Clemens Regenbogen: Das burgundische Erbe der Staufer (1180-1227). Zwischen Akzeptanz und Konflikt (= Mittelalter-Forschungen; Bd. 61), Ostfildern: Thorbecke 2019, 622 S., 8 Kt, 20 Farbabb., ISBN 978-3-7995-4382-8, EUR 75,00
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Die deutschsprachige Forschung hat die Jahrzehnte vor und nach dem Jahr 1200 schon seit Längerem als Wendezeit erkannt, in der sich im Stauferreich einige Veränderungen in der politisch-sozialen Ordnung sowie in der politischen Kultur festmachen lassen. Diese Transformationen wurden und werden anhand von Themenfeldern wie dem beanspruchten Rang von Personen, der Entfaltung konsensualer Herrschaft oder der Beschleunigung der Territorialisierung adliger Herrschaften aufgezeigt. Clemens Regenbogen hat sich in seiner 2017 angenommenen Dissertation zum Ziel gesetzt, diese Forschungsstränge zusammenzuführen und anhand einer "Schlüsselregion des Stauferreiches" zu untersuchen: dem "Staufischen [sic!] Burgund" (19). Somit liegt der geographische Fokus der Arbeit auf der im Nordwesten des Reichsteils Burgund gelegenen Grafschaft Burgund, der späteren französischen Teilregion Franche-Comté. Diese war durch die Hochzeit Kaiser Friedrichs I. Barbarossa mit Beatrix, der Erbin der Grafen von Burgund, im Jahr 1156 an die Staufer gekommen und gehörte fortan zur Einflusssphäre dieser Familie. Versuche, hier eine dauerhafte Nebenlinie der Staufer zu installieren waren indes nicht von Erfolg gekrönt. 1227 verpfändete Pfalzgraf Otto II. die Grafschaft an Graf Theobald IV. von Champagne und läutete damit faktisch den Rückzug der Staufer aus Burgund ein.
Die Arbeit reiht sich in die zuletzt vermehrt betriebene Burgundforschung ein, nimmt jedoch mit den Jahren 1180 bis 1227 eine Zeitspanne in den Blick, die lange unbeachtet geblieben ist. Wie Regenbogen herausstellt, erfreute sich die herrscherzentrierte Forschung zu Barbarossa und Burgund schon immer einer gewissen Beliebtheit [1], während Untersuchungen zu seinem Sohn Otto I. zumeist von nationalen Inanspruchnahmen oder Psychologisierungen des vermeintlich tyrannischen Pfalzgrafen geprägt waren und die Phase der andechs-meranischen Herrschaft stark vernachlässigt wurde.
In der Einleitung unterscheidet der Autor methodisch zwischen zuerkannter Macht, die aus der "Bottom-up-Perspektive" der burgundischen Akteure analysiert werden kann, und den institutionalisierten Herrschaftsansprüchen der Pfalzgrafen, die es aus einer "Top-down-Perspektive" zu ergründen gilt (26f.). Daraus entwickelt Regenbogen die Fragestellung, wie die eigentlich ortsfremden pfalzgräflichen Akteure ihren Anspruch auf Grafschaft artikulieren, durchsetzen und auf Akzeptanz stoßen lassen konnten, und warum ihr Engagement letztlich scheiterte. Die Arbeit versteht sich damit als eine Untersuchung politisch-sozialer Interaktionen, die vor allem aufgrund der günstigen Urkundenüberlieferung in der Grafschaft Burgund durchgeführt werden kann.
Mit einem Überblick zur Geschichte der Grafschaft Burgund bis 1180 legt Regenbogen im zweiten Kapitel der Arbeit zunächst die Basis für ein besseres Verständnis der herrschaftlichen Voraussetzungen in dieser Region. Mit der Erkenntnis, dass die Herrschaft von Kaiser Friedrich I. und Kaiserin Beatrix in der Grafschaft auf große Akzeptanz stieß, bewegt sich die Studie auf der Höhe der Forschung. Im dritten Kapitel fokussiert der Autor auf die Erben des Kaiserpaars, die ab 1189 "den pfalzgräflichen Anspruch auf politische Überordnung in Burgund verkörperten." (77). Abgehandelt werden Pfalzgraf Otto I., dessen Gemahlin Margarethe von Blois und Pfalzgraf Otto II. Durch die Beiziehung bisher wenig beachteter Quellen gelingt es Regenbogen, die Rangansprüche dieser Personen aufzuzeigen und plausible Hypothesen zu bisher strittigen Fragen zu formulieren. Besonders erhellend sind die Ausführungen zur Rolle König Philipps von Schwaben als Initiator des wohl am 21. Juni 1208 geschlossenen Ehebundes zwischen Beatrix II., der Tochter seines früh verstorbenen Bruders Otto I., und Herzog Otto II. von Andechs-Meranien, einem fränkischen Getreuen der Staufer. Ziel dieser Initiative sei es gewesen, die Grafschaft Burgund längerfristig in der staufischen Einflusssphäre zu halten; die Ermordung Philipps noch am Tag der Vermählung war dann jedoch eine schwere Hypothek für dieses dynastische Projekt.
Das vierte Kapitel kreist um das Thema der Um- und Durchsetzung des pfalzgräflichen Anspruchs vor Ort. Zunächst wird anhand erbetener Urkunden und Zeugenlisten die Akzeptanz der staufischen Macht beleuchtet. Hier kommt Regenbogen zu dem Schluss, dass den gängigen Narrativen, wonach die Pfalzgrafen keinen Rückhalt beim burgundischen Adel gefunden hätten, nicht zuzustimmen ist. Darauf folgt eine detaillierte Untersuchung der staufischen Herrschaftspraxis anhand von Orten der Herrschaft, der volatilen Zusammensetzung des Hofes, der staufischen Reichslegaten in Burgund, der pfalzgräflichen Pröpste sowie dem herrschaftlichen Handeln in den Urkunden. Unter den vielen Einzelaspekten ist hier die Beobachtung hervorzuheben, dass "der weitestgehende Ausfall burgundischer Hofamtsträger womöglich damit zu erklären [ist], dass es im Staufischen Burgund anscheinend keine (pfalzgräflichen) Ministerialen gab [...]." (277) Wie Regenbogen herausstellt, ist das Fehlen von Ministerialität im burgundischen Raum (mit Ausnahme des zähringischen Herrschaftsbereichs), tatsächlich ein Desiderat der Forschung.
Den Höhepunkt der Arbeit bildet schließlich das fünfte Kapitel, in dem die Aushandlung des Anspruchs auf Überordnung im regionalen Adelsgefüge der Grafschaft Burgund thematisiert wird. Hier wird zunächst die Herrschaft Ottos I. einer grundlegenden Neubewertung unterzogen. Regenbogen kann das Bild dieses von der zeitgenössischen Historiographie ambivalent beschriebenen Staufers stark differenzieren. Erstmals in einer gewissen Ausführlichkeit dargelegt werden die Konflikte von Ottos Witwe Margarethe und Pfalzgraf Otto II. mit den burgundischen Großen und besonders mit den Vertretern der jüngeren Linie der Grafen von Burgund. Vor allem Otto II. fiel es aufgrund seiner multizentralen Besitzungen in Oberfranken und Oberbayern und die dadurch bedingten Abwesenheiten schwer, in Burgund seine Herrschaft durchzusetzen. Kaum zu bewältigen ist das verwirrende Geflecht von burgundischen Adligen, das dem Lesenden an dieser Stelle der Arbeit entgegentritt. Regenbogen gelingt es größtenteils, die wichtigsten burgundischen Akteure quellennah herauszuarbeiten und einen gewissen Überblick zu schaffen. Für die Zeit vor 1189 muss er sich in Detailfragen jedoch teilweise auf veraltete Forschungsmeinungen stützen, was umso mehr den Nachholbedarf der Studien zur Burgundthematik unterstreicht.
Unter der großen Menge an Quellenmaterial, die Regenbogen für seine Arbeit zusammengetragen hat, leidet die Lesefreundlichkeit an mancher Stelle, etwa wenn sich eine Fußnote für sämtliche Belege für die Nennungen Ottos II. in der Zeugenlisten der Urkunden Kaiser Friedrichs II. über vier Seiten erstreckt (212-215). Dies und die repetitive, da nicht chronologisch orientierte Struktur sind der Qualität der eigentlich sehr verdienstvollen Studie eher abträglich.
Eine umfassende Untersuchung des staufischen Burgund auch nach dem Tod Barbarossas war längst überfällig und die vorliegende Studie vermag diese Lücke zu füllen. Sie stützt sich auf eine länderübergreifende und breit gestreute Archivrecherche, setzt sich kritisch mit veralteten Annahmen zur staufischen Herrschaft in der Grafschaft auseinander und bietet eine Aufarbeitung von unbeachtetem Quellenmaterial, wie etwa den pfalzgräflichen Siegeln. Zudem finden sich im Anhang wertvolle Hilfestellungen für heuristische Arbeiten, zum Beispiel Editionen von 35 bisher zumeist unedierten Urkunden. Auch damit leistet Regenbogen einen wichtigen Beitrag für künftige Auseinandersetzungen mit dem burgundischen Raum.
Anmerkung:
[1] Zuletzt einschlägig Verena Türck: Beherrschter Raum und anerkannte Herrschaft. Friedrich I. Barbarossa und das Königreich Burgund, Ostfildern 2013 (=Mittelalter-Forschungen; 42).
Johannes Luther