Heinrich Lang: Internationale Kapital- und Warenmärkte, transalpiner Handel und Herrscherfinanzen. Die Kooperation zwischen den Handelsgesellschaften der Welser und den Florentiner Kaufmannbankiers der Salviati-Gruppe (= Deutsche Handelsakten des Mittelalters und der Neuzeit; Bd. 24), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2021, XXVI + 757 S., zahlr. Tbl., ISBN 978-3-515-12836-0, EUR 122,00
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Niccolò Fattori: Migration and Community in the Early Modern Mediterranean. The Greeks of Ancona, 1510-1595, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2019
Im "Zeitalter der Fugger" (Richard Ehrenberg), dem langen 16. Jahrhundert (ca. 1480-1620), hat nur eine weitere deutsche Unternehmerdynastie es geschafft, in ähnlicher Weise zum Sinnbild für die oberdeutsche Hochfinanz im Frühkapitalismus zu werden. Die ebenso wie die Fugger im Wesentlichen von Augsburg aus operierenden Welser verstanden es, sich in der Frühphase der europäischen Expansion in bedeutende auswärtige Märkte, von Italien und Frankreich über Iberien bis in die Levante und nach Venezuela reichend, einzuklinken und dabei auf teilweise durchaus andere Art als die Fugger, ihren Reichtum zu erwerben und zu behaupten. Während bei den Fuggern eher der Bergbau in Tirol und Ungarn, der Barchenthandel sowie die enge Anlehnung als Finanziers an die Habsburger in Spanien im Hintergrund des Unternehmenserfolgs standen, waren die Welser stärker im Fernhandel mit 'exotischen' Produkten aktiv und über ihre Verbindungen nach Portugal und Südfrankreich auch noch markanter maritim orientiert. Die Firma zeigte im frühen 16. Jahrhundert ähnlich wie die Fugger eine Tendenz weg vom Warenhandel hin zur Tätigkeit als Kaufmannbankiers. Dabei hatten die Welser weniger Scheu als die Fugger, sich in der französischen Kronfinanz zu engagieren, dem großen Konflikt zwischen Habsburg und Valois zum Trotz.
Die Welser wurden in den letzten Jahren stärker durch Sammelbände und Publikationen zu Aspekten ihrer Tätigkeit in den Blick genommen. Jedoch mangelte es der Forschung - im Gegensatz zu den Fuggern - immer an einem Firmenarchiv, weshalb die Resultate über gewisse Erkenntnisgrenzen nie hinauskamen. Dieser Mangel konnte durch die Publikation der sogenannten Rechnungsfragmente der Augsburger Welser-Gesellschaft (1496-1551) vor wenigen Jahren deutlich gemildert werden. Die mustergültige Edition von Peter Geffcken und Mark Häberlein hat durch die Zusammenführung von Quellenschnipseln aus Welser-Rechnungen und Rechnungsbüchern einen vormals nicht für möglich gehaltenen Tiefenblick in das Unternehmen der Welser erlaubt und damit die Forschung auf eine neue Grundlage gestellt.
Dasselbe darf von der vorliegenden Edition behauptet werden. Heinrich Lang hat hierfür die riesenhafte Überlieferung der toskanischen Händlerdynastie der Salviati, die mit Dutzenden Rechnungs- und Briefkopierbüchern im Kern die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts abdeckt, nach Kooperationsbelegen mit den Welsern durchforstet und dabei die wesentlichen Geld- oder Warentransfers aus den Rechnungsbüchern sowie alle Korrespondenzen zwischen den Welsern und den Salviati ediert. Weitere Korrespondenzen fand er in den florentinischen Archiven der Naldini Del Riccio sowie der Bartolini Salimbeni. Das Resultat ist mit fast 700 Seiten an reinem Editionsteil überaus umfangreich ausgefallen. Dazu kommen noch eine etwa 70-seitige Einleitung inklusive Literatur- und Quellenverzeichnissen sowie Editionsrichtlinien und -kommentar sowie ein 20-seitiges Register für Personen und Handelsgesellschaften und Sachbegriffe.
Die Edition "bildet gewissermaßen den Quellenband" zur jüngst erschienenen Habilitationsschrift Heinrich Langs (2). In dieser hat sich Lang sehr ausgiebig den Aktivitäten der Salviati und Welser auf den Märkten in Lyon von 1507 bis 1559 gewidmet, wie sie sich hauptsächlich aus der Salviati-Überlieferung, aber auch den genannten Rechnungsfragmenten und weiteren Quellen ergeben. Die Kooperation auf einem der zeitgenössisch bedeutendsten Finanzplätze des Kontinents darf als sehr bemerkenswert angesehen werden, denn, wie Richard Gascon bereits 1971 feststellte: "Les Nations étrangères établies à Lyon y forment un monde intérieurement divisé". In den Reihen der europäischen Spitzenbankiers konnte man offenkundig diese Grenzen recht problemlos überwinden. Die Kooperation erweist sich dabei als weit mehr als eine punktuelle Zusammenarbeit, die der überragenden Dominanz der Italiener in Lyon (im 16. Jahrhundert nicht umsonst bekannt als "Lyon l'italienne") in vielen Geschäftsfeldern geschuldet wäre: "Vielmehr entstand ein über 35 Jahre hinweg gepflegtes enges Kooperationsverhältnis, welches auch Tiefenstrukturen wie Sprach- und Kulturkontakte sowie Technologietransfer aufweist". (7) Dies war angesichts der Kapitalkraft beider Seiten und ihrer Nähe zu den Herrschereliten ihrer Epoche eine Partnerschaft auf Augenhöhe, wenngleich die verwandte Sprache in den Korrespondenzen faktisch immer Italienisch mit ihren - von Lang gut herausgearbeiteten - Spezifitäten des 16. Jahrhunderts war.
Diese seit etwa 1507 bestehende und in den folgenden Jahrzehnten intensivierte Kooperation kann nun im Detail nachvollzogen werden. Die Zusammenarbeit fand ihre Manifestation in Geschäften mit exotischen Produkten wie Zucker, der Belieferung Frankreichs mit Rüstungsgütern oder dem Austausch von Lehrlingen und Personal. Auch im Kreditgeschäft sowie der Zollpacht kooperierten die Welser eng mit ihren Florentiner Partnern. Damit ist ein Blick weit über die Aktivitäten der Welser in Lyon heraus möglich. Die südfranzösischen Märkte sowie transalpine Finanz- und Warengeschäfte kommen ebenso in den Blick wie eine bedeutende Tätigkeit der oberdeutschen Händler im Levantehandel, die über Marseille organisiert wurde (über drei Jahrzehnte früher als das bislang in der Forschung für oberdeutsche Händler angenommen wurde). Die Finanzinstrumente, die hier zum Einsatz kamen, zeigen in beeindruckender Weise, welch hohen Grad an Komplexität das europaweite Finanzwesen im frühen 16. Jahrhundert bereits errungen hatte. Auch viele Details zur Firmengeschichte der Welser und ihrer Partner, beispielsweise Gründungsdaten ihrer Gesellschaften, werden in diesen Akten erstmalig klar.
Die Edition folgt pragmatischen und zugleich ausgefeilten Richtlinien, die auf die Schwierigkeiten des zu edierenden Materials eingehen mussten - da es häufig eben nicht als Fließtext, sondern in Form von Konten vorliegt. Dabei werden Inspirationen von den bereits vorliegenden Editionen von Buchhaltungsdokumenten in Italien genommen, ebenso von der erwähnten Edition der Welser-Rechnungsfragmente. Korrespondenzen machen den kleineren Teil der Edition aus, hauptsächlich findet man Buchhaltungskonten vor und die entsprechenden Buchungsvorgänge mit Involvierung der Welser. Etwas vermisst man einige exemplarische Abbildungen der Originale, die dem Leser das Verständnis der tabellarischen Editionsteile erleichtert hätten. Die Regesten sind bündig und erleichtern das Verständnis der edierten Quellen wesentlich. Das Register ist essentiell für die Benutzung der Edition, da es mit den Warenposten und Namen einen raschen Zugriff auf spezielle Aspekte ermöglicht. Ein Ortsregister fehlt, es hätte aber auch angesichts der Häufung von permanent vorkommenden Orten wie Mailand, Lyon, Florenz und weiteren nicht übermäßig viel Sinn gemacht.
Die Leistung einer solch mühevollen Edition kann kaum hoch genug eingeschätzt werden. Zwar werden hier die Welser 'nur' über den doppelten Bruch einerseits durch das Archiv einer italienischen Firma und andererseits über deren Tätigkeit in Lyon wahrgenommen. Doch da beide Firmen und der Handelsplatz an der Spitze des europäischen Wirtschaftssystems des 16. Jahrhunderts standen, beleuchtet diese aus einem scheinbar entlegenen Winkel kommende Edition auf ihre eigene Art das Potential des Frühkapitalismus zwischen Oberdeutschland, Südfrankreich und Norditalien mitsamt seiner globalen Ausstrahlungen in einem bislang kaum vorstellbaren Maße. Heinrich Lang hat mit dieser Edition einen wichtigen Beitrag zur Grundlagenforschung der oberdeutschen und italienischen Hochfinanz im Zeitalter der Fugger vorgelegt.
Magnus Ressel