Catholic League, Genf 1976 (=Études de philologie et d'histoire; 29). In diesem Punkt knüpft der Ansatz explizit an Natalia Wawrzyniak: Lamentation et polémique au temps des guerres de Religion, Paris 2017 an.
[3] Frank S. Giese: Artus Désiré and Pamphleteer of the Sixteenth Century, Chapel Hill 1971.
Christian Wenzel