Rezension über:

Hiram Kümper: Der Traum von Ehrbaren Kaufmann. Die Deutschen und die Hanse, Berlin / München: Propyläen 2020, 541 S., ISBN 978-3-549-07649-1, EUR 26,00
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Rezension von:
Harm von Seggern
Residenzen-Kommission, Arbeitsstelle Kiel / Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Redaktionelle Betreuung:
Jürgen Dendorfer
Empfohlene Zitierweise:
Harm von Seggern: Rezension von: Hiram Kümper: Der Traum von Ehrbaren Kaufmann. Die Deutschen und die Hanse, Berlin / München: Propyläen 2020, in: sehepunkte 21 (2021), Nr. 11 [15.11.2021], URL: https://www.sehepunkte.de
/2021/11/35473.html


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Hiram Kümper: Der Traum von Ehrbaren Kaufmann

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Gleich zwei Themen behandelt dieses Buch, nämlich zum einen den "Ehrbaren Kaufmann" als Leitbild des Unternehmertums in der Gegenwart und zum anderen die Hanse als Phänomen der Vergangenheit. Die Verbindung beider Themen liegt darin, dass für die historische Fundierung des Ideals vom Ehrbaren Kaufmann oftmals der Hansekaufmann herhalten musste. Bekanntermaßen spielte die Hanse in der Bürgerkultur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und insbesondere in der wilhelminischen Ära, als die Hanse als Vorbild "deutscher Seegeltung" (so der damalige Sprachgebrauch) herangezogen wurde, eine besondere Rolle im Selbstverständnis des Bürgertums und der nach historischer Legitimation suchenden nationalistischen Politik. Die Verknüpfung beider Themen wird überdies dadurch nahegelegt, dass der Verfasser an der Universität Mannheim beheimatet ist, an der die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät eine besondere Stellung einnimmt, war die Universität doch 1907 als städtische Handelsschule gegründet worden, welche 1933 der Universität Heidelberg angegliedert und 1967 zur Universität ernannt wurde. Die Verknüpfung beider Themenfelder ist ferner auch insofern naheliegend, als dass die Hansegeschichte für mehrere Jahrzehnte das einzige Gebiet war, in dem grundständig Handels- und Wirtschaftsgeschichte im engeren Sinne der Vormoderne betrieben wurde, während sich die allgemeine Geschichtswissenschaft so gut wie ausschließlich Fragen der Sozial- und Kulturgeschichte widmete. Erst in den letzten Jahren hat sich die jüngere Kulturgeschichte dezidiert wirtschaftlichen Fragestellungen, wie beispielsweise dem Kredit- und Schuldenwesen, geöffnet.

Diese Verbindung von jüngerer Kulturgeschichte und Wirtschaftsgeschichte prägt die vorliegende, mit 543 Seiten seit längerem erste größere Gesamtdarstellung der Hanse. Für viele Jahre, gar einige Jahrzehnte nahm die 1966 in erster Auflage erschienene umfassende Geschichte von Philippe Dollinger eine besondere Stellung in der Historiographie ein, was sich in mehreren Neuauflagen ausdrückte, zuletzt die sechste, von Volker Henn und Nils Jörn bearbeitete 2012. Eine ganze Reihe kürzerer Überblicksdarstellungen erschienen seit etwa 2000, als erste sei die von Rolf Hammel-Kiesow in der Reihe Beck´sches Wissen genannt. Sichtlich hat die Geschichte der Hanse in der jüngeren Kulturgeschichte Konjunktur. Dieses erklärt sich dadurch, dass es sich bei der Hanse um einen Interessens- bzw. Kommunikationsverband handelte, und gerade Fragen der Kommunikationsgeschichte sind integraler Gegenstand der Kulturgeschichte.

Vor diesem Hintergrund ist die hier vorzustellende, ungemein flüssig, ja geradezu flott geschriebene Gesamtdarstellung der Hanse von ihren Anfängen im 12./13. Jahrhundert bis zu ihrem Ende im 17. Jahrhundert zu sehen, in die hinein immer wieder Ausblicke und Verweise auf die kaufmännische Ehrbarkeit in der Gegenwart eingeflochten werden. Diese Bezüge sollen aber nicht den Blick darauf verstellen, dass sich dahinter sehr wohl eine tiefere Auseinandersetzung mit der Überlieferung verbirgt, wie die häufigen Betrachtungen zu Quellenausdrücken und Auseinandersetzungen mit Lehrmeinungen aus der Literatur zeigen.

In elf Kapiteln schlägt der Verfasser einen großen Bogen vom Landesausbau im Hochmittelalter bis zur Mächtepolitik im Absolutismus. Dabei ist es ihm darum zu tun, gleichsam so etwas wie eine "Pfadabhängigkeit" der Entwicklung der Hanse zu zeigen, die man früher vielleicht "organische Entwicklung" genannt hätte. So gelingt es ihm zu verdeutlichen, dass und wie die frühen Kaufleutegenossenschaften des Hochmittelalters (den Hansen, im Plural) umgeformt wurden zu den Handelsgesellschaften des seit dem 13. Jahrhundert zunehmend sesshaften Kaufmanns, der das Reisen seinen Handelsdienern überließ, die die Ferntransporte begleiteten. Abgewickelt wurde der Gütertausch über die Handelsgesellschaften vom vorherrschenden Typ der Widerlegung, die sich als eine Art Erweiterung des Haushalts verstehen lassen, bei denen der Kaufmann als Kapitalgeber weiterhin in seiner Stadt blieb, an den Endpunkten seines Handelsnetzes Verwandte oder vormalige Handelsdiener als Kapitalführer saßen, die vor Ort weitgehend selbständig schalteten und walteten, aber dank des funktionierenden Briefverkehrs mit ihrem Kapitalgeber in (losen) Kontakt blieben. Umgekehrt aber konnten auch die in der Ferne befindlichen Kapitalführer wiederum zu Kaufleuten werden, die ihrerseits als Kapitalgeber andere Kaufleute ausstatteten. Innerhalb der Städte besaßen die dieserart vernetzten Kaufleute eine dominierende Stellung, die dazu führte, dass die Städte sich bei den verschiedenen europäischen Herrschern, seien es die Könige von England oder Norwegen, die Grafen von Flandern, die Fürsten von Nowgorod u.v.a.m. um die Privilegien bemühten, die es den Kaufleuten ermöglichten, als "Gäste" auf dem fremden Markt aufzutreten. Die Hanse selbst handelte nicht (was in der populären Literatur oft falsch dargestellt wird), sondern die Hanse handelte auf politisch-diplomatischem Wege die Rahmenbedingungen aus, entlang derer die Kaufleute ihren Handel abwickeln konnten. Die Hanse (im Singular) war so etwas wie eine Interessensgemeinschaft, eine Kommunikations- und Kooperationsgemeinschaft, die in Zeiten der Not aber sehr wohl zu konzertierten Aktionen in der Lage war (wie während der Kölner Konföderation, einem nur drei Jahre währenden regelrechten Bund gegen den König von Dänemark, 1367-1370, oder der mehrmals genutzten Verlegung des Hansekontors von Brügge in andere niederländische Städte), meistens aber auf Abstand hielt, zumal die Beschlüsse der Hansetage, die Rezesse (Beschlüsse, wörtlich Verabschiedungen) in keiner Weise rechtlich bindend waren. Im Binnenverhältnis war die Hanse vor allem von divergierenden Interessen geprägt, die auszugleichen sich vor allem Lübeck als informellem Haupt der Hanse mühte.

Dass die Hanse sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu einem festen Bund umformte mit einer (zu füllenden) Kasse und einem Syndikus bzw. Geschäftsführer ist eher Zeichen eines Bedeutungsverlustes. Untrügliches Kennzeichen war, dass die Zahl der Teilnehmer geringer wurde, bis sich im 17. Jahrhundert nur noch Hamburg, Bremen und Lübeck zusammenfanden. Dahinter stand der die strukturellen Rahmenbedingungen verändernde Umstand, dass die frühmodernen Territorien auf dem Wege, Staaten zu werden, eine Wirtschaftspolitik betrieben, die die vielen Städte, formal Landstädte, in die herrschaftliche Außenwirtschaft einbanden, was zur Folge hatte, dass die (Land-)Städte keine selbständigen Beziehungen zu fremden Fürsten pflegen durften, wie es im Spätmittelalter sehr wohl möglich gewesen war.

Dieses Bild, dass die Forschung in den letzten Jahrzehnten mehr oder minder mühsam hatte zusammentragen müssen, leicht und verständlich zusammengeführt zu haben, ist das Verdienst dieser Arbeit, das stupende Literaturverzeichnis verzeichnet über 800 Titel. Nicht verschwiegen werden soll, dass der Verfasser die Niederungen der eigentlichen Quellenauswertung meidet, aber deren Ergebnisse, was zahlenmäßige Befunde oder einzelne Zitate bzw. Ausdrücke angeht, sehr wohl wiedergibt. Die Sprache erscheint zuweilen etwas sehr modern, so wenn er anlässlich der Pest von "social distancing" spricht (102), oder der Anführer der schottischen Unabhängigkeit gegen England Ende des 13. Jahrhunderts als "Braveheart" des Kinofilms von 1995 eingeführt wird (100), aber nur, um sodann doch die Unterschiede deutlich zu machen - sichtlich wendet sich der Verfasser an die heutige popkulturell geformte Studentenschaft. Hinsichtlich der Verweise auf die Problematik der modernen kaufmännischen Ehrbarkeit hätte ich als Beispiel für "control fraud" eher den Enron-Skandal in den USA 2001 angeführt als die Subprime-Krise von 2007ff. (die war was Größeres, Systematischeres) (217). Aber das sind Petitessen, die auf sich beruhen können und nicht zu hoch gehängt werden sollten.

Harm von Seggern