Jens Niebaum / Herbert Karner / Eva-Bettina Krems u.a. (Hgg.): Sakralisierungen des Herrschers an europäischen Höfen. Bau - Bild - Ritual - Musik (1648-1740), Regensburg: Schnell & Steiner 2019, 352 S., 92 Farbabb., ISBN 978-3-7954-3336-9, EUR 60,00
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Mit der Frage nach den Sakralisierungen des Herrschers an europäischen Höfen in den hundert Jahren nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, nehmen die Beiträge des Sammelbandes Bezug auf eine Forschungsdebatte, die in der Einleitung knapp, aber sehr konzise beschrieben wird. Es wurde in der Forschung von verschiedenen Seiten bestritten, dass den Herrschern im 18. Jahrhundert noch eine sakrale Aura anhaftete bzw. zugeschrieben wurde. Vielmehr lasse sich auch bei der Wahrnehmung der europäischen Könige zum Ende des 17. Jahrhunderts ein Säkularisierungsprozess ausmachen, in dessen Folge Herrscher im 18. Jahrhundert als bloß weltliche Obrigkeiten ohne sakrale Aura wahrgenommen worden seien. Die Herausgeber des vorliegenden Sammelbandes kritisieren diese Interpretation, da sie nur die Wahrnehmung seitens der Untertanen in den Blick nehme, "die Rezeptionsebene einseitig aufwertet und im Gegenzug die Produzentenseite nicht mehr adäquat einbindet" (16). Nimmt man jedoch die "Produzentenseite" in den Blick, so die Herausgeber, so lässt sich um 1700 geradezu eine Konjunktur sakraler Herrschaftsinszenierungen an den europäischen Königshöfen ausmachen. Die Bandbreite dieser Inszenierungen in unterschiedlichen medialen Figurationen vorzuführen ist das Ziel des vorliegenden Sammelbandes.
In den versammelten 13 Beiträgen wird insbesondere deutlich, dass die Inszenierung eines "Nahverhältnisses" (27) des Herrschers oder einer Dynastie zu Gott auf sehr unterschiedliche Weise vonstattengehen konnte. Jens Niebaum widmet sich der Analyse von Kirchenfassaden prominenter Kirchen in den Residenzstädten Paris, Berlin und Wien. Sakralisierung meint hier die Visualisierung des Besitzes der Passionsreliquien seitens der französischen Monarchie und den damit einhergehenden Verweis auf Ludwig den Heiligen wie in der Fassade des Invalidendoms, Verweise auf alttestamentliche Propheten und Könige wie in der Fassade des Berliner Doms oder Anspielungen auf das Ausharren Kaiser Karls VI. in der Residenzstadt Wien während der Pest und die Rolle des Herrschers beim Erflehen göttlicher Gnade. Cornelia Jöchner führt am Beispiel des Hauses Savoyen vor, wie sich eine Dynastie zur Selbstdarstellung sowohl prominenter Reliquien bemächtigte als auch mit den Mitteln des Kirchbaus das Umland der Residenzstadt zu einer Art Sakrallandschaft umformte. Štěpán Vácha widmet sich der Rolle Kaiser Karls VI. bei der Vollendung des Prager Veitsdomes in gotischem Stil, die in Zusammenhang stand mit der Verehrung des soeben heiliggesprochenen Nepomuk. Hendrik Zieler führt anhand der Denkmäler des Markgrafen Christian Ernst von Brandenburg-Bayreuth vor, wie selbst profane Siegesdenkmäler mit biblischen Analogien auch sakrale Bedeutung beanspruchten. Herbert Karner fragt nach der verbindenden Bedeutung der nach 1640 an vielen Orten der Habsburgermonarchie errichteten Mariensäulen und deutet sie als sichtbare "Heilmittel gegen die Religionskrankheit" (150), also als Denkmäler der Gegenreformation, wobei er sich insbesondere dem ikonografischen Programm der Mariensäulen in Preßburg und in Wien zuwendet. Barbara Arciszewska beschreibt die Trauerfeierlichkeiten für die verstorbenen Könige von Polen-Litauen in der Frühen Neuzeit als Feste für die Sinne der Trauernden, die Frage nach der Sakralität des Herrschers rückt in diesem Beitrag sehr in den Hintergrund. Eva-Bettina Krems widmet sich den spezifischen Frömmigkeitspraktiken und den damit einhergehenden Sakralitätsbehauptungen der bayerischen Kurfürsten Maximilian I. und Max Emanuel, wobei sie einen Trend von einer asketischen zur "heroischen Pietas" ausmacht; letzterer bediente sich Max Emanuel, der seine Frömmigkeit stets auch mit seiner Sieghaftigkeit, beispielsweise in den Türkenkriegen, in Zusammenhang brachte. Werner Telesko führt anhand einer ikonografischen Analyse des Sarkophags Kaiser Josephs I. vor, wie die Memoria an den Kaiser eher seine politischen und militärischen Leistungen in den Mittelpunkt rückte und allein die Figur des Gekreuzigten auf dem Deckel des Sarkophags religiöse Bezüge aufweist. Die Deutung, dass die Sieghaftigkeit des Kaisers gleichsam mit göttlicher Auserwählung korrespondiert und damit auf die Sakralität des Herrschers verweist, findet sich zwar nur in der Herrscherpanegyrik, wird von Telesko aber auch zur Deutung der Semiotik des Sarkophags herangezogen. Sabrina Leps führt vor, wie im kursächsischen Herrscherhaus nach der Heirat des Kurfürsten Friedrich August II. mit der Habsburgerin Maria Josepha Elemente der Pietas Austriaca wie die Verehrung des heiligen Franz Xaver sowie der Aufbau einer Reliquiensammlung Einzug gehalten hatten. Ronald G. Aschs Beitrag über die Problematik des Gedenkens in England an den 1649 hingerichteten König Karl I. als Märtyrer für die Sünden seines Volkes ist der einzige Aufsatz des Sammelbandes, in dem die Sakralisierungsstrategie in den konkreten politischen Kontext gestellt und neben den Vorteilen auch die Nachteile und politischen Risiken dieser Strategie klar benannt werden. Josef Johannes Schmid führt in seinem Beitrag vor, wie Georg Friedrich Händel - der irritierenderweise stets in der englischen Schreibung als Handel präsentiert wird - für die musikalische Ausgestaltung der Krönungsfeierlichkeiten für Georg II. sorgte und dabei auch in den zeremoniellen Ablauf der Veranstaltung eingriff. Händel habe sich der Botschaft einer von Gott gestifteten, durch Menschenhand nicht zu ändernden politischen Ordnung der Monarchie danach auch in mehreren Oratorien zu Eigen gemacht, so Schmid. Peter Schmitz erinnert an die Leipziger Trauerfeier für die verstorbene sächsische Kurfürstin Christiane Eberhardine und vergleicht sie mit den Dresdner Trauerfeierlichkeiten anlässlich des Todes von August dem Starken. Bei dem letzten Beitrag des Sammelbandes geht es um Oratorien am Kaiserhof Karls VI., die von Panja Mücke und Sebastian Biesold als künstlerischer Ausdruck der Pietas Austriaca und musikalische Umsetzung des sogenannten Kaiserstils präsentiert werden.
Die im Sammelband vorgestellten Beispiele verdeutlichen, dass es an Sakralitätsbehauptungen und dementsprechenden Inszenierungen in allen zur Verfügung stehenden Medien an den europäischen Höfen um 1700 konfessionsübergreifend nicht mangelte. Dies dürfte wohl in der Geschichtswissenschaft wie in der Kunstgeschichte auch nicht strittig sein. In all den aufgezählten Fällen hätte man aber als Leser auch gerne gewusst, wie diese Inszenierungen bei den jeweiligen Adressaten ankamen, ob die Botschaft der Sakralität des Herrschers in der Öffentlichkeit verfing oder nicht. Die kritischen Überlegungen beispielsweise von Jens Ivo Engels zu dieser Frage können die Beispiele des Sammelbandes nicht widerlegen, da sie die Rezeptionsperspektive völlig außen vor lassen und nur die "Produzentenseite" behandeln. Das letzte Wort ist in dieser Debatte also noch nicht gesprochen.
Andreas Pečar