John Callaghan / Brendon O'Connor / Mark Phythian: Ideologies of American Foreign Policy. From Pearl Harbour to the Present (= Routledge Studies in US Foreign Policy), London / New York: Routledge 2019, VI + 195 S., eBook, ISBN 978-0-429-01924-1, GBP 32,99
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Die Studie untersucht mit Fokus auf die Zeit nach 1945 Ideologie als Faktor der US-Außenpolitik im 20. Jahrhundert. Damit setzt sie eine Diskussion über die subjektiven Dimensionen der US-Außenpolitik fort, die 1986 mit dem bahnbrechenden Werk "Ideology and U.S. Foreign Policy" von Michael H. Hunt begonnen und sich seitdem vielfältig ausdifferenziert hat.
Leitend ist ein kulturanthropologisches Verständnis von Ideologie als ein welterklärendes und orientierungsgebendes Sinnsystem. Sich kritisch mit der Frage auseinandersetzend, wie sich der Einfluss so definierter Ideologie auf Außenpolitik überhaupt messen lasse, schlagen die Verfasser ein Drei-Ebenen-Modell vor. Demnach ist Ideologie auf einer Makro-, Meso- und Mikroebene als außenpolitischer Faktor präsent. Die Makroebene sind kulturell tief verankerte, überzeitlich gültige und nicht weiter kontroverse Wertideen, Narrative und Identitätskonzepte einer politischen Kultur. Auf der Mesoebene konkurrieren verschiedene, sehr viel instabilere und nur von bestimmten außenpolitischen Akteuren getragene "belief systems" miteinander. (5) Auf der Mikroebene sind die Weltanschauungen und persönlichen Überzeugungen einzelner Akteure angesiedelt. Die hier vorgestellte Studie setzt diese drei Ebenen durchgehend zueinander in Beziehung, doch sind Tendenzen zu einer akteurszentrierten Personalisierung von Außenpolitik unverkennbar. Immer wieder werden die außenpolitischen Vorstellungswelten einzelner Präsidenten ausführlich vorgestellt, während die ideologischen Faktoren auf der Meso- und Makroebene nicht immer in gleichem Maße an Kontur gewinnen.
Der Aufbau des in acht Kapitel gegliederten Buches folgt einer chronologischen, durch die Amtszeiten der US-Präsidenten strukturierten Ordnung, wobei einige Präsidentschaften ausführlicher behandelt werden als andere.
Als die zentrale ideologische Ressource der US-Außenpolitik des Kalten Krieges und des "Krieges gegen den Terror" machen die Verfasser das nationale Identitätsnarrativ des American Exceptionalism aus. Allerdings ist ihre Auseinandersetzung mit diesem kulturgeschichtlichen Metakonzept insgesamt zu unterkomplex, weil zu eng auf dessen liberal-missionarischen Utopismus konzentriert. Die Verfasser lassen nur wenig Bewusstsein dafür erkennen, dass American Exceptionalism eine in sich vielgestaltige intellektuelle Formation ist, die historisch zur Rechtfertigung unterschiedlicher, teilweise gegenläufiger außenpolitischer Grundsatzpositionen und Strategien gedient hat.
Das zweite Kapitel reflektiert die Genese der von Woodrow Wilson im Ersten Weltkrieg ausformulierten und von Franklin D. Roosevelt an die Konstellationen des Zweiten Weltkrieges angepasste Vorstellungswelt des liberalen Internationalismus. Unter den Bedingungen dieses für die US-Außenpolitik im 20. Jahrhundert zentralen Denkens sahen sich die USA vor die Aufgabe gestellt, durch eine aktiv-interventionistische und wertegetriebene Außenpolitik eine internationale Ordnung zu erschaffen, die für liberale Demokratien und freie Marktwirtschaften sicher war.
Das dritte Kapitel zeichnet die Formierung der von einem radikalen Anti-Kommunismus getragenen, in der Strategie des Containment gründenden Cold War Ideology von 1946 bis 1963 nach. Es wird deutlich, wie Anti-Kommunismus unter den Präsidenten Truman, Eisenhower und Kennedy zur zentralen ideologischen Koordinate der US-Außenpolitik wurde. Gleichzeitig wurde das Bewusstsein für Variationen des Kommunismus immer schwächer, mit dem Ergebnis, dass lokale Krisen als Manifestationen ein und desselben globalen ideologischen Konflikts gesehen wurden, dem weltweit mit einem Habitus der Stärke und Entschlossenheit zu begegnen war. In diesem Zusammenhang wird die Präsidentschaft John F. Kennedys als eine Phase der gesteigerten idealistischen Überhöhung der US-Außenpolitik greifbar, die die Grundlagen für die Eskalation des Vietnamkrieges unter Präsident Lyndon B. Johnson legte.
Dessen Präsidentschaft wird im vierten Kapitel behandelt. Es zeigt sehr deutlich, wie die Fixierung auf den Anti-Kommunismus dazu führte, dass die Regierung in Washington die historische Kraft des postkolonialen Nationalismus völlig falsch einschätzte, weil sie sich nicht vorzustellen vermochte, dass Kommunisten auch "echte" Nationalisten sein konnten.
Das fünfte Kapitel wendet sich der Politik der Détente unter Präsident Richard Nixon und seinem Nationalen Sicherheitsberater Henry Kissinger zu. Demnach führte der neue Kurs der Realpolitik zwar zu einer deutlichen Reduktion der exzeptionalistischen Energie in Rhetorik und Praxis der US-Außenpolitik, doch brach auch die Nixon-Regierung insgesamt nicht aus dem durch den American Exceptionalism gesetzten ideologischen Rahmen aus.
Das sechste Kapitel wendet sich der Re-Ideologisierung der Außenpolitik unter Präsident Ronald Reagan zu. Dieser habe den Kalten Krieg als ein "morality play with clear biblical overtones" wahrgenommen, (137) den Begriff Freiheit zu einer zentralen Koordinate der US Cold War Ideology gemacht und einen im Freiheitsgedanken ankernden Nationalismus befördert, der die "greatness" der USA als gegeben hinstellte. (138) Mit diesem außenpolitischen Denken legitimierte Reagan sowohl die Re-Eskalation des Kalten Krieges als auch "deadly foreign policies" in der Dritten Welt. (133)
Im siebten Kapitel geht es um die Präsidentschaft von George W. Bush. Im Zentrum steht der Irak-Krieg, der als ein "stridently ideological and imperial project" erscheint, (154) in dem das Konzept Freiheit den Großteil der ideologischen Arbeit verrichtete. Bushs "freedom agenda" sei, (156) so die Verfasser, zu einer "war agenda" und der "War on Terror" zu einem "war of ideas" geworden. (161) Damit halte der Irakkrieg "the clearest possible evidence" dafür bereit, "how American nationalism, with its exceptionalist and militaristic tendencies, is a powerful and potentially destructive ideology". (167)
Das achte Kapitel stellt die innenpolitischen Rahmenbedingungen der US-Außenpolitik in einem großen, die Zeit nach 1945 abschreitenden zeitlichen Horizont dar und liest sich wie ein Nachklapp. Die darin zum Ausdruck kommende konzeptionelle Trennung von Innen- und Außenpolitik ist nicht nur allgemein problematisch, sondern insbesondere auch deshalb, weil der moralische Utopismus des American Exceptionalism die Trennung von Innen- und Außenpolitik nicht zulässt. Auch beleuchtet dieses Kapitel primär das rechte politische Spektrum. Die Liberalen bleiben weitgehend außen vor, obwohl die Politik von John F. Kennedy, Lyndon B. Johnson und Barack Obama nicht weniger auf den Prämissen des American Exceptionalism gründete als die von Ronald Reagan und George W. Bush. Dies führt zu einem Grundproblem der US-Außenpolitik nach 1945, nämlich, dass sie bis zum "Krieg gegen Terror" weitgehend von einem überparteilichen Konsens getragen wurde, der wesentlich im American Exceptionalism wurzelte.
Diese Kritik nimmt den Verfassern freilich nichts von ihrer Leistung; sie haben eine flüssig geschriebene, theoretisch informierte und historisch kenntnisreiche Analyse der Rolle von Ideologie als Schlüsselfaktor der US-Außenpolitik seit 1945 vorgelegt, die ihre pointierte, sich durchgehend auf einer mittleren Ebene zwischen Abstraktion und Konkretisierung bewegende Argumentation immer wieder mit vielen schlagenden Zitaten unterlegt und insgesamt eine sich lohnende Lektüre bietet.
Volker Depkat