Richard Copsey: Biographical Register of Carmelites in England and Wales 1240-1540, Faversham: Saint Albert's Press 2020, xxiv + 548 S., ISBN 978-0-904849-52-3, GBP 49,95
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Michael A. Vargas: Taming a Brood of Vipers. Conflict and change in Fourteenth-Century Dominican Convents, Leiden / Boston: Brill 2011
Tim Ayers / Maureen Jurkowski (eds.): The Fabric Accounts of St Stephens Chapel, Westminster, 1292-1396, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2020
Lena Wahlgren-Smith (ed.): The Letter Collections of Nicholas of Clairvaux, Oxford: Oxford University Press 2018
Die Karmeliter (Fratres beatae Mariae de monte Carmeli) lebten ursprünglich als streng eremitisch ausgerichtete Gemeinschaft im Heiligen Land an den Hängen des Berges Karmel nahe Akkon und erhielten dort um 1210 vom Patriarchen von Jerusalem, Albert von Vercelli (1149-1214), eine erste, nur knapp 1100 Worte umfassende Proto-Regel. Vor muslimischem Druck mussten sie seit den 1230er Jahren in den Westen ausweichen, brachten somit also ihre ganz eigene Migrationsgeschichte mit nach Europa. Die päpstlicherseits verfügte Eingliederung in die Reihe der Bettelorden ermöglichte das Überleben, führte aber zu bedrohlichen internen Spannungen. Wie sollten eremitische Vergangenheit und mendikantische Gegenwart miteinander in Einklang gebracht werden?
Spätestens mit der Einbindung der Karmeliter in das universitäre System Ende des 13. Jahrhunderts waren Ordensangehörige in der Lage, auch intellektuell mit Dominikanern, Franziskanern und Augustineremiten zu konkurrieren. Hierzu gehörten die englischen Brüder, die aus einer der größten Provinzen des Ordens stammten. 1242 hatte die erste Gruppe England erreicht und dort zwei Konvente in Hulne (Northumberland) und Aylesford (Kent) gegründet. Die Präsenz entwickelte sich zur Erfolgsgeschichte: um 1300 verfügte man bereits über 28 Häuser. Der Höhepunkt wurde mit 39 Konventen Mitte des 14. Jahrhunderts erreicht. Zu keinem Zeitpunkt freilich dürften mehr als 1000 Karmeliter in England gelebt und gewirkt haben. Der Großteil dieser Männer ist dem Vergessen anheimgefallen - als einfache Klosterbrüder wurden sie nicht Teil der schriftlichen Überlieferung. Anders diejenigen Frauenbrüder, die eine Universität besucht hatten: sie versahen Leitungsämter innerhalb des Ordens, agierten als Lehrer und Verwalter, und überlebten so in den Quellen.
War man bisher auf der Suche nach biographischen Angaben zu einzelnen Vertretern der englischen Provinz, musste man Informationen aus einer Vielzahl z.T. schwer zugänglicher Quellen und Druckschriften zusammensuchen. Dies hat sich nun mit der vorliegenden Publikation geändert. Das von Richard Copsey, einem bestens ausgewiesenen Experten für die Geschichte der (englischen) Karmeliter des Mittelalters erarbeitete biographische Register, das die drei Jahrhunderte von 1240 bis 1540 umfasst, wird die Forschungstätigkeit zukünftig wesentlich erleichtern. Dies gilt nicht für diejenigen Karmeliter, die Mitglied der englischen Ordensprovinz waren, sondern auch für all diejenigen Ordensangehörigen, die sich in offizieller Mission (etwa zu Visitations-, vor allem aber zu Studienzwecken am Londoner studium generale) auf die Insel begeben mussten. [1]
Das Register umfasst insgesamt 4.912 Einträge, 4.480 sind Mitgliedern der englischen Provinz gewidmet. Welche Quellen wurden hierfür herangezogen? Um mit denjenigen zu beginnen, die außerhalb der Konventsstrukturen entstanden: Studenten bzw. Ordenspriester erscheinen in den Bischofsregistern, einer in England breit überlieferten Quellengattung. Wollten etwa ordinierte Karmeliter predigen oder Beichte hören, bedurften sie einer Genehmigung durch den Ortsbischof. Und eben diese licentia fand ihren Niederschlag in den entsprechenden Registern. Waren Karmeliter in Rechtsstreitigkeiten verwickelt, sind sie über Einträge in den jeweiligen königlichen Registern nachweisbar. Als wichtigste interne Quellengattung dürfen die Generalkapitelsbeschlüsse, deren älteste auf 1281 datieren, und andere offizielle Verlautbarungen gelten. Beschlüsse der englischen Provinzialkapitel haben die Zeitläufte leider nicht überdauert. Karmeliter traten, zumal als Universitätslehrer, selbst schriftstellerisch in Erscheinung. Doch auch hier sind die Überlieferungsverluste für England erheblich, hatte doch die von Heinrich VIII. verfügte Auflösung der Klöster ab 1538 zur Vernichtung umfangreicher Bibliotheks- und Archivbestände geführt.
Die Namen einiger weniger Karmeliter haben sich allein deshalb in die kollektive memoria eingeschrieben, weil ihr heiligmäßiges Leben die Zeitgenossen überzeugte und entsprechend kommentiert wurde (offiziell gelang es freilich nur einem einzigen Angehörigen der englischen Provinz, zur Ehre der Altäre erhoben zu werden: Simon Stock). Aufnahme fanden auch englische Karmeliter, die wie John Hothby als magister chori an der Kathedrale zu Lucca lange Zeit im Ausland verbrachten. Das gleiche gilt für Einsiedler und Eremiten, die sich im Dunstkreis karmelitischer Gemeinschaften in England bewegten.
Das Register ist folgendermaßen aufgebaut: die einzelnen Brüder erscheinen alphabetisch nach ihrem Tauf- bzw. Ordensnamen in der jeweiligen Landessprache. Dies ist vor allem für ausländische Besucher von Bedeutung: Der katalanische Generalprior wird so etwa als Pedro Terrassa (†1511), nicht als Peter Terrasse gelistet. Um auf diesem sensiblen Gebiet Verwirrung zu vermeiden, werden bei jedem einzelnen Namen die möglichen Varianten mitgeliefert. Angaben zur Biographie mit Nennung der jeweiligen Quellenstellen schließen sich an. Wo immer möglich, werden die ungedruckten bzw. edierten Schriften der behandelten Persönlichkeiten (mit den Archiv- oder Bibliothekssignaturen bzw. den nötigen bibliographischen Angaben) aufgeführt. Umfangreichere lateinische Quellenzitate werden übersetzt und tragen damit der Tatsache Rechnung, dass nicht nur in der Universität, sondern auch im Orden selbst (dessen Zentrum sich derzeit weg aus Europa auf andere Kontinente hin verlagert) Lateinkenntnisse abnehmen.
Copsey steht auf den Schultern von Riesen, darunter John Bale, in dessen bisher unediert gebliebenen, in der Oxforder Bodleian Library verwahrten notebooks aus den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts sich eine Fülle von karmelitischen Buchtiteln dokumentiert findet, auf die er bei seinen Besuchen in Konventen in England und auf dem Kontinent gestoßen war. Ein großer Teil dieser Titel muss heute als verloren gelten. Copsey führt sie unter den "lost works" auf. Abschließend wird die Forschungsliteratur erwähnt.
Die Arbeit verfügt über sechs ausgesprochen nützliche Anhänge: 1. Karmeliterhäuser in der englischen Provinz im Mittelalter; 2. Gliederungen innerhalb der englischen Provinz; 3. Provinziale; 4. Berühmte Karmeliter als Englandbesucher; 5. Karmeliterbischöfe in England und Wales; 6. Generalprioren 1240-1540.
Copsey legt mit seinem "Biographical Register" ein Hilfsmittel vor, das von der jahrzehntelangen Beschäftigung und Vertrautheit des Verfassers mit der Materie zeugt und ähnlichen Unternehmungen auf Seiten der Dominikaner oder Augustineremiten ebenbürtig an die Seite zu stellen ist. [2] Natürlich kann ein solches Werk nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Die Forschung wird (auch auf der Grundlage dieses Registers) weitergehen und neue Informationen zu Tage fördern, weshalb Korrekturen und Addenda zukünftig auf der Website der englischen Ordensprovinz zu finden sein werden. [3] Copseys summum opus darf mit Fug und Recht als Meilenstein innerhalb der karmelitischen Ordensgeschichte bezeichnet werden. Ein Must have für jede Universitäts- und Seminarbibliothek.
Anmerkungen:
[1] Franz-Bernard Lickteig gelang es, die Namen von über 250 deutschen Karmelitern zu eruieren, die nach England zum Studium zogen, vgl. Franz-Bernard Lickteig: The German Carmelites at the Medieval Universities, Rom 1981.
[2] Thomas Kaeppeli: Scriptores Ordinis Praedicatorum Medii Aevi, 4 Bde., Rom 1970-1993; Adolar Zumkeller: Manuskripte von Werken der Autoren des Augustiner-Eremitenordens in mitteleuropäischen Bibliotheken (Cassiacum; 20), Würzburg 1966.
[3] http://www.carmelite.org/copseyregister.
Ralf Lützelschwab