Peter Walter / Wolfgang Weiß / Markus Wriedt (Hgg.): Ideal und Praxis. Bischöfe und Bischofsamt im Heiligen Römischen Reich 1570-1620 (= Reformationsgeschichtliche Studien und Texte; Bd. 174), Münster: Aschendorff 2020, XII + 373 S., 26 s/w-Abb., ISBN 978-3-402-11609-8, EUR 69,00
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Im Jahr 2017 jährte sich das Ableben Julius Echters von Mespelbrunn zum 400. Mal. Dieses Jubiläum bot Anlass zu vielen Tagungen und Publikationen, die den Echter-Pontifikat näher beleuchteten. In diesem Kontext steht auch die hier zu besprechende Publikation, die das verschriftliche Ergebnis einer Tagung gleichen Namens darstellt. Im Fokus steht, im Unterschied zu manch anderer Jubiläumspublikation, allerdings nicht die Regierung Julius Echters, sondern allgemein das Bischofsamt im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert im Alten Reich, das in dieser Zeit mit besonderen Herausforderungen konfrontiert war: Forderungen nach Umsetzung der tridentinischen Reformdekrete, Bestrebungen nach katholischer Reform, Ausprägung und Zuspitzung konfessioneller Gemengelagen, Konversion von Oberhirten sowie Aufhebung der bischöflichen Jurisdiktionsgewalt in evangelisch gewordenen Territorien. Die 13 enthaltenen Beiträge erfassen die Thematik erfreulicherweise breit und aus unterschiedlichen Perspektiven und beleuchten so das komplexe Bedingungsgefüge fürstbischöflicher Existenz.
Bei der Frage nach dem frühneuzeitlichen Bischofsideal führt der Blick zwangsläufig in die Akten des Konzils von Trient, formulierten die Konzilsväter doch mehrere Anforderungen an einen Bischof, die zusammengenommen ein Idealbild bischöflicher Existenz zeichnen. Daher ist nur sinnvoll, dass der Band mit dem Beitrag von Peter Walter (1-16) eröffnet wird, der sich mit ebendiesem episkopalen Idealbild befasst. Im Kern fragt er nach den kirchenrechtlichen und kirchengeschichtlichen Wurzeln des in Trient aufgestellten Bischofsideals und damit nach dessen 'Innovation'. Schlüssig kann er unter Berücksichtigung eines breiten Quellenfundus darlegen, dass die in Trient postulierten Forderungen bereits vor dem 16. Jahrhundert mehrfach erhoben und dass "das Trienter Bischofsideal (...) insgesamt wenig originell" (15) erscheint. Gerade auch der von Peter Walter deutlich gemachte Rekurs der Konzilsväter auf das Bischofsideal der Patristik, in der der Bischof quasi als "Stadtpfarrer" (16) agierte, führte vor dem Hintergrund völlig veränderter Rahmenbedingungen bischöflicher Existenz im Alten Reich der Frühen Neuzeit dazu, dass die in Trient formulierten Bestimmungen nicht selten ein Idealbild episkopalen Wirkens blieben.
Fragen nach der Repräsentation der Fürstbischöfe leiten die Beiträge von Rainald Becker und Bettina Braun. Beide betreten mit ihren Ansätzen forschungsgeschichtliche terra incognita und zeigen Forschungsdesiderate auf. So geht Rainald Becker der Frage der visuellen Repräsentation der Bischöfe nach und greift dabei auf Ansätze der Kleidergeschichte zurück. Sein Ansatz, "das Bischofsbild über seine 'Abbildung' zu erschließen" (66), erweist sich dabei als äußerst fruchtbar. Die detail- und kenntnisreiche Analyse unterschiedlicher Bischofsabbildungen und -gewandungen - in den Fokus fallen neben Kostüm- und Trachtenbüchern auch die verschiedenen Ausprägungen der renaissancistischen Portraitmalerei - machen nicht nur "unterschiedliche habituelle Momente" (66), sondern auch eine Entwicklung im tradierten Bischofsbild sichtbar. Wurden so die Fürstbischöfe zunächst stärker als humanistische Gelehrte akzentuiert, lässt sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts eine Entwicklung hin zur Betonung des Klerikers erkennen. Bettina Braun lenkt den Blick indes auf die Frage nach der Repräsentation der Fürstbischöfe vor dem Hintergrund ihres geistlichen und weltlichen Amts. Nach der exemplarischen Untersuchung der Repräsentationsformen Leichenpredigt, Münzen und Medaillen sowie Zeremonien zum Herrschaftsantritt - allesamt bisher von der Forschung eher vernachlässigte Quellengattungen - kommt sie zu dem Fazit, dass "in der Repräsentation der Fürstbischöfe (...) das fürstliche Element bei weitem überwog" (85). Es bleibt zu hoffen, dass die beiden instruktiven Beiträge als Anregung für weitere Forschungen dienen, die die dargestellten Ansätze auf ein breiteres Quellenfundament stellen, als dies im Rahmen zweier Aufsätze möglich ist.
Besonders positiv sticht der weite Blick auf die Thematik heraus, den der vorliegende Sammelband einnimmt. So ist es dem Beitrag von Klaus Unterburger (127-138) zu verdanken, dass sich der Sammelband inhaltlich nicht nur auf "Ideal und Praxis" der Diözesanbischöfe beschränkt, sondern auch das Weihbischofsamt berücksichtigt. Das häufig im forschungsgeschichtlichen Schatten des Diözesanbischofsamtes stehende Institut des Weihbischofs betrachtet Unterburger mit seinen vielfaltigen Wandlungsprozessen seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts. Der nachgezeichnete Wandel des Weihbischofsamtes im Verlauf des 16. Jahrhunderts - Medikanten wurden nun deutlich seltener, Weltpriester dafür umso häufiger zu Auxiliarbischöfen geweiht, Stol- und Weihegebühren wurden durch eine finanzielle Ausstattung des Weihbischofamtes abgelöst, wodurch es auch für Vertreter des Adels interessanter wurde - führte letztlich zu einem Bedeutungs- und Kompetenzgewinn der Weihbischöfe und legte damit auch den Grundstein für ihr mitunter ausgeprägtes Wirken in den deutschen Diözesen des 17. und 18. Jahrhunderts.
Die Beiträge von Markus Wriedt, Matthias Asche und Enno Bünz stellen einen besonderen Mehrwert für den Sammelband dar, beziehen doch alle drei Autoren - jeder auf seine Weise - die evangelische Dimension in ihre Betrachtungen mit ein. Während Asche den Blick auf evangelische Bischöfe in der Germania Sacra sowie die Etablierung protestantischer Bistumsadministratoren lenkt (303-326) und Bünz am Beispiel von Naumberg, Meißen und Merseburg "das Verschwinden des Bischofsamtes" (327) in Mitteldeutschland und den Integrationsprozess der Hochstifte in den kursächsischen Territorialstaat (327-349) thematisiert, befasst sich Wriedt mit den (Ideal-)vorstellungen von evangelischer Kirchenleitung (279-302). Hierbei vermag es der Autor die (theologische) Differenz zwischen den lutherisch-reformatorischen Ideen eines Bischofsamtes und der sich im 16. Jahrhundert entwickelnden Praxis des landesherrlichen Kirchenregiments bzw. des Superintendentenamtes aufzuzeigen, die nicht zuletzt auf politische Gründe zurückzuführen ist.
Gerade dieser breite thematische Horizont und die Multiperspektivität sind denn auch die großen Stärken des Sammelbandes. Überdies greift er nicht nur aktuelle Forschungstendenzen auf, sondern birgt auch das Potential, der Forschung neue Impulse zu geben. Dem Leser präsentiert sich somit eine Mischung aus Altbekanntem, aber eben auch einigen neuen Ideen zum Bischofsamt im 16. und 17. Jahrhundert - insgesamt eine lohnende Lektüre. Lediglich die Frage nach der dynastischen Verwurzelung der Bischöfe wird kaum gestreift .[1] Dabei wäre eine nähergehende Betrachtung des Faktors 'Dynastie' nicht zuletzt auch vor dem tridentinischen Verbot der Bereicherung von Verwandten interessant gewesen. Auch wäre die Berücksichtigung dieses Aspekts im Beitrag von Dieter J. Weiß (113-126), der von Bischofswahlen und Konflikten rund um die Besetzung von Bischofsstühlen handelt, gewinnbringend gewesen. Abgerundet wird der Band nicht nur durch ein Register, sondern auch durch eine von Volker Leppin verfasste kurze Synopse (351-358), die nicht nur das Gelesene zusammenfasst, sondern auch auf Forschungsperspektiven und -desiderate aufmerksam macht.
Anmerkung:
[1] Vgl. etwa die Ausführung bei Bettina Braun: Princeps et episcopus. Studien zur Funktion und zum Selbstverständnis der nordwestdeutschen Fürstbischöfe nach dem Westfälischen Frieden, Göttingen [u.a.] 2013, 47-165.
Jan Turinski