Sönke Lorenz / Oliver Auge / Sigrid Hirbodian (Hgg.): Handbuch der Stiftskirchen in Baden-Württemberg, Ostfildern: Thorbecke 2019, 720 S., zahlr. Farbabb., ISBN 978-3-7995-1154-4, EUR 58,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Oliver Auge / Michael Hecht (Hgg.): 'Kleine Fürsten' im Alten Reich. Strukturelle Zwänge und soziale Praktiken im Wandel (1300-1800), Berlin: Duncker & Humblot 2022
Sönke Lorenz / Andreas Meyer (Hgg.): Stift und Wirtschaft. Die Finanzierung geistlichen Lebens im Mittelalter, Ostfildern: Thorbecke 2007
Sönke Lorenz / Jürgen Michael Schmidt (Hgg.): Wider alle Hexerei und Teufelswerk. Die europäische Hexenverfolgung und ihre Auswirkungen auf Südwestdeutschland, Ostfildern: Thorbecke 2004
Das Tübinger Stiftskirchenprojekt, das Ende der 1990er-Jahre begann, gelangt mit der vorliegenden Publikation nach rund 20 Jahren zu seinem Abschluss. Das im folgenden vorzustellende Werk umfasst die Beschreibung von 137 kirchlichen Institutionen Baden-Württembergs vom 8. bis ins 21. Jahrhundert. Der Band fügt sich konzeptionell ein in die Reihe der in den letzten drei Jahrzehnten erschienenen Klosterlexika, die für vielfältige Regionen in Deutschland eine Bestandsaufnahme der jeweiligen Klosterlandschaften bieten (z.B. Pfälzisches Klosterlexikon, 5 Bde., Kaiserslautern 2014 - 2019).
Dem Inhaltsverzeichnis (5-8) folgen zwei Grußworte (9-11) und ein Vorwort der Herausgeber Oliver Auge (Kiel) und Sigrid Hirbodian (Tübingen) (13/14). Es bietet einen kurzen Bericht über das Tübinger Stiftskirchenprojekt und seine Vollendung. In Zusammenarbeit mit der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart fanden fünf Fachtagungen zwischen 2000 und 2004 im Kloster Weingarten statt. Wegen des Todes des "Spiritus Rector des Vorhabens", des Tübinger Historikers Professor Sönke Lorenz (1944-2012), geriet das Projekt stark in Verzug. Dass es zum Abschluss gebracht wurde, ist dem damaligen Mitinitiator Oliver Auge und Sigrid Hirbodian, der Nachfolgerin auf dem Lehrstuhl von Sönke Lorenz in Tübingen, zu verdanken. Wegen der langen Laufzeit des Projekts wollten die Herausgeber "es den Autorinnen und Autoren nicht zumuten [...], ihre im Durchschnitt zwischen 2003 und 2005 verfassten Beiträge noch einmal grundlegend zu überarbeiten oder gar ganz neu zu schreiben", als sie "dem betagt gewordenen Handbuchvorhaben vor rund zwei Jahren neues Leben einhauchten" (13). Die lange Verzögerung der Publikation führte dazu, "dass das Handbuch summa summarum den Forschungs- und Wissensstand vom Anfang der 2000er Jahre widerspiegelt" (13). Die Aussage der Herausgeber "dass sich seitdem ohnehin nicht viel Neues im Bereich der Stiftsforschung im deutschen Südwesten getan hat" (13), wird man doch sehr bezweifeln müssen.
Bei der auf das Vorwort folgenden Einleitung ("Die Genese einer stiftischen Kernlandschaft: Hintergründe und Anfänge der Stiftskirchen in Südwestdeutschland vom 8. bis zum 18. Jahrhundert", 15-59) handelt es sich um die von Auge überarbeitete und aktualisierte Fassung eines Aufsatzes von Sönke Lorenz mit dem Titel "Das Tübinger Stiftskirchenprojekt". [1] Damit wird auch das große Engagement von Lorenz für das Projekt gebührend gewürdigt. Der erste Abschnitt befasst sich mit der in der Forschung kontrovers behandelten Frage "Was ist ein Stift?" (16-20). "Im engeren kirchenrechtlichen Sinne bezeichnet Stift sowohl ein Kollegium von Weltgeistlichen aller Weihegrade, sei es an einer Dom- oder einer Kollegiatkirche, als auch eine Frauenkommunität (Damenstift, Frauenstift), wobei als Wesensmerkmal gilt, dass solche Kollegien 'nicht nach einer Mönchsregel, sondern ohne Gelübde nach eigenen Ordnungen und aus dem Stiftungsvermögen ihrer Kirche leben'. Das entscheidende Charakteristikum liegt in ihrer vorrangigen Aufgabe des gemeinsamen Chorgebets, sowie, bei den Männern, des feierlichen Gottesdienstes. Um derartige Stifte im engeren kirchenrechtlichen Sinn - und nur um sie - geht es in diesem Handbuch" (17).
Eine Beschränkung auf die weltlichen Kollegiatstifte wäre sicherlich berechtigt gewesen. "Da es aber andererseits [...] in nicht gerade wenigen Fällen zu einem Wechsel aus dem Lager der Regular- in das der Säkularkanoniker und umgekehrt gekommen ist, fiel letzten Endes die Entscheidung zugunsten des mühseligeren Weges aus, neben den Säkularstiften auch die Konvente der Regularkanoniker unterschiedslos mit in die Arbeit einzubeziehen. Während es dabei aber geraten schien, neben den auf den Schulunterricht von Mädchen ausgerichteten Chorfrauengemeinschaften auch die Piaristen zu erfassen, erfolgte andererseits aus verschiedenen praktischen Erwägungen heraus der Verzicht auf die Einbeziehung der Mitglieder der Societas Jesu, wiewohl es sich dabei ebenfalls um eine in Südwestdeutschland weitverbreitete Regularklerikergemeinschaft handelte" (57).
Nach der Einführung "zum Aufbau und zur Benutzung des Handbuchs" (60-63) folgen die Ortsartikel in alphabetischer Reihenfolge (von Adelberg bis Wolfegg, 65-702). Ein Anhang mit den Bildrechtnachweisen (703-714) und vier Detailkarten (717-720) beschließen das Werk.
Der Band stellt in reich illustrierten Artikeln, verfasst von über 80 Autorinnen und Autoren, 137 Konvente in Baden-Württemberg vor. Der Artikelkopf enthält - mit Abweichungen - folgende Rubriken: Ort, Name, Lage (Land-/Stadtkreis), kirchliche Zugehörigkeit, Vogtei, frühere Benennung, Lebensform, Gründung, Aufhebung. Der Aufbau der Artikel kann aufgrund der unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten zwangsläufig nicht einheitlich sein. Auf eine einleitende geschichtliche Betrachtung der Institution folgen Abschnitte wie religiös-theologische und kulturelle Leistungen, Bau- und Kunstgeschichte, Wappen und Siegel, Ansichten und Pläne, Grundrisse und Karten, Prosopografie, Archivalien, (gedruckte) Quellen und Auswahlbibliografie. Manchmal sind diese Angaben auch stark reduziert, wie beispielsweise bei Stockach (Hoppetenzell/Adalungzell) (621-623) oder bei Weingarten (680), wo jeweils lediglich eine Auswahlbibliografie vorhanden ist.
Eine kritische Betrachtung einzelner Artikel kann hier nicht vorgenommen werden, lediglich einige Anmerkungen seien gemacht. Von den heutigen Domkapiteln wurde Rottenburg-Stuttgart aufgenommen, Freiburg aber nicht. Eine Rubrik "Archiv und Bibliothek" (so bei Gerlachsheim, 370), die auch über heutige Aufbewahrungsorte beider Institutionen informiert, wäre wünschenswert gewesen. Im Artikel Bad Schussenried (104-111) wird nur recht kurz auf das wechselhafte Schicksal der großen Bibliothek eingegangen (107). Der Bibliothekssaal ist abgebildet, wird aber nicht eigens gewürdigt.
Die teils ungleichmäßige Behandlung der Thematik in einzelnen Artikel fällt auf; dies lässt sich bei der Vielzahl der Bearbeiter freilich kaum vermeiden. Kritisch muss aber angemerkt werden, dass zahlreiche Artikel nicht den aktuellen Forschungsstand aufweisen. Zumindest die Rubrik "Auswahlbibliographie" hätte sich aktualisieren lassen. Bei dem bereits erwähnten Artikel Bad Schussenried stammen die beiden neuesten Titel von 2003 (111). Es fehlt dabei ein Hinweis auf die das Kloster Schussenried betreffenden Beiträge in den Begleitbüchern der "Großen Landesausstellung Baden-Württemberg 2003 in Bad Schussenried" Wünschenswert wäre ein Verzeichnis der Mitarbeiter und ihrer Beiträge gewesen. Auch vermisst man ein Abkürzungsverzeichnis sowie einen Index der Namen und Orte.
Das Werk richtet sich an "ein historisch interessiertes Lesepublikum und die Fachwissenschaft gleichermaßen" (hinterer Einband). Eindrucksvoll sind die zahlreichen historischen sowie die meist farbigen aktuellen Abbildungen: Gebäude (teils aus der Vogelschau), Grundrisse, Innenansichten, Details der Ausstattung, wertvolle Objekte, Wappen und Siegel, bedeutende Personen. Im vorderen und im hinteren Innendeckel befindet sich je eine identische Karte von Baden-Württemberg, in der die im Hauptteil des Buchs behandelten Orte eingetragen sind. Zudem sind auf vier Detailkarten der baden-württembergischen Regierungsbezirke Freiburg, Karlsruhe, Stuttgart und Tübingen (717-720) die Orte nochmals genauer nach den klösterlichen Gemeinschaften dargestellt.
Das Handbuch - die Männerstifte beanspruchen darin rund 80 Prozent der Beiträge - präsentiert eine weitgefächerte, vom Mittelalter bis in die Gegenwart reichende Darstellung der stiftisch verfassten Institutionen in Baden-Württemberg. Es bietet Einblicke in die Macht- und Herrschaftsformen, Lebensweisen und architektonischen Elemente der einzelnen Stiftskirchen. Dieses Sammelwerk hat sich von Anfang an das Ziel gesetzt, die Erkenntnisse zu den baden-württembergischen Stiftskirchen zu bündeln und überregionale Vergleiche zu ermöglichen. Beides wurde erreicht. Es bleibt zu wünschen, dass das Handbuch zu weiterführenden Detailforschungen anregt.
Anmerkungen:
[1] Sönke Lorenz: Das Tübinger Stiftskirchenprojekt, in: Die Stiftskirche in Südwestdeutschland. Aufgaben und Perspektiven der Forschung (= Schriften zur südwestdeutschen Landeskunde; Bd. 35), hgg. von Sönke Lorenz / Oliver Auge, Leinfelden-Echterdingen 2003, 1-53.
[2] Alte Klöster - neue Herren. Die Säkularisation im deutschen Südwesten 1803, Bd. 1: Ausstellungskatalog; Bde. 2,1 und 2,2: Aufsätze, Ostfildern 2003.
Hans Ammerich