Giuseppe Seche: Un mare di mercanti. Il Mediterraneo tra Sardegna e Corona dAragona nel tardo Medioevo (= I libri di Viella; 340), Roma: Viella 2020, 306 S., zahlr. Tbl., ISBN 978-88-3313-450-5 , EUR 35,00
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Der Autor dieser Monographie stellt einen bedeutenden Fund vor, der die Rolle der Insel Sardinien im System der maritimen Ökonomie des Mittelmeerraumes in bisher ungekanntem Detail nachvollziehen lässt. Im Diözesanarchiv Cagliari fand er das Familienarchiv der sardischen Kaufmannsfamilie Dessi vor, in dem sich nicht weniger als 350 Briefe merkantilen Inhalts in katalanischer Sprache aus dem späten 15. Jahrhundert befinden. Das Buch bietet eine erste systematische Auswertung und kündigt zugleich eine Edition an, die durch Hinzuziehung spanischer Archive bereichert werden soll (16f.).
Die Monographie präsentiert im ersten Kapitel den Bestand und seine Auswertungsmöglichkeiten. Dabei geht es um den Unterschied zwischen privater und Geschäftskorrespondenz, die in den Schreiben erwartbaren Informationen (darunter auch Neuigkeiten wie zu einer Überschwemmung 1486 oder der Pest 1490 in Valencia), konkret um den Schreibprozess, die Materialität der Missiven, ihre Überbringung, die Dauer eines "Briefzyklus" A-B-A (detaillierte Tabelle: 233-243), die Typologien der Schreiben (vom Fracht- zum Wechselbrief und kleineren Quittungen, "albarans") und Handelsmarken (Nachzeichnungen: 55f.).
Das zweite Kapitel ist der Geschichte der Familie Dessi gewidmet, die seit dem 14. Jahrhundert in Sardinien nachweisbar ist und hauptsächlich zwischen Cagliari, Mallorca und Valencia operierte (Stammbäume: 244ff.), ferner geht es um weitere in der Dessi-Korrespondenz genannte italienische und spanische Akteure in ganz Italien und auf der iberischen Halbinsel, auch um die Interdependenzen dieses Netzwerkes, in dem es, wie üblich, vorgeblich nur Freunde gab ("tots los amichs", 115 - so der terminus technicus).
Kapitel drei wertet den Bestand im Hinblick auf die merkantilen Informationen aus: Typologien von Schiffen und Waren (Tabelle mit Patronen und Routen: 247-250). Wir erfahren, dass es speziell für den Transport von Pferden ausgelegte Schiffe gab, die mit Heu, Wasser und allen notwendigen Dingen beladen wurden, um bis zu 50 Pferde (ein Hauptexportgut Sardiniens) in einer Fuhre über See zu transportieren, wobei oft einige Tiere auf der Überfahrt starben (135f. mit Anm. 17, und 149ff.). Die Anheuerung, Miete, Beladung, Schriftführung, Gefahren (Piraterie und Seestürme), Schäden und Reaktionen auf Verluste ("plorava com a petit" - "Er weinte wie ein Kind"! 142), die durchschnittliche Überfahrtsdauer (Cagliari-Valencia: 27-29 Tage, Mallorca-Cagliari: 19 usw.; tabellarisch dargestellt: 144), Waren, ihre Verpackung und Lagerung (spezielle Fässchen für den Transport von Nudeln, die trocken bleiben mussten: 145ff.) und Betrugsversuche durch doppelte Böden (147) werden diskutiert.
Sardinien hatte an Waren zu bieten: Pferde, Büffel, Nudeln ("fideus" - ähnlich den heutigen Vermicelli, die in Katalonien und Aragón sehr beliebt waren: 157), Käse, Korn, Mandeln, Öl, Oliven, Wein, Spirituosen, Fisch, Gewürze, Früchte, Nüsse, Leder, Wolle. Viele dieser Waren und Produkte wurden reziprok gehandelt. Ausschließlich nach Sardinien importiert wurden vorwiegend aus Barcelona, Mallorca und Valencia Stoffe / Tuche, Waffen, Keramik, Kunstwerke, Sklaven. Für die sardischen Waren ermöglichen die Quellen eine Identifizierung der Produktionsstätten auf der Insel. All dies wird in gut lesbaren kartographischen Darstellungen nachvollziehbar gemacht (184-189), die Waren und ihre Routen ebenfalls tabellarisch erschlossen (251-260).
Kapitel vier analysiert die kaufmännischen Netzwerke und -techniken, die aus der Korrespondenz hervorgehen, hebt den Wert des gegenseitigen kaufmännischen Vertrauens hervor, illustriert Preiskalkulationen, Versuche zur Zollumgehung durch Verschleierung (die wertvolle Pancetta unten, darauf einige Schnecken: 201), die Finanzierung der Geschäfte, Kauf auf Kredit, Seeleihe/-tausch, Wechselbriefe, gerichtliche und außergerichtliche Strategien der Konfliktlösung.
Der Autor beklagt, dass außer den Briefwechseln keine Hauptgeschäftsbuchhaltung überliefert ist. Welch ein Reichtum von Informationen geht aber doch allein aus dieser bisher unerschlossenen Kaufmannskorrespondenz hervor! Sicher, die Dessi waren keine Datini, aber gerade das macht den Fall für die Erforschung des Mittelmeerhandels so interessant: Man darf auf die Edition gespannt sein und derweil ein großes Lob für die schon geleistete Arbeit aussprechen.
Tobias Daniels