Cedric Bierganns: Geistige Nachrüstung. Ronald Reagan und die Deutschlandpolitik der U.S. Information Agency 1981-1987 (= Studien zur Zeitgeschichte; Bd. 95), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2021, X + 512 S., 25 s/w-Abb., ISBN 978-3-11-072813-2, EUR 69,95
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Enno Eimers: Preußen und die USA 1850 bis 1867. Transatlantische Wechselwirkungen, Berlin: Duncker & Humblot 2004
Norbert Finzsch: Konsolidierung und Dissens. Nordamerika von 1800 bis 1865, Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2005
David R. Gibson: Talk at the Brink. Deliberation and Decision during the Cuban Missile Crisis, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2012
Die Besonderheit der Deutschlandpolitik Präsident Donald Trumps lag nicht darin, dass es in seiner Amtszeit Meinungsverschiedenheiten mit Verbündeten gab. Konflikte im transatlantischen Verhältnis ereigneten sich auch in der Zeit von John F. Kennedy und Konrad Adenauer in den sechziger und Jimmy Carter und Helmut Schmidt in den siebziger Jahren. Bemerkenswert war hingegen, wie wenig sich Trump für das Bild Amerikas in Deutschland und Europa und für den Zusammenhalt der westlichen Staatengemeinschaft interessiert hat. Was für ein Kontrast zur Politik Ronald Reagans, wie Cedric Bierganns in seiner Geschichte der Deutschlandpolitik der U.S. Information Agency herausarbeitet.
Die achtziger Jahre waren alles andere als arm an Konflikten im deutsch-amerikanischen Verhältnis. Erinnert sei nur an die Debatte um die Stationierung von Pershing II-Raketen und Marschflugkörpern sowie an Reagans Plan eines weltraumgestützten Raketenabwehrsystems (SDI). Die amerikanischen Aufrüstungsmaßnahmen wurden von der Öffentlichkeit in Europa überwiegend kritisch betrachtet. Im Oktober 1983 kamen 300.000 Demonstranten im Bonner Hofgarten zusammen, um ihr Missfallen darüber zum Ausdruck zu bringen. Die Reagan-Administration nahm die Proteste aus Übersee wahr und versuchte der Kritik mit eigenen Informations- und Propagandainitiativen - darunter einem "Wahrheitsprojekt" ("Project Truth") - zu begegnen. Bierganns zitiert ein Memorandum der Staatssekretäre Richard Burt und Lawrence Eagleburger vom März 1981, in dem es heißt, dass die USA die politischen Einstellungen der Europäer ab sofort "formen" sollten, "we must start now to shape European attitudes" (101). Reagans Europareisen, die finanzielle Unterstützung für Amerikahäuser, die Feiern zur Erinnerung an 300 Jahre deutsche Einwanderer in die USA und gemeinsame Initiativen im Jugendaustausch zählen zu den bekanntesten Bemühungen zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung in Deutschland. Es ist jedoch zweifelhaft, ob die Administration damit erfolgreich gewesen ist. Bierganns bemerkt, dass die amerikanische Informationsbehörde "nicht unerheblichen Anteil daran [hatte], die Kohäsion der Atlantischen Allianz ... sicherzustellen und die Bundesbürger geistig nachzurüsten" (420). Dann stellt er den Erfolg dieser Bemühungen selbst in Frage: "... [I]nsgesamt gelang es der Reagan-Administration nur bedingt, die Zweifel der deutschen Öffentlichkeit an ihrem Verhandlungswillen auszuräumen und das friedliche Fernziel einer Welt mit weniger Atomwaffen adäquat zu kommunizieren" (420). Die Gründe für die nur begrenzte Effektivität der Maßnahmen hätten in einem mangelnden Verständnis der amerikanischen (und deutschen) Regierung für die Anliegen der Friedensbewegung gelegen. Ihre Ziele seien von Regierungsseite mit einer pauschalen Ablehnung Amerikas verwechselt worden, so Bierganns. Ein Mitarbeiter der USIA kommentierte die Friedensdemonstrationen des Jahres 1983 mit den Worten "it was an anti-American debate. [...] They just don't want us" (245).
Mit dem Amtsantritt Michail Gorbatschows als Generalsekretär der KPdSU im März 1985 erfuhr der Kalte Krieg eine abrupte und unerwartete Neuausrichtung. Die "Gerontokratie im Politbüro" fand ihr Ende und wurde durch einen jungen und dynamischen Politiker ersetzt. Für die USIA ergaben sich damit völlig neue Herausforderungen. Ihr Direktor Charles Wick begegnete Gorbatschow mit Vorbehalten und warnte davor, dass die UdSSR den USA das Image als Friedensmacht streitig machen könnte. Gorbatschow wurde zum Partner und Rivalen Reagans. Zum Partner wurde er beim Bemühen um Abrüstungsmaßnahmen; Rivale war er als Projektionsfläche für friedensbewegte Menschen. Umfragen des Allensbacher Instituts für Demoskopie zeigten, dass der sowjetische Generalsekretär ab Mitte 1986 in der Bundesrepublik populärer war als der US-Präsident. Gorbatschow gelang, was Reagan verwehrt geblieben war: Die europäische Bevölkerung sah in ihm einen Politiker, der für Entspannung und eine Überwindung des Ost-West-Gegensatzes stand.
Der Titel der Untersuchung lässt auf eine enge Spezialstudie schließen. Das ist jedoch nicht der Fall. Im Gegenteil bettet Bierganns die Ausführungen über die Tätigkeit der USIA in einen breiten historischen Kontext und analysiert übersichtlich und auf Grundlage eines intensiven Quellenstudiums die zentralen Problemfelder der amerikanischen Politik gegenüber der UdSSR. Das heißt nicht, dass wir ein in sich geschlossenes Bild der Vorstellungen Reagans und seiner Sowjetpolitik erhalten. Zu widersprüchlich erscheinen die Äußerungen des Präsidenten und zu sehr ringt Bierganns um abwägende Urteile. So plädierte Reagan für Aufrüstung und eine Politik der Stärke, gleichzeitig war er besorgt über einen Nuklearkrieg; ab 1985 war er bereit, auf Gorbatschow zuzugehen, nahm im Sommer 1987 seinen Besuch in Berlin jedoch zum Anlass für einen Seitenhieb auf den sowjetischen Generalsekretär (tear down this wall), den er ein Jahr später bedauerte. Reagan wollte die UdSSR "bis an die Grenze der Belastbarkeit" (51) bringen, gleichzeitig dem Kreml jedoch "keinesfalls seinen Willen aufzwingen" (52). Schließlich resümiert Bierganns, dass der US-Präsident in der allgemeinen Wahrnehmung über das Ende des Kalten Krieges zu schlecht wegkomme: "Dass Reagan noch vor Amtsantritt des neuen Kremlherren auf eine moderate Rüstungskontrollpolitik eingeschwenkt war, blieb in weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit unbemerkt" (314).
Eine Generation nach dem Ende des Kalten Krieges erinnert die Untersuchung von Bierganns an die komplexen Bedrohungs- und Entspannungsstrukturen in den Jahren des Ost-West-Konflikts. Anders als Präsident Trump, der für die öffentliche Meinung in Übersee kein Interesse hatte, kam es in den achtziger Jahren sehr wohl darauf an, die Stimmung in Europa zu kennen und zu beeinflussen. Cedric Bierganns analysiert das komplexe Verhältnis der USA gegenüber der Sowjetunion und zum Verbündeten Deutschland in einer umfassend angelegten und übersichtlich strukturierten Studie, die durch ihre breite Quellenbasis beeindruckt.
Georg Schild