Michael Gehler (Hg.): Akten zur Südtirol-Politik 1945-1958. Band 3. Erzwungenes Autonomiestatut und Optantendekret 1947/48, Innsbruck: StudienVerlag 2021, 704 S., ISBN 978-3-7065-4369-9, EUR 79,00
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Südtirol, gerade für viele Deutsche seit Jahrzehnten ein beliebtes Urlaubsland, hat eine komplizierte und teilweise bis heute kontrovers diskutierte Geschichte. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde 1918 das Land besetzt und 1920 eine Staatsgrenze am Brenner und Reschen gezogen und damit der südliche Landesteil Tirols von Italien annektiert. So wurden die Südtiroler und Südtirolerinnen praktisch über Nacht zu einer kleinen Minderheit in einem von vielen als fremd empfundenen Staat. Mit der Machtübernahme von Mussolinis Faschisten 1922 begann eine gezielte "Italianisierung". 1939 beschlossen Hitler und Mussolini das "Problem Südtirol" durch Umsiedlung der deutschsprachigen Bevölkerung aus dem Weg zu schaffen. Rund 86 % der 246.036 optionsberechtigten Südtiroler und Südtirolerinnen (die sogenannten Optanten) entschieden sich für die Auswanderung. Bis 1943 verließen rund 75.000 ihre Heimat.
Im Umfeld des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck ist seit 1987 sehr viel zu Südtirol geforscht und publiziert worden. Dazu gehört auch ein Editionsprojekt von diplomatischen Dokumenten aus österreichischen und Südtiroler Archiven der Jahre von 1945 bis 1969. Der nun erschienene Band 3 der Quellenedition (herausgegeben von Michael Gehler) dokumentiert die entscheidenden Jahre 1947/1948. In den unmittelbaren Nachkriegsjahren forderten die Südtiroler und Südtirolerinnen die Rückkehr ihres Heimatlandes nach Österreich. Doch die Alliierten entschieden letztlich dagegen; Südtirol sollte allerdings eine Autonomie mit Minderheitenrechten innerhalb von Italien erhalten. 1946 unterzeichneten der Außenminister Österreichs, Karl Gruber, und sein italienischer Amtskollege (und Ministerpräsident) Alcide De Gasperi (beide waren gebürtige Tiroler) ein kurzes grundsätzliches Übereinkommen zu diesem Zweck. Der Teufel steckte, wie so oft, im Detail der Umsetzung, wie sich in den nachfolgenden zähen Verhandlungen zwischen den interessierten Parteien zeigen sollte.
Zentral war die Frage des legalen Status der Optanten, immerhin über zwei Drittel der deutschsprachigen Bevölkerung, deren Staatsbürgerschaft umstritten war. Hätte man diesen die Wiedererlangung der italienischen Staatsbürgerschaft verweigert, wäre das "Problem Südtirol" für Italien ein für alle Mal gelöst gewesen. In den Jahren zwischen 1944 und 1948 wurden über 12 Millionen Deutsche beziehungsweise Deutschsprachige aus ihren alten Heimatgebieten vertrieben beziehungsweise zwangsweise umgesiedelt. Den Südtirolern und Südtirolerinnen drohte ein ähnliches Schicksal. Besonders ablehnend war die italienische Regierung gegenüber der Rückkehr der bereits ausgewanderten und in Deutschland eingebürgerten Südtiroler und Südtirolerinnen. Sie sollten auf keinen Fall in ihre Heimat zurückkehren dürfen, forderte Staatsrat Silvio Innocenti, ein enger Vertrauter De Gasperis, der in der Aktenedition über 60 Mal erwähnt wird. Nur Südtiroler und Südtirolerinnen, die "wirklich gute italienische Bürger" (Dok. 10, 100) sein wollten, wollte man ein Bleiberecht gewähren. Die Frage der Wiedererlangung der Staatsbürgerschaft war zentral, denn was sind Minderheitenrechte wert, die nur für zehn Prozent der betroffenen Gruppe gelten? Schließlich bekam der allergrößte Teil der Südtiroler und Südtirolerinnen die Staatsbürgerschaft wieder, ausgeschlossen blieben aber zunächst vor allem politisch Belastete (zum Beispiel Nationalsozialisten), aber auch Personen, die von Italien als Störenfriede angesehen wurden. Ein großer Teil der bis 1943 Ausgewanderten kehrte allerdings nicht mehr nach Südtirol zurück, da sie in Österreich oder Deutschland bereits Wurzeln geschlagen hatten.
Der zweite entscheidende Punkt im Gruber-De Gasperi-Abkommen, eine besondere Autonomie für die Provinz Bozen-Südtirol, wurde von Italien damals nicht verwirklicht. Zwar wurden Bestimmungen dazu in Gesetze gegossen, aber das autonome Territorium umfasste auch das italienischsprachige Trentino, und dadurch wurden die Südtiroler und Südtirolerinnen auch innerhalb der neu geschaffenen Region zu einer Minderheit. Es ist wenig überraschend, dass diese (erste) Autonomielösung von 1948 für die nun als "Trentino-Tiroler Etschland" bezeichnete Region für viele sehr enttäuschend - da zahnlos - war. In vielen Fällen setzte sich außerdem die Italianisierungspolitik gegenüber Südtirol fort und führte zu einer Zuspitzung der Lage in den 1950er Jahren.
Die von Gehler edierten Akten und Quellen betreffen besonders die österreichische Südtirolpolitik und die Südtiroler Sichtweise. Die Einleitung des Bandes wäre eine gute Gelegenheit gewesen, deutschsprachigen Lesern und Leserinnen auch mehr die damals gängige italienische Sichtweise auf die Südtiroler Geschichte und Realität zusammenzufassen. Denn die italienische Perspektive unterscheidet sich bis heute stark von der deutschsprachigen Geschichtsschreibung zu Südtirol. Eine italienische Übersetzung deutschsprachiger Arbeiten zu Südtirol - etwa von Gehler - wäre generell sehr wünschenswert. Nur so kann eine europäische Diskussion zur Geschichte und Gegenwart des (ethnischen) Nationalismus in Italien, Österreich und anderswo stattfinden.
Gerald Steinacher