Frederike Schotters: Frankreich und das Ende des Kalten Krieges. Gefühlsstrategien der équipe Mitterrand 1981-1990 (= Studien zur Internationalen Geschichte; Bd. 44), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2019, XII + 462 S., ISBN 978-3-11-059564-2, EUR 59,95
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Vor einigen Jahren führte Ute Frevert den Begriff der Gefühlspolitik in die historische Forschung ein. Sie charakterisierte damit das Bestreben Friedrichs II., die Zustimmung und Zuneigung seiner Untertanen zu gewinnen und politisch zu nutzen. Frederike Schotters knüpft an Freverts Begriff und die ihm zugrunde liegenden emotionsgeschichtlichen Ansätze an und möchte sie für die Diplomatiegeschichte, konkret zur Untersuchung der französischen Außenpolitik der Zeit zwischen 1981 und 1990, fruchtbar machen.
Zur Erläuterung ihres Ansatzes betreibt Frederike Schotters zunächst einen relativ hohen Aufwand. Sie setzt sich in der Einleitung mit der Emotionsgeschichte ebenso auseinander wie mit den Ansätzen der Diplomatiegeschichte und versucht beide aufeinander zu beziehen. Geht man zunächst von der Diplomatiegeschichte aus, lassen sich hier grob vereinfachend zwei Pole benennen. Auf der einen Seite steht die klassische Schule derjenigen, die Diplomatie als Ausdruck einer möglichst rationalen Verfolgung der Interessen des jeweiligen Staates analysieren. Auf der anderen Seite gibt es die Arbeiten, die - durchaus im Rahmen der klassischen Interessenvertretung - dem persönlichen Handeln der Staats- und Regierungschefs sowie ihrer Außenminister und insbesondere ihrer Fähigkeit einen persönlichen Draht oder gar eine "Freundschaft" mit ihren jeweiligen Gesprächspartnern aus den anderen Ländern aufzubauen, einen hohen Stellenwert zumessen. Gerade für das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich haben hier die vermeintlich gut harmonierenden oder gar freundschaftlich miteinander verkehrenden "Couples" de Gaulle/Adenauer, Schmidt/Giscard oder Kohl/Mitterrand immer einen ebenso zentralen Platz in der Argumentation wie umgekehrt das vermeintlich kühle Verhältnis zwischen Pompidou und Brandt oder zwischen Schmidt und Mitterrand. Der emotionalen Ebene wird dabei häufig ein durchaus beachtlicher Einfluss zugeschrieben, ohne dies aber zumeist theoretisch und methodisch näher zu reflektieren. Genau darum aber geht es Schotters in ihrer Arbeit, indem sie sich zwischen den genannten Polen situiert und das Einsetzen, Erkennen und Evozieren von Emotionen als spezifische Strategie analysieren will. Sie zielt vor allem auf den Nachweis, dass die Analyse ebenso wie die Inszenierung von Emotionen - allen voran von Vertrauen und Misstrauen, aber auch von Angst und Bedrohung - ein wichtiges Element in den strategischen außenpolitischen Überlegungen Mitterrands und seiner "équipe" war.
Dabei konzentriert sie sich nicht allein auf Mitterrand als Person, sondern nimmt vielmehr seine "équipe" insgesamt in den Blick, der sie einen hohen Stellenwert für die Abstimmung aller außenpolitischen Fragen zumisst. Entsprechend wendet sie sich im ersten Kapitel zunächst der Frage zu, wer neben Mitterrand die wichtigsten außenpolitischen Akteure in seinem Umfeld waren, und legt dar, inwieweit Mitterrand und seine weitgehend männlichen Mitstreiter bei Regierungsantritt bereits klar definierte außenpolitische Konzeptionen besaßen. Überzeugend legt die Verfasserin dar, dass Mitterrand bei Amtsantritt zwar über gewisse außenpolitische Grundüberzeugungen, aber kein konkretes Programm verfügte. Stattdessen agierten Mitterrand und seine "équipe" nicht zuletzt deswegen pragmatisch und flexibel, weil sie auf das durchaus erhebliche Misstrauen reagieren mussten, das ihnen insbesondere von den konservativen Regierungen in Washington und London aufgrund der kommunistischen Regierungsbeteiligung entgegenschlug. Mitterrand und seiner "équipe" ging es zunächst darum, vor allem in Washington Vertrauen aufzubauen und als Gesprächspartner ernst genommen zu werden. Doch Mitterrands Vorstellungen von einer gleichberechtigten Partnerschaft mit den USA wurden trotz einer demonstrativen Hinwendung zu den Amerikanern zunächst schnell enttäuscht. So war gerade die Anfangsphase von Mitterrands Außenpolitik weniger von einer immer ganz klaren Linie als dadurch geprägt, einerseits Vertrauen aufzubauen und sich andererseits Spielraum und Respekt für eine eigenständige Position Frankreichs zu erarbeiten.
In einer Kombination aus Chronologie und Systematik analysiert Schotters dann die verschiedenen, zentralen Stationen der außenpolitischen Entwicklung im Kalten Krieg, wobei vor allem die Beziehungen zu Washington, Moskau und Bonn - weniger die zu London - in den Blick genommen werden. Insgesamt ist die Arbeit dadurch geprägt, dass die Verfasserin eine Reihe von Urteilen in der Literatur widerlegen möchte, die der französischen Außenpolitik der 1980er Jahre unterstellen, dass sie keine besonders aktive Rolle gespielt habe. Die französische Politik, so diese Sichtweise, habe eher versucht, an Altem festzuhalten als den Wandel zu gestalten. Frederike Schotters kann hier insbesondere an Frédéric Bozo anschließen, der bereits gezeigt hatte, dass Mitterrand vor allem in der Europapolitik relativ früh deutlich aktiver und konstruktiver war, als es ihm zum Teil nachgesagt wird. Auch was sein Agieren im Prozess der deutschen Einigung angeht, stützt sie die inzwischen dominante Forschungsmeinung, dass Mitterrand durchaus nicht versuchte, diesen Prozess zu torpedieren. Nach einer gewissen Phase gegenseitigen Misstrauens Ende des Jahres 1989 habe Mitterrand eine deutlich konstruktivere Rolle gespielt, als zum Teil immer noch behauptet wird. Nicht zuletzt im Kontext der Abrüstungsgespräche sei es Mitterrand gelungen, das Vertrauen beider Seiten zu gewinnen; Frankreich habe hier eine sehr konstruktive Rolle gespielt. Gegenüber den USA habe Mitterrand seine Position, "zwar verbündet, aber eigenständig" zu sein, (433) verstärkt durchsetzen können, so dass er zunehmend als gleichberechtigter Gesprächspartner wahrgenommen worden sei, und gegenüber Gorbatschow habe er Verständnis für die "anhaltende[n] Bedrohungsrezeptionen" wecken können.
Den Schlüssel für die von ihr beanspruchte Neuinterpretation von Mitterrands Außenpolitik sieht Schotters nun in der "Gefühlsstrategie", die seinem außenpolitischen Agieren zugrunde gelegen habe. So habe Mitterrand sich insbesondere dadurch Handlungsspielräume geschaffen, dass er bestimmte Bedrohungsszenarien und anschließende Lösungsstrategien entworfen habe. Zudem hätten er und seine "équipe" immer wieder "Empathie" für die Haltung der jeweils anderen Seite entwickelt und dadurch Vertrauen gewinnen können. Tatsächlich kann die Verfasserin an verschiedenen Einzelbeispielen herausarbeiten, wie Mitterrand in der Lage war, Emotionen als "Ressourcen für politisches Handeln" (436) zu verwenden, Vertrauen und Empathie zu inszenieren und für seine Zwecke zu nutzen. Dieser Ansatz ist hier insoweit überzeugend, als damit der Gegensatz zwischen Emotionen und interessengesteuertem Handeln gleichsam aufgehoben wird. Die Erzeugung und die Inszenierung von Emotionen werden so als Teil einer Strategie ernst genommen und analysiert. Problematischer allerdings erscheint, wenn Schotters dann letztlich doch mit mehr oder weniger "realen" Emotionen argumentiert und wenn sie Mitterrand und seiner "équipe" wiederholt "Empathie" als Handlungsgrundlage zuschreibt. Aber ist es tatsächlich "Empathie", wenn man sich in die Position des Verhandlungspartners hineinversetzt, oder nicht doch eher kluge Vorbereitung - eben Teil einer Strategie? Würde man Mitterrands Afrikapolitik mit hinzunehmen, könnte man auch hier ohne Zweifel die großen Inszenierungen von Freundschaft und Verständnis beobachten. Aber war dies tatsächliche Empathie und nicht nur deren Inszenierung? Die dürfte sich hier kaum herausfinden lassen. Mitterrands Agieren in Ruanda sei hier nur als ein Beispiel genannt. Möglicherweise würde die Verfasserin dies auch von sich weisen, doch begibt sie sich selbst auf das Glatteis, wenn sie mit "tatsächlichen" Emotionen - etwa Mitterrands Misstrauen oder eben der Empathie - und nicht nur mit deren Inszenierung argumentiert.
In gewisser Weise lässt sich die Studie von Frederike Schotters zum Ende des Kalten Krieges komplementär zu Wilfried Loths Studie zur Entstehung des Kalten Krieges lesen. Hatte Loth damals gezeigt, wie gegenseitige, auf Misstrauen beruhende Fehlwahrnehmungen zwischen den USA und der UdSSR zum Beginn des Kalten Krieges geführt hatten, lässt sich mit Frederike Schotters Studie nun argumentieren, dass Frankreich mit seiner auf Vertrauensbildung ausgerichteten Politik zu dessen friedlichen Ende beigetragen hat. Ein Alleinstellungsmerkmal der französischen Politik wird man darin allerdings kaum sehen können. Auch wenn Frankreichs Rolle tatsächlich aktiver und konstruktiver war als zum Teil angenommen, war sie ohne Zweifel eingebunden in eine sehr komplexe Gemengelage von Misstrauen und Vertrauensbildung. Unabhängig davon, ob man der Verfasserin in allen Punkten folgt, besteht kein Zweifel, dass Fredrike Schotters hier eine profunde und in vielem sowohl inhaltlich als auch methodisch sehr anregende Studie zur Außenpolitik Mitterrands vorgelegt hat.
Jörg Requate