Rezension über:

Monique Goullet: Corpus Christianorum: Hagiographies VII, Turnhout: Brepols 2017, 946 S., eine Farbabb. zahlr. Tbl., zahlr. Kt., ISBN 978-2-503-57612-1, EUR 325,00
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Rezension von:
Ralf Lützelschwab
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fischer
Empfohlene Zitierweise:
Ralf Lützelschwab: Rezension von: Monique Goullet: Corpus Christianorum: Hagiographies VII, Turnhout: Brepols 2017, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 10 [15.10.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/10/33067.html


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Monique Goullet: Corpus Christianorum: Hagiographies VII

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Der Rezensent ist sich nicht sicher. Handelt es sich beim vorliegenden, von Monique Goullet (Forschungsdirektorin beim CNRS) herausgegebenen Band um den letzten einer Reihe von insgesamt sieben schwergewichtigen Veröffentlichungen? Ein Vorwort fehlt und der Blick auf das Gesamtinhaltsverzeichnis zeigt noch einige wenige Lücken: der Beitrag zu "Böhmen und Mähren" scheint offensichtlich noch keinen Bearbeiter gefunden zu haben. Man vermisst ebenso noch Artikel zu einigen Regionen bzw. Diözesen Frankreichs und der Niederlande. Aus dem Fehlen eines bilanzierenden Schlussworts (bisher wurde eine solche Conclusio allein für Band IV mitgeliefert) darf man wohl schließen, dass es einen achten, abschließenden Folgeband geben wird. Das ist zu begrüßen, kann die Bedeutung dieses Überblickswerks doch nicht hoch genug veranschlagt werden.

Die Histoire internationale de la littérature hagiographique, latine et vernaculaire, so der Langtitel des Werks, trat mit dem Erscheinen des ersten, noch von Guy Philippart verantworteten Bandes 1994 eher verhalten ins allgemeine Bewusstsein. Neu war, dass im Zentrum des Interesses nicht die Heiligen oder ihr Kult, sondern die Hagiographen selbst und ihre Werke standen. Konzipiert wurde das Ganze als Vorarbeit für eine (in absehbarer Zukunft) zu schreibende Darstellung über hagiographische Quellen in der Reihe der Typologie des sources du Moyen Age occidental. Ohne Zweifel: Bei den Hagiographies handelt es sich um ein wissenschaftliches Großunternehmen, dessen Qualität in umgekehrtem Verhältnis zu seiner Bekanntheit steht.

Um die jeweiligen Bearbeiter nicht unter der Last des Materials zusammenbrechen zu lassen - eine Gesamtdarstellung allein der hagiographischen Literaturproduktion in Frankreich würde wohl einige Jahre in Anspruch nehmen -, wurden beherrschbare zeitliche und geographische Einheiten geschaffen. Man mag es zwar bedauern, dass sich deshalb einzelne geographische Räume in unterschiedlichen Bänden behandelt finden, doch war organisatorisch wohl kaum eine andere Lösung möglich. Hier nur ein Beispiel: die Beiträge zur Hagiographie in Italien sind auf alle sieben Bände verteilt. Unpraktisch, sicher, aber vertretbar.

Im hier vorliegenden siebten Band finden sich allein fünf Beiträge zu Italien. Während sich Giorgia Vocino und Edoardo D'Angelo der hagiographischen Produktion in Zentralitalien und in Umbrien in den zwei Jahrhunderten von 750-950 widmen und E. D'Angelo den Blick darüber hinaus auf den Zeitraum von 950-1130 weitet, behandelt Sofia Boesch Gajano mit Gregor dem Großen eine einzige, für die Geschichte und Weiterentwicklung hagiographischen Schaffens zentrale Figur. Dabei geraten nicht nur die Dialogi in den Blick, denen wegen der im zweiten Buch enthaltenen Vita des Heiligen Benedikts stets ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit sicher war, sondern auch die Moralia in Hiob und die Homiliae in Evangelia. An letzteren zeigt sich, welche Bedeutung Predigten im Konzert hagiographischer Texte zukommen kann. Stéphanos Efthymiadis nimmt sich der komplexen Thematik griechischer Hagiographie (7.-14. Jh.) in Italien an und verwendet dabei zunächst einiges an Energie auf die Klärung der Frage, was darunter konkret zu verstehen sei, ist die italo-griechische Heiligengeschichtsschreibung doch zwei Bereichen zuzuordnen: einer ist griechisch "von Geburt" ("grecque par naissance"), der andere griechisch "durch Adoption" ("grecque par adoption"). Ersterer rekurriert auf griechische Originalwerke, letzterer auf Übersetzungen aus dem Lateinischen. Müssen diese Werke aber zwangsläufig in Italien verfasst worden sein? Wie ist beispielsweise mit Schriften umzugehen, die zwar in Konstantinopel entstanden, sich aber italienischen Heiligen widmen? Diese Zuordnungsproblematik treibt Efthymiadis sichtlich um, schließlich plädiert er aber für eine "élasticité sémantique" (353) im Umgang mit dem überlieferten Schrifttum, propagiert mithin einen (durchaus begrüßenswerten) breiten Zugriff auf die Quellenmassen, die mit der nötigen Sorgfalt beschrieben und historisch kontextualisiert werden.

Marianna Cerno zeigt in ihrem Slowenien gewidmeten Beitrag, über welchen hagiographischen Quellenreichtum auch kleinere, eher periphere Regionen verfügen können. Dieser Reichtum ist im Falle Sloweniens aus der geographischen Lage heraus zu erklären: das Land wird mit Blick auf seine Verankerung innerhalb der Alpen-Adria-Region zu Recht als "cuore e crocevia di traffici, comunicazioni e scambi di persone e beni materiali" (507) beschrieben. Kirchlich war man auf das Patriarchat von Aquileia, in geringerem Maße auf das Erzbistum Salzburg hin ausgerichtet. Wenig überraschend können deshalb die in den kirchlichen Zentren Sloweniens wie Emona (Ljubljana), Celeia (Celje) oder Capodistria (Koper) entstandenen Texte ihre Nähe zu Vorbildern aus Aquileia oder Salzburg nicht verleugnen. Deutlich wird, dass diese Texte eine der wichtigsten Quellen für die Kenntnis des antiken und mittelalterlichen Christentums in Slowenien darstellen.

Dem niederländischen Gebiet (unter Einschluss des nördlichen Teils des heutigen Belgien) sind zwei Beiträge gewidmet. Für den Zeitraum von 1350-1550 skizziert Valerie Vermassen die lateinische Hagiographie in den holländisch sprechenden Teilen der südlichen Niederlande, wo das Genre der legenda nova eine wahre Blüte erlebte. Diese knappen Heiligenlegenden erleichterten nicht nur das Geschäft der Prediger, sondern dienten in vielen Klosterrefektorien als Tischlesung. Vermassen erläutert, in welchem Ausmaß Hagiographie personalisiert wurde und in den Bereich der "personal devotional purposes" (570) vordrang.

Werner Verbeke entledigt sich seiner Aufgabe, die hagiographische Literaturproduktion auf Mittelniederländisch (mit einem besonderen Blick auf Reimlegenden) darzustellen, ausgesprochen überzeugend, ja glanzvoll. Auf fast 150 Seiten wird ein breites Panorama entfaltet: von den Schriften eines Heinrich van Veldeke oder Gillis de Wevel über die Übersetzungstätigkeit von Jacob van Maerlant, Philip Utenbroeke oder Lodewijc van Velthem bis hin zu anonym überlieferten Texten wie der Seereise des Heiligen Brendan (navigatio sancti Brendani). Verbeke unterstreicht die Bedeutung der monastischen Skriptorien, in denen man Legenden ebenfalls in Versen verfasste und sich dabei zumeist am gängigen traditionellen Heiligenrepertoire orientierte, was die Behandlung hochverehrter lokaler Heiliger freilich nicht ausschloss. Das in einer vergleichsweise überschaubaren Zahl an Handschriften überlieferte Quellencorpus, in dem sich auch Legenden mit mehr als 30.000 Versen finden, war bei weitem nicht nur im kirchlichen Rahmen verankert, sondern verdankte für seine Weiterentwicklung wichtige Impulse der städtischen Umgebung. Historiker werden gut daran tun, diese Quellen mit ihrer Kritik an der zeitgenössischen Gesellschaft, insbesondere aber der Kirche und des hohen Klerus, stärker als bisher in ihre Forschungen miteinzubeziehen.

Der siebte Band der Hagiographies steht seinen Vorgängern sowohl in Quantität als auch in Qualität in nichts nach. In jedem Artikel (stets beschlossen von einer umfangreichen Bibliographie) werden auf der Grundlage der aktuellsten Forschung Quellen und ihre Autoren beschrieben, analysiert und im jeweiligen historisch-sozialen Kontext verortet. Die Stellung als das mediävistische Standardwerk zu hagiographischen Fragen dürfte den Hagiographies wohl niemand mehr streitig machen. Ein großartiges Werk.

Ralf Lützelschwab