Uwe Schreiber / Renate Schindler / Hans-Wolfgang Bergerhausen (Hgg.): Würzburger Ratsprotokolle der Riemenschneiderzeit. Band 1: 1504-1513 (= Fontes Herbipolenses; Bd. 10), Würzburg: Echter Verlag 2020, 857 S., 11 Farbabb., ISBN 978-3-429-05489-2, EUR 49,95
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Um es gleich vorweg zu nehmen: Die Würzburger Ratsprotokolle erlauben einen außerordentlich eindrucksvollen Einblick sowohl in die städtische Lebenswelt als auch in die Tätigkeit eines Stadtrats des frühen 16. Jahrhunderts. Der vorzustellende Band ist so unendlich reich an Lesefrüchten aus dem Regierungsalltag oder, wenn man so will, dem "Alltag der Entscheidung" (so der Titel eines Aufsatzes von Arnold Esch aus dem Jahr 1988), dass man der Herausgeberin und den Herausgebern nur danken kann. Für die Edition ausgewählt wurden die Jahre 1504-1525, in denen der bekannte Bildschnitzer Tilman Riemenschneider Ratsherr in Würzburg war. Das gesamte Material soll in zwei Bänden veröffentlicht werden, der erste, der die Jahre 1504-1513 abdeckt, wird hiermit vorgelegt.
Inhaltlich geht es um die Entscheidungen des Würzburger Stadtrats, die die Stadtschreiber in Protokollen notierten, wobei sie zunächst in einer Zeile einen Betreff formulierten, worunter dann das eigentliche Rechtsgeschäft in Stichworten wiedergegeben wird. Zur Not kann das sehr kurz sein und wegen der Doppelung etwas befremdlich wirken, entspricht aber der durchgehaltenen Systematik. So heißt es S. 154 zur Ratssitzung vom 28. August 1505 in der Betreffzeile: Jorg Endres rechenmeister zu Haug anzunemen, und in der Notiz zum eigentlichen Beschluss: Mererteyl beschlossen, Jorg Enndres zu rechenmaister zu Haug anzunemen. Eine Personalentscheidung also, die als Mehrheitsbeschluss gefällt wurde, und die in Form eines Ergebnisprotokolls festgehalten wurde. Hintergründe und Mindermeinungen bleiben so verschleiert (im Register S. 814 ist unter dem Stichwort Haug diese Stelle zu ergänzen). In einem anderen Fall wird die Nähe der Ratsbeschlüsse zur Lebenswelt deutlich. Auf der Sitzung vom 28. Dezember 1508 wurde folgendes beschlossen: Fegfewer im spital einzuheyssen. Ist beschlossen und den spitalpfleger bevolhen, dem spitalmeister unnd seiner hausfrawen anzusagen, das fegfewr im spital den armen, so darinn ligen zu gut, so es kalt ist, einzuheyssen, domit sie werm haben (333). Mit Fegfewr ist ein Raum im Bürgerspital gemeint (ebd., Anm. 1832), der (nur) in den Phasen besonderer Kälte während des Winters, einzuheizen ist (wohl, weil es einen Kachelofen gibt) zugunsten der Armen, ausdrücklich damit sie es warm haben. Auch erkennt man gleichsam eine Befehlskette vom Rat über den Spitalpfleger an den Spitalmeister und seine Ehefrau, die für die Führung des Spitalhaushalts verantwortlich waren. Sie mussten vom Rat eigens beauftragt werden, normalerweise war die Unterhaltung einer Wärmestube nicht üblich. Die höheren Heizkosten durften nach dieser Entscheidung vermutlich in die Rechnung des Spitals eingestellt werden. Überdies ist zu erkennen, dass die gelegentlich auftretende große Kälte als Problem wahrgenommen wurde. In den vermögenderen Haushalten der Ratsgeschlechter und Familien der weiteren Führungsschicht dürfte zu diesen Zeiten ebenfalls geheizt worden sein, nun gestand man es auch den Armen im Bürgerspital zu.
Überhaupt, das Bürgerspital: Gleich anschließend war eine weitere Entscheidung in einer Spitalsangelegenheit fällig: Ein frawe vonn Lawb nit ins spital zu nehmen. Ein fraw von Laub, die drew jare aldo gesessen unnd gebeten hat, sie inns spital zu nehmen, ist beschlossen, dieweyl sie noch vermoglich ist unnd sone hat, die sie erneren mogen, unnd noch nicht lang hinter dem spital gesessen, dißmals nicht einzunemenn (333). Eine Frau im Dorf Laub (heute Teil von Prichsenstadt), das dem Bürgerspital unterstand, welches sich aus dessen Erträgen unterhielt, wohnte (erst?) seit drei Jahren dort und bat seitdem um Aufnahme ins Spital, was ihr mit dem Argument, sie habe noch ein Vermögen und außerdem könnten ihre Söhne sie ernähren, für dieses Mal verweigert wurde. Der Rat kannte sich aus in Vermögensverhältnissen und konnte beurteilen, ob es jemand gestattet werden konnte, ins Spital aufgenommen zu werden oder nicht, zudem könnte es der (neu hinzugezogenen?) Frau an Beziehungen zum Rat gefehlt haben, um eine für sie günstige Beurteilung zu erhalten. Einweisungen ins Bürgerspital erscheinen häufig als Deliberandum.
Diese drei Einträge mögen eine Vorstellung verschaffen von der Bandbreite der vom Rat zu behandelnden Fragen. Eine nähere und systematische Durchsicht der als Stichprobe herangezogenen S. 300-350 macht jedoch deutlich, dass es in der Hauptsache Auseinandersetzungen zwischen Bürgern, Einwohnern und zumeist niederen Amtsträgern des Bischofs, der Stadt selbst und mitunter der umliegenden Herrschaftsträger und kirchlichen Einrichtungen waren, die vor den Rat gelangten. In der Fülle des Materials ging es also um rechtliche Fragen, in denen der Rat einen Beschluss fasste und sich für oder gegen eine Seite entschied. Ein förmlicher Prozess sollte dabei in der Regel verhindert werden. In erster Linie verwandte sich der Rat zugunsten der eigenen Bürger, was für ihn eine einfache Sache war, solange es gegen irgendwelche anderen Würzburger Einwohner, Bürger, Landleute der umliegenden Dörfer usw. ging, bei Amtsträgern des Landesherrn oder Adligen des Umlandes hingegen mitunter Fingerspitzengefühl erforderte. Gelegentlich war es mit Schreiben eines Briefes nicht mehr getan und es musste eine Ratsgesandtschaft losgeschickt werden, auch kam es vor, dass Leute, Beklagte bzw. eine Streitpartei, vor den Rat geladen wurden.
Hinzuweisen ist noch darauf, dass die Einleitung mit sechs Seiten recht knapp ausgefallen ist. Sie beschränkt sich auf die Beschreibung der archivalischen Überlieferung, des kodikologischen Befunds und auf die Nennung der Stadtschreiber, die die Protokolle verfassten. Für eine Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, die als institutioneller Kontext hätte dienen können, wäre die reiche Lokal- und Landesgeschichte Frankens ergänzend heranzuziehen (dienlich hierfür das Literaturverzeichnis 737-756). Beachtenswert ist, dass die Ratsprotokolle ab Bd. 5 (1462-1482) Folioformat haben, während sie vorher im Schmalfolio-Format gehalten waren. Bleibt die Frage, ob die Protokolle bereits während der Ratssitzungen geführt wurden oder aus Konzepten nachträglich als Ergebnisprotokoll geschaffen wurden, um sich für etwaige Prozesse zu wappnen (wohl nicht dienten sie der Erfassung des Arbeitsaufwandes der Stadtschreiber).
Die weitgehende Beschränkung auf den Text ist verständlich, da die Edition ohnehin (netto) 623 Seiten umfasst, zumal der Protokolltext noch um zwei Anhänge ergänzt wurde. Zum einen handelt es sich dabei um die Edition der Hanndlung, des Handlungsbuchs der Bürgermeister Ortolf Grosss und Endres Schlosser über die Vorgänge in der alten stewerstuben (d.h. ohne Anwesenheit des gesamten Rats) zwischen den Schützen und den Badern und anderer Sachen, zumeist Wachvergehen, während des Zeitraums 1504-1509 (625-653, von Uwe Schreiber und Hans-Wolfgang Bergerhausen), und zum anderen um die Ratseide, die der Stadtschreiber Johann Bucher 1503 auf Anordnung der Bürgermeister verzeichnete, ebenfalls ediert von Uwe Schreiber und Hans-Wolfgang Bergerhausen (655-728). Ein chronologisches Verzeichnis der Ratssitzungen (XVII-XXV), ein kleines Glossar (729f.), Abkürzungen (731-733), Quellen- und Literaturverzeichnis (734-756) und ein in seiner Ausführlichkeit zu lobendes Register (757-827, das, wie Stichproben ergaben, sehr zuverlässig ist - der eine genannte Fehler ist ein Zufallstreffer), Listen der Amtsträger (829-846) sowie einige Abbildungen (847-853) und eine Karte (854) runden den Band ab.
Insgesamt ist es eine beeindruckende Quelle und eine beeindruckende Leistung, diese publiziert zu haben. Es bleibt nun an der Lokal- und Landesgeschichte sowie der allgemeinen Sozial- und Kulturgeschichte, aus diesem reichen Fundus zu schöpfen. Vielleicht nur soviel: Auch Unerwartetes kann man hier finden. Dass im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit der Besuch eines Bades zur Kur weit verbreitet war, ist bekannt. Dass dieses Folgen hatte für den Alltag der Würzburger Ratsentscheidungen, zeigt ein Vorgang vom 20. April 1509: Johann Steinmetz ins Wildbadt. Johann Steinmetz hat gebetten, ime zu vergonnen, er woll inns Wiltbad zihen. Ist ime verwilligt, unnd wue es sein geselle Ortolff das capellenpflegerampt allein nicht außrichten kan, alßdann ime ein zuzugeben (352). Einer der niederen städtischen Amtsträger, der Kapellenpfleger Johann Steinmetz, beantragte die Erlaubnis, ins "Wildbad", gemeint wohl Bad Wildbad im Nordschwarzwald, zu reisen, was ihm gestattet wurde, jedoch das Problem entstehen ließ, dass sein Amtsgenosse namens Ortolff während seiner Abwesenheit das Amt nicht allein ausführen konnte, weswegen ihm an Johanns Stelle ein Vertreter zur Seite gestellt wurde.
Harm von Seggern