Rezension über:

Oliver Auge / Michael Hecht (Hgg.): 'Kleine Fürsten' im Alten Reich. Strukturelle Zwänge und soziale Praktiken im Wandel (1300-1800) (= Zeitschrift für Historische Forschung. Vierteljahresschrift zur Erforschung des Spätmittelalters u. der Frühen Neuzeit; Beiheft 59), Berlin: Duncker & Humblot 2022, 471 S., 30 Farb-, 22 s/w-Abb., 7 Tbl., ISBN 978-3-428-18427-9, EUR 79,90
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Rezension von:
Thomas Fuchs
Universität Leipzig
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Thomas Fuchs: Rezension von: Oliver Auge / Michael Hecht (Hgg.): 'Kleine Fürsten' im Alten Reich. Strukturelle Zwänge und soziale Praktiken im Wandel (1300-1800), Berlin: Duncker & Humblot 2022, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 1 [15.01.2024], URL: https://www.sehepunkte.de
/2024/01/37536.html


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Oliver Auge / Michael Hecht (Hgg.): 'Kleine Fürsten' im Alten Reich

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Der Sammelband ist, wie der Titel verrät, einer Gruppe von Reichsfürsten gewidmet, die als "kleine Fürsten" im Gegensatz zu den "großen" Territorialfürsten apostrophiert werden. In der Einleitung klassifizieren die beiden Herausgeber die Kategorie "klein" (im Umkehrschluss damit auch die Kategorie "groß") als eine "wandelbare und fluide, je nach Bewertungsperspektive auch uneindeutige und umstrittene Form der Zuordnung" (21). Die verschiedenen Beiträge gehen also von einem interpretatorischen Konstrukt und nicht von einer verfassungsgeschichtlichen Kategorie aus. In gewisser Weise mussten die Adelsfamilien ihre 'Größe' im fürstlichen Konkurrenzsystem immer wieder neu aushandeln. Die Beiträge basieren auf Vorträgen einer Tagung in Dessau, einst die Residenz eines geradezu prototypischen 'kleinen Fürstentums'.

Die Kategorien "klein" und "groß" versucht Karl-Heinz Spieß für das späte Mittelalter auszuleuchten. Der Fürstenstand wurde von den Zeitgenossen zwar als einheitliche Sozialschicht wahrgenommen, war aber in sich stark ausdifferenziert. Um den Status innerhalb des Fürstenstandes bestimmen zu können, verweist der Verfasser auf das Konnubium einzelner Familien. Die soziale Herangehensweise für die Bestimmung des Status einer fürstlichen Familie ergänzt Oliver Auge mit verfassungsrechtlichen Kategorien, indem er "Anhaltiner und andere 'kleine' Fürsten auf Reichsversammlungen und Reichstagen" im späten Mittelalter beschreibt (95). Sie standen unter dem Druck, ihre formale Gleichrangigkeit mit den großen Fürsten immer wieder beweisen zu müssen, ohne dass sie über vergleichbare ökonomische Ressourcen verfügten. Dieser Zwang der Darstellung der Gleichrangigkeit führte schließlich dazu, dass die 'kleinen' Fürsten überproportional in Rang- und Sessionstreitigkeiten verstrickt waren.

Andreas Pečar thematisiert am Beispiel des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau die Selbstinszenierung eines 'kleinen' Fürsten, die im Wörlitzer Gartenreich sinnbildlichen Ausdruck fand. Er betont die weichen Faktoren dynastischer Selbstdarstellung wie die Geschichte und das Herkommen der Familie und weist diesen Kategorien einen wichtigen Stellenwert bei der Erhaltung der fürstlichen Herrschaft im 19. Jahrhundert zu. Ebenfalls der Geschichte kleiner Fürsten in der Umbruchsphase der napoleonischen Epoche wendet sich Paul Beckus in seinem Beitrag über das Wechselverhältnis von "territorialer Größe" und des dynastischen Alters für den "Fortbestand deutscher Kleinfürstentümer" zu (119). Er verweist auf die geringe Modernität der Kleinfürstentümer, die ihr Überleben aufgrund ihrer Vernetzung im fürstlichen Milieu und dem Hinweis auf die Tradition der eigenen Herrschaft sicherten. In gewisser Weise überlebten sie aufgrund der 'Beharrungskraft von Institutionen', einfach, weil sie schon immer da waren.

Ins Mittelalter zurück geht wieder Franziska Hormuth in ihrem Beitrag über die Herzöge von Sachsen-Lauenburg und ihr Ringen um die sächsische Kurfürstenwürde. Obwohl sich die Familie gegenüber ihren ernestinischen Verwandten nicht durchsetzen konnte, hielten die Lauenburger an ihren Ansprüchen fest. Letztlich waren diese Ansprüche Versicherungen gegenüber der historischen Zufälligkeit, falls sich, aus welchen Gründen auch immer, die Gelegenheit bot, die eigenen Rechtsansprüche in reale Politik umzusetzen. Den nahezu inflationären Erhebungen in den Reichsfürstenstand im 17. Jahrhundert für die kaiserlichen Parteigänger und die Reaktionen der 'alten' Familien betrachtet Vinzenz Czech. Er ergänzt die Kategorien 'klein' und 'groß' durch das Begriffspaar 'alt' und 'neu'. Die Erhebungen stießen auf den Widerstand der altfürstlichen Familien. Für die Emporkömmlinge waren die Erhebungen nicht nur positiv, weil sie nun unter erheblichem finanziellen Druck standen, den neuen Status auch lebensweltlich zu reproduzieren. Ebenfalls um Repräsentationsfragen geht es in den Ausführungen von Ralf-Gunnar Werlich über die heraldische Ausstattung der Häuser Mecklenburg, Pommern und Anhalt. Die Familien weiteten ihre heraldische Repräsentation immer weiter aus und ahmten damit das diesbezügliche Verhalten der 'großen' Familien nach.

Einer gar nicht mal so kleinen fürstlichen Familie wendet sich Heinz Krieg zu, nämlich den badischen Markgrafen, die mit einem heiligen Vorfahren, dem Markgrafen Bernhard II. von Baden, den im Fürstenstand durchaus üblichen Weg der Selbstinszenierung und Repräsentation verfolgten und den Markgrafen als 'miles christianus' typologisierten und seine Verehrung protegierten. Andere Familien, namentlich die hessischen Landgrafen oder die Andechs-Meranier waren bei der Verfolgung der Strategie, durch die Heiligkeit einzelner Familienmitglieder symbolisches Kapital zu erwerben, ungleich erfolgreicher.

Die italienischen Ambitionen der welfischen Nebenlinie Braunschweig-Grubenhagen im 14. Jahrhundert nimmt Frederieke Maria Schnack in den Blick. Sie formuliert die These, dass die 'Kleinheit' dieser Familie und die damit einhergehenden geringen politischen Chancen im Reich dadurch kompensiert wurden, sich in Italien zu engagieren und Landbesitz und Titel zu erwerben, was nicht dauerhaft gelang. Der Versuch, den Erwerb von Titeln und Land auf die 'Kleinheit' zurückzuführen, könnte kritisch hinterfragt werden, resultierten solche Engagements doch weniger aus der Größe einer Familie als vielmehr aus den strukturellen Zwängen der auf Konkurrenz basierenden Feudalherrschaft. Das klassische Feld, auf dem die Adelsfamilien ihre Größe bestimmen konnten, waren die Eheverbindungen. Sie verdeutlichten den sozialen Rang der Familie. Melanie Greinert beschreibt am Beispiel des herzoglichen Hauses Schleswig-Holstein-Gottorf die Heiratspolitik der Familie, die ein weitausgreifendes Konnubium mit großen Dynastien im Reich besaß und der Kategorie 'Kleinheit' in gewisser Weise ihren heuristischen Wert nimmt. Schließlich konnte Herzog Karl Friedrich eine Tochter Zar Peters des Großen heiraten. Ebenfalls Ehefragen wendet sich Michael Sikora in seinem Beitrag über Mesalliancen zu. Durch statistische Untersuchungen kommt er zu dem Schluss, dass rund zehn Prozent der Eheschließungen von männlichen Fürsten zwischen 1500 und 1800 unstandesgemäß waren und dass dabei 'kleine' Fürsten überproportional vertreten waren. Auch in diesem Beitrag wird die Bedeutung von 'Kleinheit' für die Chancen auf dem Heiratsmarkt kritisch hinterfragt.

'Kleinen' geistlichen Fürstinnen und Fürsten sind die beiden letzten Beiträge gewidmet. Am Beispiel der Fürstbischöfe von Augsburg, Bamberg und Trier, immerhin ein Kurfürst, zeigt Andreas Schmidt, dass die Fürstbischöfe zwar durch Domkapitel und Wahlkapitulationen politisch eingeengt waren, durch den Rückhalt der Kirche allerdings auch neue Spielräume gewinnen konnten. Schließlich beschäftigt sich Teresa Schröder-Stapper mit den reichsunmittelbaren Damenstiften Essen und Herford. Da diese Reichsstifte klein waren, suchten die Äbtissinnen die Nähe zu großen Territorialherren, die ihnen zwar einerseits halfen, ihre Interessen durchzusetzen, sie andererseits aber immer stärker in ihre Abhängigkeit zogen.

Der Sammelband vereint ertragreiche Einzelstudien zum Fürstenstand, die die Erklärungskraft der Kategorie 'Kleinheit' für den sozialen Status und die politischen Handlungsmöglichkeiten auszuleuchten versuchen. Mehr oder weniger offen wird von einigen Autorinnen und Autoren der heuristische Wert angezweifelt, und so scheint der Gesamteindruck zu sein, dass doch Fragen nach dem Konnubium, politischen Handlungsmöglichkeiten, Klientelsystemen und dynastischer Selbstdarstellung zur Frage der Verortung einer Fürstenfamilie im Sozialfeld der Feudalgesellschaft erklärungskräftiger sind.

Thomas Fuchs