Robert Spindler: Corsairs, Captives, Converts in Early Modernity. Narrating Barbary Captivity in German-Speaking Europe and the World, 1558-1807, Würzburg: Königshausen & Neumann 2020, 186 S., ISBN 978-3-8260-7086-0 , EUR 32,00
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Deutschsprachige Gefangenenberichte stehen im Fokus von Robert Spindlers Monographie. Diese Gattung entstand in der Frühen Neuzeit im Rahmen der auf dem Mittelmeer zwischen europäisch-christlichen und nordafrikanisch-muslimischen Mächten ausgefochtenen Kämpfe. Hundertausende Muslime gerieten in christliche Gefangenschaft und eine ebenso hohe Zahl von Christen wurden in islamische Gebiete verschleppt. Ein kleiner Prozentsatz der in der Regel versklavten Personen kam durch Flucht oder Lösegeldzahlung wieder frei und konnte nach Hause zurückkehren. Auf christlicher Seite schrieben eine Reihe der ehemaligen Gefangenen ihre Erfahrungen nieder. Die Gründe dafür waren vielfaltig. Einige wollten sich von dem Geruch der Konversion befreien oder sich ihre traumatischen Erlebnisse von der Seele schreiben. Für andere war es einfach eine Möglichkeit, sich einen Namen zu machen und dadurch ihre Chancen, eine Arbeit oder Anstellung zu finden, zu erhöhen. Als sich das Genre Mitte des 17. Jahrhunderts auf dem Markt etabliert hatte, drängten nicht wenige Verleger die Rückkehrer dazu, ihre Abenteuer zu veröffentlichen. Bisweilen literarisierten sie sogar deren Texte. In der Zeit zwischen dem ersten Bericht aus der Feder von Balthasar Sturmer (1558) und dem letzten Text, den Simon Friedrich Pfeiffer 1834 über seine Reisen und seine fünfjährige Gefangenschaft im Algier publizierte, hatte sich nämlich aus den faktualen Erzählungen die fiktionalen Gattungen des Schelmenromans und der "Robinsonade" entwickelt. Damit waren ungemein beliebte Literaturtypen entstanden, die, wie jeder weiß, in verschiedene Medien übersetzt bis heute ausstrahlen.
Das Buch besteht im Wesentlichen aus zwei Hauptteilen, einem eher analytischen und einem eher deskriptiven. In dem ersten Teil findet sich die Auswertung zahlreicher Gefangenschaftsberichte. Aus Gründen der besseren Vergleichbarkeit konzentriert sich der Verfasser auf vier Themenfelder: (1) Stadtbeschreibungen, (2) Der Islam, (3) Christliche Renegaten, (4) Identitätskrisen. Folgen die Stadtbeschreibungen in der Regel einem wenig originellen Muster, so offenbaren die Darstellungen des islamischen Glaubens eine erstaunlich große Bandbreite von Haltungen, die von Verteufelung bis zu Bewunderung reichen. Christen, die zum Islam übergetreten sind, werden in den Berichten ausnahmelos negativ gesehen. Das ist nicht verwunderlich, denn kein Rückkehrer wollte, wie gesagt, auch nur den Hauch eines Verdachtes aufkommen lassen, dass er sich selbst vielleicht in seiner Zeit in Nordafrika zum Islam bekehrt hatte. In den Berichten werden aber nicht alle Muslime abwertend präsentiert. Der wohlwollende muslimische Herr/Sklavenbesitzer stellt in den Texten ein wiederkehrendes Motiv dar. Mehr spürbar als tatsächlich in Worten ausgedrückt sind die Identitätskrisen der ehemaligen Gefangenen. Alles in allem ist Robert Spindler zuzustimmen, wenn er schreibt, dass die Berichte insgesamt ein Zeugnis für die mentale Verflochtenheit der westlichen Mittelmeerwelt in der Frühen Neuzeit sind.
In dem zweiten Teil der Monographie stellt uns der Autor ausführlich einige captivity narratives vor, die bisher so gut wie keine Aufmerksamkeit erfahren haben. Im Einzelnen handelt es sich dabei neben dem bereits erwähnten "Verzeichnis der Reise Herrn Balthasar Sturmers" (1558) um William Okeleys in Deutschland breit rezipierten "Eben-ezer" (1675), "Michael Kühns merckwürdige Lebens- und Reise-Beschreibung" (1741) und um österreichische Robinsonaden wie etwa "Der österreichische Robinson, oder: Leben, und merkwürdige Reisen Andreas Geißlers, eines geborenen Wieners, von ihm selbst beschrieben" (1791), "Robinson, der Ober-Österreicher, oder höchstmerkwürdige Schicksale Johann Georg Peyers" (1802) und "Leonhard Eisenschmieds, eines österreichischen Unterthans, merkwürdige Land- und Seereisen durch Europa, Afrika und Asien" (1807).
Nach der Lektüre des Buches wird deutlich, dass es dem Autor zum einen gelungen ist, aus literaturwissenschaftlicher Perspektive die Geschichte der auf Deutsch verfassten captivity narratives nachzuzeichnen. Zum anderen verdeutlicht er überzeugend die mannigfaltigen Bezüge zwischen diesen Texten und den von der Gattung her verwandten englisch-, französisch-, niederländisch- oder spanischsprachigen Erlebnisberichten.
Stephan Conermann