Jaroslav Svátek: Prier, combattre et voir le monde. Discours et récits de nobles voyageurs à la fin du Moyen Âge, Rennes: Presses Universitaires de Rennes 2021, 334 S., 6 Kt., ISBN 978-2-7535-8258-3, EUR 25,00
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Jaroslav Svátek widmet sich in seiner Studie der Motivation und Erfahrung adliger Reisender im Spätmittelalter - eine Gruppe, die neben Handels- und Missionsreisenden seltener von der Forschung in den Blick genommen wurde, so Svátek (11). Diese Lücke möchte er mit seiner Arbeit schließen, die 2021 an der Universität Lille III als Dissertation verteidigt und für die Publikation gekürzt und überarbeitet wurde. Um die Leitfrage, was 'adliges Reisen' ausmacht, zu beantworten, zielt der Autor auf eine Analyse adliger Reisemotive und -intentionen, die er als multipel annimmt: Adlige gingen auf Pilgerfahrt, verknüpften dies aber auch mit militärischen oder diplomatischen Aufgaben. Entsprechend sind viele der von ihnen verfassten Berichte inhaltlich breit aufgestellt - Svátek analysiert insgesamt vier französischsprachige Berichte, die er in einem ersten Kapitel vorstellt (21-57).
Ogier d'Anglure († 1412) entstammt einer adligen Familie aus der Champagne und brach 1395 zu einer einjährigen Reise nach Jerusalem auf, auf deren Rückweg er über den Sinai reiste und eine (unfreiwillige) Zwischenstation auf Zypern machte. Nompar de Caumont († 1446) gelobte 1417 auf einer Reise nach Santiago, auch nach Jerusalem zu pilgern - was er dann 1419 in die Tat umsetzte. Der Rückweg im Jahr 1420 war jedoch von durch Stürme verursachte Umwege geprägt. Die dritte Quelle des Korpus stammt von Guillebert der Lannoy († 1462), einem flämischen Adligen, der in burgundischen Diensten stand und für seinen Herrn zahlreiche Reisen unternahm. So brach Guillebert 1421-23 zu einer Reise in den Nahen Osten auf, bei der er Chancen für einen neuen Kreuzzug erkunden sollte - er war damit gleichermaßen Pilger und Spion. 1446 reiste er erneut in die Levante, diesmal aber offenbar tatsächlich als Pilger. Als burgundischer Spion tätig war auch Bertrandon de la Broquière († 1459), der 1432-33 im Auftrag Herzog Philipps des Guten in die Levante aufbrach. Er reiste als Pilger nach Jerusalem und von dort weiter nach Kleinasien, um die dortigen Zustände zu erkunden.
Die vier inhaltlichen Kapitel der Studie untersuchen religiöse, adels- und wahrnehmungsbezogene Aspekte der vier Reiseberichte. Das zweite Kapitel (59-138) konzentriert sich auf die Untersuchung der Reisenden als Pilger. Svátek zeigt, dass alle Reisenden von der Bedeutung und Heilswirksamkeit einer Pilgerreise überzeugt waren; sie notierten die erworbenen Ablässe, stellten Kontaktreliquien her und berichteten von Wundern. Dennoch lassen sich Unterschiede festmachen: Svátek adressiert das Problem pluraler Reisemotive und geht von einer hierarchischen Stufung der zu erreichenden Ziele aus (64f.): So ist der erste Teil der Reise Bertrandons, die Pilgertour nach Palästina, für diesen nicht der eigentliche Zweck, sondern eher eine geistliche Stärkung für die zweite - und gefährlichere - Etappe, die Erkundungsreise nach Bursa in Kleinasien. Bei ihm und Guillebert tritt der religiöse Aspekt stärker in den Hintergrund, auch sind ihre Berichte weniger stark an traditionellen Pilgerberichten orientiert; Bertrandon etwa gibt sich gegenüber vielen Mythen und Wundern kritisch, wohingegen für Nompar die Frömmigkeit deutlich als Motiv der Reise und der Abfassung des Berichts herausgestellt wird.
Im dritten Kapitel (139-204) steht der "discours sur la nobellese et la chevalerie" der Reiseberichte im Fokus, der etwa die Beschreibung von Turnierteilnahmen und Jagdgesellschaften, militärischen Einsätzen, Reflektionen über vergangene und künftige Kreuzzüge, Aufenthalte an den Höfen wichtiger Herrscher und natürlich den Ritterschlag am Grab Christi umfasst. Dabei wird klar, dass die hier untersuchten Texte nicht nur Berichte über die Reise nach Jerusalem sind, sondern etwa im Fall Guilleberts auch die Schilderung zahlreicher militärischer Kampagnen in England, Spanien und im Baltikum sowie die Teilnahme an der Schlacht von Azincourt (1415) umfassen. Uns treten Autoren entgegen, die standesbewusst sind, in familiären Traditionen denken und mitunter gezielt andere Mitglieder einer Reisegruppe ausblenden, um sich in den Mittelpunkt zu stellen. Die Texte nähern sich so "Tatenberichten" an, die kataloghaft abhandeln, welche Turniere besucht, welche Herrscher gesehen und welche Ehren erwiesen wurden.
Der Aspekt der Kreuzzüge bzw. ihrer Planung wird im vierten Kapitel (205-238) behandelt. Er ist vor allem in den Werken Guilleberts und Bertrandons deutlich erkennbar - die ja keine reinen Pilgerreisen unternahmen - während er bei Ogier und Nompar kaum zum Tragen kommt. Guillebert und Bertrandon haben nach Svátek drei Dinge gemeinsam: Beide sind erfahrene Reisende, kennen sich im Militärwesen aus und sind in der Lage, ihre Reisebeobachtungen schriftlich niederzulegen. Im Vergleich wird deutlich, dass sich im Jahrzehnt zwischen ihren Reisen der Hauptgegner verschoben hatte: Während Guillebert 1423 noch Ägypten als Ziel eines Kreuzzugs anvisierte, erachtete Bertrandon 1433 bereits die Osmanen als neuen Hauptgegner.
Das fünfte und letzte Kapitel (239-297) richtet den Blick auf die Darstellung des "Anderen" ("l'autre") in den Reiseberichten, womit sowohl die Flora und Fauna als auch die am jeweiligen Ort lebenden Gesellschaften, ihre Sprache, Kleidung, Nahrungsgewohnheiten, Städte und religiöse Gewohnheiten gemeint sind. Svátek stellt dabei das breite Interesse der Reisenden an diesen Phänomenen heraus, kann jedoch auch individuelle Vorlieben der einzelnen Autoren benennen. So schien sich Ogier mehr für die exotische Fauna Ägyptens interessiert zu haben, während Nompar sich als Kenner und Bewunderer architektonischer Details erwies; Guillebert dagegen berichtete ausführlich über die klimatischen Gegebenheiten der von ihm bereisten Regionen.
In der Zusammenfassung (299-303) betont Svátek, dass sich adlige Reiseberichte im Spätmittelalter als neue Textgattung etablierten. Gegenüber früheren Texten geistlicher Autoren hebt Svátek die höhere Individualität der Berichte hervor, die mal einen kritischen (Bertrandon), mal einen frommeren (Nompar) Unterton haben. In jedem Fall aber reichte der Blick der hier untersuchten Adligen über die reinen Pilgerziele hinaus, war an der Welt und der Fremde interessiert, womit ihre Texte zu einem "Kuriositätenkabinett" avant la lettre geworden und nicht als Pilgerberichte im engeren Sinn zu fassen seien (300).
Auch wenn der enge Fokus auf nur vier französischsprachige Texte zunächst irritiert, kann Svátek doch das Potential seines Ansatzes zeigen: Das gewählte Textkorpus spiegelt die pluralen Motive und Interessen adligen Reisens, die sich bei weitem nicht im Pilgern erschöpfen - selbst wenn das bzw. ein Ziel Jerusalem war. Die Arbeit überzeugt durch eine schlüssige Argumentation und auch durch die (in der französischen Forschung nicht immer selbstverständliche) Einbeziehung auch deutschsprachiger Werke (etwa von Werner Paravicini). Wie groß die Unterschiede zwischen der Sicht und Darstellung adliger und geistlicher Autoren wirklich ist, wäre durch eine vergleichende Studie zu zeigen. Sváteks Analyse macht deutlich, wie lohnenswert das wäre.
Christoph Mauntel