Marie-Luise Heckmann / Jürgen Sarnowsky (Hgg.): Schriftlichkeit im Preußenland (= Tagungsberichte der Historischen Kommission für Ost- und Westpreussische Landesforschung; Bd. 30), Osnabrück: fibre Verlag 2020, 507 S., ISBN 978-3-944870-70-0, EUR 58,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Nils Bock: Die Herolde im römisch-deutschen Reich. Studie zur adligen Kommunikation im späten Mittelalter, Ostfildern: Thorbecke 2015
Wolfgang Huschner / Theo Kölzer / Marie Ulrike Jaros (Hgg.): Herrscherurkunden für Empfänger in Lotharingien, Oberitalien und Sachsen (9.-12. Jahrhundert). I diplomi dei sovrani per i destinatari in Lotaringia, Italia settentrionale e Sassonia (secoli IX-XII), Leipzig: Eudora-Verlag 2020
Jürgen Sarnowsky (Hg.): Wahrnehmung und Realität. Vorstellungswelten des 12. bis 17. Jahrhunderts, Göttingen: V&R unipress 2018
Sebastian Kubon / Jürgen Sarnowsky (Hgg.): Regesten zu den Briefregistern des Deutschen Ordens: Die Ordensfolianten 2a, 2aa und Zusatzmaterial. Mit einem Nachdruck von Kurt Lukas: Das Registerwesen der Hochmeister des Deutschen Ritterordens, maschinenschriftl. Phil. Diss. Königsberg 1921, Göttingen: V&R unipress 2012
Marie-Luise Heckmann: Stellvertreter, Mit- und Ersatzherrscher. Regenten, Generalstatthalter, Kurfürsten und Reichsvikare in Regnum und Imperium vom 13. bis zum frühen 15. Jahrhundert, Warendorf: Fahlbusch Verlag 2002
Dieser relativ umfangreiche Band dokumentiert eine weitere der in letzter Zeit meist abwechselnd in Polen und Deutschland abgehaltenen Jahrestagungen der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung. In diesem Fall handelt es sich um eine Konferenz, die vom 3. bis 5. Mai 2018 in der Berliner Staatsbibliothek stattfand. Die Konferenzen dieser Kommission sind jeweils einem konkreten Thema gewidmet, das 2018 "Gebrauch und Funktion handschriftlicher Überlieferung aus dem Preußenland" lautete.
Diese Tagungsreihe und die daraus resultierenden Tagungsbände bieten ein sehr gutes Beispiel für die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen polnischen und deutschen Historikern seit den späten 1970er und frühen 1980er Jahren. Von Anfang an finden wir in den Bänden immer wieder Beiträge polnischer Historiker, zunächst der älteren Generation (Gerard Labuda, Marian Biskup, Sławomir Kalembka, Kazimierz Wajda), dann der jüngeren. Die "polnische Präsenz" wird in dem vorliegenden Band besonders gut sichtbar. Von den 17 Autoren sind fast die Hälfte (acht) polnische Forscherinnen und Forscher, fünf davon vertreten die Nikolaus-Kopernikus-Universität in Thorn (Toruń), die anderen die Universitäten in Danzig (Gdańsk), Bromberg (Bydgoszcz) und Posen (Poznań). Die Anzahl der polnischen und insbesondere der in Thorn wirkenden Forscherinnen und Forscher hängt mit dem wissenschaftlichen Potenzial der genannten Hochschulen zusammen, aber auch mit der Tatsache, dass ein großer Teil der in diesem Band besprochenen Manuskripte in der Universitätsbibliothek in Thorn aufbewahrt wird und offenbar das wissenschaftliche Interesse der dortigen Forscher geweckt hat. Die deutschen Autoren des Bandes vertreten Berlin (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek zu Berlin und Freie Universität), Potsdam, Würzburg, Marburg und Hamburg. Auch der niederländische Historiker Dr. Rombert Stapel aus Amsterdam ist unter den Autoren.
Das Autorenteam des rezensierten Bandes besteht nicht nur aus Historikern, sondern auch aus Kunsthistorikern, Sprach- und Literaturwissenschaftlern. Gegenstand ihrer Überlegungen ist generell das, was die Grundlage der Arbeit eines Historikers ist - das geschriebene Wort, das in verschiedenen Texten und Manuskripten enthalten ist. Der Titel des Buches ist allgemein formuliert. Die Konzeption wird im Geleitwort von einem der Herausgeber, Jürgen Sarnowsky, sowie ausführlicher von ihm sowie der zweiten Herausgeberin Marie-Luise Heckmann in der Einführung vorgestellt, kommt vor allem aber auch in der Struktur des Buches zum Ausdruck. Der zweistufige Aufbau der Einführungstexte ist der Tatsache geschuldet, dass der Band nicht nur die Tagung dokumentiert, sondern auch dem 65. Geburtstag von Dieter Heckmann, Archivar am Geheimen Staatsarchiv und versierter Herausgeber historischer Quellen aus dem spätmittelalterlichen Preußen, gewidmet ist.
Quellen sind für verschiedene Zeiten und Regionen stets unterschiedlich gut erhalten. Die den Forschern zur Verfügung stehenden Texte bedürfen immer noch der intensiven Erschließung und Analyse, um aussagekräftig zu sein. Die Frage nach der Aussagefähigkeit wird im vorliegenden Band am Beispiel "einer bedeutenden europäischen Region, des historischen Preußens" - so Sarnowsky (9) - sowohl zur Zeit der Herrschaft des Deutschen Ordens als auch für das "frühe königliche und herzogliche Preußen (1230-1618)" gestellt.
Die Probleme der Schriftlichkeit für diese Region und Zeit mussten selbstverständlich auf ausgewählte Aspekte beschränkt werden, die jedoch - den Herausgebern zufolge - von der Vielfalt der schriftlichen Überlieferung zeugen. Allgemeine Fragen werden im ersten Teil des Bandes ("Typen der Schriftlichkeit") erörtert. Zuerst stellt Sarnowsky die wichtigsten Probleme der Schriftlichkeit und Überlieferungsbildung im Ordensland sowie im Königlichen Preußen und Herzogtum Preußen vor, wobei seine Ausführungen nicht über die ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhundert hinausgehen. Ralf M. Päsler gibt in seinem Artikel einen Überblick über die "literarischen" deutschsprachigen Handschriften des Deutschen Ordens in Preußen.
Die nächsten Teile befassen sich mit spezifischeren und konkreter ausformulierten Fragestellungen. Der Abschnitt "Ausdrucksformen der Frömmigkeit" enthält vier Texte von fünf Autoren (Anette Löffler; Piotr Oliński, Miłosz Sosnowski; Marta Czyżak und Monika Jakubek-Raczkowska). Aufgrund der in den Sammlungen der Danziger Bibliothek der Polnischen Akademie der Wissenschaften, der Diözesanbibliothek Pelplin und des Geheimen Staatsarchivs aufbewahrten liturgischen Handschriften des Deutschen Ordens in Preußen analysiert Löffler die Sozialstruktur von Stiftern, Schreibern (und sogar Buchbindern), Empfängern und Nutzern dieser Werke. Die weiteren Beiträge sind bereits konkreten Handschriften (in zwei Fällen, bei Oliński sowie Czyżak und Jakubek-Raczkowska, in der Universitätsbibliothek in Thorn aufbewahrten) bzw. konkreten Fragen (Möglichkeiten und Grenzen der Interpretation liturgischer Handschriften bei Oliński, der lateinischen Quelle der Adalbert-Vita des Nikolaus von Jeroschin bei Sosnowski oder der Devotio moderna im Ordensland Preußen bei Czyżak und Jakubek-Raczkowska) gewidmet.
Zwei Beiträge bilden den daran anschließenden Abschnitt "Kanzleigeschichte". Die Erörterungen von Johannes Götz betreffen die preußischen Handschriften der Statuten des Deutschen Ordens. Dieter Heckmann befasst sich mit dem "Kulmer Privilegienbuch" (1431-1456) und analysiert die Teilnahme der Kulmer Stadschreiber Konrad Bitschin und Jakob Schönsee an der Entstehung dieses Werkes. Im Anhang des Beitrags wird der Inhalt des Privilegienbuchs zusammengefasst.
Der nächste Teil ist mit vier Beiträgen wieder etwas umfangreicher und trägt den Titel "Historiographie und Erinnerung". Weiter als die übrigen Abschnitte greift er auch in die Frühe Neuzeit vor. Von diesen vier Texten betrifft einer (von Rombert Stapel) die so genannte "Jüngere Hochmeisterchronik", die vor dem Hintergrund der kulturellen Beziehungen zwischen dem Ordensland Preußen und den Zentren des Deutschen Ordens in Westeuropa dargestellt wird. Drei weitere Beiträge beziehen sich auf die Geschichtsschreibung in Danzig im 16. und sogar 17. Jahrhundert. Davon sind zwei Texte mit der Person des aus Warschau stammenden Danziger Chronisten Stenzel Bornbach (1530-1597) verbunden. Julia Możdżeń stellt einen der von Bornbach verwendeten und überlieferten Texte aus dem 15. Jahrhundert vor, nämlich das Geschäftsbuch des Danziger Schiffers Caspar Weinreich, während Marie-Luise Heckmann die formale Einordnung von Bornbachs historiografischem Schaffen am Beispiel seines Werkes Historia vom Aufruhr in Danzig und seiner Beruhigung durch den König von Polen reflektiert. Der letzte Text in diesem Teil (von Ansgar Holtmann) zeigt am Beispiel von Heinrich von Redens Kronica der Preußen die Fluktuation und Rezeption von Werken der bürgerlichen Geschichtsschreibung in der Frühen Neuzeit.
Der letzte Abschnitt ist "Umgang mit der Überlieferung" betitelt. Krzysztof Kwiatkowski und Emilia Kubicka analysieren detailliert Konrad Gesselens Übersetzung der Chronik Wigands von Marburg ins Deutsche. Sławomir Zonenberg untersucht die handschriftlichen Grundlagen der Chronik von Simon Grunau im Kontext der Edition des 19. Jahrhundert und spricht sich für eine neue Bearbeitung und Edition dieses wichtigen Werkes der preußischen Geschichtsschreibung aus, das 1517-1521 entstanden ist, also zu einer Zeit, die einen wichtigen Wendepunkt in der Geschichte des Landes darstellt.
Am Ende dieses Abschnitts und des Buches stehen zwei Texte zu preußischen Handschriften als Teil der Sammlung Manuscripta borussica in der Staatsbibliothek zu Berlin. Nach der Besprechung der Geschichte dieser Sammlung (Eef Overgauw) folgt ein umfangreiches, fast 100 Seiten und über 100 Positionen umfassendes Inventar der Handschriften mit Bezug zum Ordensland und zum Herzogtum Preußen, zusammengestellt von Marie-Luise Heckmann und Sarah Knothe.
Man könnte sagen, dass dieses zuletzt genannte Material den gesamten Band sehr gut charakterisiert und zusammenfasst. Das Werk kann kaum als "normaler" Tagungsband betrachtet werden kann. Die in der Regel umfangreichen und akribisch aufbereiteten Artikel stellen hervorragende Studien zu den aufgegriffenen Themen dar und sind somit bestens geeignet als Einführungen für weitere Forschungen, die sich mit den bedeutenden Textsammlungen und Werken aus Preußen im Spätmittelalter sowie in der Frühen Neuzeit befassen.
Bogusław Dybaś