Andrej Angrick: »Aktion 1005« - Spurenbeseitigung von NS-Massenverbrechen 1942-1945. Eine »geheime Reichssache« im Spannungsfeld von Kriegswende und Propaganda, Göttingen: Wallstein 2018, 1381 S., 45 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-3268-3, EUR 79,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Massenmord ist ein schmutziges Geschäft. Dass dies nicht nur im übertragenen Sinne und nicht nur für das Mordgeschehen selbst gilt, zeigt Andrej Angricks Studie über die Beseitigung der Massengräber und anderer Spuren nachdrücklich. Mit dem Bau von Gas-kammern in den Vernichtungslagern erreichten die deutschen Handwerker des Massenmords eine gewisse Distanzierung und "Rationalisierung" gegenüber den in den besetzten Gebieten der Sowjetunion vorwiegend praktizierten Massenerschießungen. Aber nur an den Mordstätten in Auschwitz-Birkenau und Majdanek galt dies seit dem Jahr 1943 nach dem Bau großer Krematoriumsanlagen auch für die Beseitigung der Leichen. Bis dahin wurden die Leichen auch hier anfänglich, wie bei den großen Massenerschießungen, in Massengräbern verscharrt. Später wurden sie in offenen Feuern verbrannt.
Bereits Anfang 1942 erteilte Heinrich Himmler dem SS-Standartenführer Paul Blobel den Auftrag, die Beseitigung der Massengräber vorzubereiten. Bis dahin hatte Blobel das Sonderkommando 4a der Einsatzgruppe C geführt und in dieser Funktion unter anderem die große Massenerschießung von Babyn Jar Ende September 1941 geleitet.
Blobels als streng geheim eingestufter Auftrag wurde im Reichssicherheitshauptamt unter dem Aktenzeichen "1005" geführt. Der Verfasser stellt die Beauftragung Blobels in den Zusammenhang einer wachsenden Zahl von Berichten Ende 1941 und Anfang 1942 über die Massenmorde in den besetzten Gebieten der Sowjetunion und Polens in der internationalen Öffentlichkeit. Tatsächlich begann Blobels Tätigkeit dann aber im Frühjahr 1942 im Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno nad Nerem) im "Warthegau", als dort beträchtliche praktische Probleme bei den bisherigen Methoden der Leichenbeseitigung auftraten. An diesem Ort, an dem der stationäre Massenmord im Dezember 1941 noch recht provisorisch mit Gaswagen begonnen hatte, waren bis zum Frühjahr 1942 mehrere Zehntausend Opfer, vorwiegend Juden aus dem Ghetto in Lodz, in Massengräbern in einem nahegelegenen Waldgebiet verscharrt worden. Aus diesen Massengräbern traten bald Flüssigkeiten aus. Die deutschen Täter befürchteten zudem die Verbreitung von Krankheiten und eine Verseuchung des Grundwassers. Blobel begann daher an diesem Ort auch mit der "Enterdung" der Leichen. Tatsächlich erwies sich dies als schwieriger als erwartet. Es bedurfte einer Reihe von Versuchen, bis Blobel und seine Leute eine funktionierende Technik für die Verbrennung durch das Aufschichten der Leichen auf großen Scheiterhaufen und den Einsatz von Benzin oder anderen Brandbeschleunigern entwickelt hatten. Zur Beseitigung der nach der Verbrennung übriggebliebenen Knochen ließ Blobel Mühlen zu ihrer Pulverisierung beschaffen.
Die tatsächliche Arbeit des Herausziehens der halbverwesten Leichen aus den Gruben, das Aufschichten, Verbrennen und Zermahlen der Knochen mussten hier und an den anderen Orten meist jüdische Lager- oder Ghettoinsassen verrichten. Als "Geheimnisträger" wurden sie selbst spätestens nach dem Ende der Arbeiten an den jeweiligen Orten ermordet. In der zweiten Jahreshälfte 1942 wurden dann unter Beteiligung Blobels und seiner Männer oder unter Anwendung der von ihnen entwickelten Technik die Massengräber beseitigt, die in Bełżec, Sobibór, Treblinka, Auschwitz und Majdanek in den vorhergehenden Monaten gefüllt worden waren. Parallel dazu wurden nun an diesen Orten die Leichen unmittelbar nach dem Mord in den Gaskammern in großen Gruben verbrannt.
Erst Anfang 1943 wurde die "Aktion 1005" auch auf die Massengräber in den besetzten Gebieten der Sowjetunion ausgedehnt. Später schloss sie auch noch weitere Territorien ein, darunter vor allem die besetzten polnischen Gebiete und Teile Südosteuropas, die der Verfasser jeweils in eigenen Kapiteln behandelt. Die Ausweitung auf die besetzten sowjetischen Gebiete erschien nun umso dringlicher, als die Rückeroberung durch die Rote Armee einsetzte und bereits Anfang 1943 in Rostov am Don und Krasnodar gefundene Massengräber und andere Spuren deutscher Verbrechen von den sowjetischen Behörden propagandistisch genutzt wurden. Hier zieht der Verfasser auch interessante Verbindungen zur deutschen Aufdeckung von Gräbern sowjetischer Massenmorde in Katyn und Vinnycja im gleichen Zeitraum (400-459).
Tatsächlich erfasste die "Aktion 1005" dann aber nur einen geringen Teil der vielen Tausend Massengräber, welche die verschiedenen Einheiten von SS und Polizei in diesen Gebieten seit 1941 hinterlassen hatten. So vermochten auch die deutschen Täter sie oft nicht mehr genau zu identifizieren; vor allem aber reichten die Zeit und die Ressourcen der "Aktion 1005" nicht aus, um sie vor dem Eintreffen der sowjetischen Truppen noch in wirklich großer Zahl zu beseitigen. Dies blieb auf vergleichsweise wenige, meist herausgehobene Tatorte, darunter auch Babyn Jar, beschränkt. Das eigentliche Anliegen, die Spuren der Verbrechen zu verwischen, scheiterte weitgehend. Ja, die grauenhaften Details der "Aktion 1005" in Kiew und Lemberg selbst wurden von sowjetischer Seite bereits unmittelbar nach der Rückeroberung 1944/45 aufgedeckt und als Beleg für den zutiefst grausamen und verbrecherischen Charakter der deutschen Okkupanten herausgestellt.
Angricks umfangreiche Studie beschreibt die "Aktion 1005" so umfassend, wie es aufgrund des nur in geringer Menge überlieferten schriftlichen Quellenmaterials möglich scheint. Der Verfasser stützt sich in hohem Maße auf Materialien alliierter und bundesdeutscher Ermittlungs- und Gerichtsverfahren gegen Angehörige der "Aktion 1005". Darüber vermag er an vielen Stellen auch Ergebnisse sowjetischer oder polnischer Ermittlungen zu berücksichtigen, auch wenn er die entsprechenden Originalmaterialien aus polnischen, ehemals sowjetischen und anderen Archiven nicht einbeziehen konnte. Die Studie beeindruckt darüber hinaus nicht nur durch die umfassende Berücksichtigung der deutsch- und englischsprachigen Forschungsliteratur, sondern vor allem auch durch die profunde Kenntnis des deutschen SS- und Polizeiapparats, die es dem Verfasser ermöglicht, Schlüsse aus den wenigen überlieferten Dokumenten zur "Aktion 1005" und aus Aussagen von Beteiligten zu ziehen.
Insgesamt zeigt die Studie eine Seite des Holocaust, die zwar auch bisher nicht unbekannt war, aber gegenüber dem eigentlichen Mordgeschehen meist nur geringe Aufmerksamkeit in der Forschung gefunden hatte, nämlich die Beseitigung der Leichen. Zu den Leistungen der Studie gehört, dass sie aus dieser Perspektive einen umfassenden Blick auf die deutschen Massenmorde in Osteuropa eröffnet.
Kai Struve