Donald Weinstein: Savonarola. The Rise and Fall of a Renaissance Prophet, New Haven / London: Yale University Press 2011, XII + 379 S., mit 6 Abb., ISBN 978-0-300-11193-4, GBP 25,00
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Noch im Jahr 2009 betonte Riccardo Fubini in einer Studie zum "Reformator" Savonarola, die Feierlichkeiten zum 500jährigen Todestag des Fraters hätten keine monographischen Synthesen hervorgebracht, welche die klassischen Biographien aus der Feder von Villari, Schnitzer und Ridolfi ersetzen könnten, und verwies auf konfessionelle, politische und theologische Gründe, welche die Erstellung einer neuen Monographie erschwerten. [1] Mit einer schwungvollen und gelehrten biographischen Studie ist nun einer der besten Kenner der Materie angetreten, diesem Missstand abzuhelfen. Weinstein, nunmehr Emeritus an der University of Arizona, ist seit den 1950er Jahren mit gewichtigen Publikationen zu Savonarola in Erscheinung getreten. Die jetzige darf als Synthese seines Schaffens und zugleich als neue Referenzstudie gelten, die auch einem breiteren Publikum zugänglich ist.
Die Stärke dieses chronologisch vorgehenden Buches liegt in der konsequenten Darstellung Savonarolas als Prediger, Prophet und Publizist, die Weinstein aufgrund einer tiefen Durchdringung der philosophisch-theologischen Bezüge in Savonarolas Werk herausragend gelingt. Kompositorisch stellen die angenehm dimensionierten Kapitel jeweils die lebensgeschichtlichen und politischen Entwicklungen den zeitgleichen Predigten Savonarolas suggestiv gegenüber und lassen den Leser die Assoziationen mit dem Geschehen selbst nachvollziehen. So zeichnet Weinstein den Werdegang des Fraters aus Ferrara vom "gewöhnlichen Bußprediger" zum politischen Propheten, Vordenker und Handlungsträger nach, als Lebensweg, der die radikalste Konsequenz aus dem politischen Impetus der Observanzbewegung des 15. Jahrhunderts zu ziehen und umzusetzen vermochte und zugleich einen Gegenentwurf zur florentinischen Renaissancekultur bedeutete.
Weinstein ist sensibel für hagiographische Überhöhungen, Selbststilisierungen des Fraters, aber auch für Diskontinuitäten in der Biographie. Er zeigt den Moment des Zögerns beim Eintritt in den Dominikanerorden, die nicht vollkommene Wertschätzung Savonarolas im Ordensstudium in Bologna, seine Probleme beim ersten Predigtauftrag in San Marco in Florenz, und beschreibt dann, wie der Ferrareser seine eigene, innovative "apokalyptische Stimme" (36) entdeckte, das "eschatologische Predigen" (37) millenaristischer Prägung, einen radikalen Stil, der den Geschmack des ausgehenden '400 traf. Allerdings geht der Autor nicht auf die erst durch Cattin erwiesene Bedeutung der Schrift Solatium itineris mei und die daraus hervorgehende frühe Überzeugung Savonarolas von seiner Berufung ein. [2] Dem Prediger Savonarola, der sich (mit Bezug zu Offb 3,15-16) bewusst gegen die "Lauwarmen" ("tiepidi") abgrenzte, wurden sein neuer Stil und seine neue Botschaft zum Erfolgsgaranten, als die von ihm angekündigte reinigende Flutwelle in Gestalt des "neuen Kyros" - Karl VIII. von Frankreich - und seines Italienzuges 1494 Wirklichkeit wurde und der ungeschickt handelnde Piero dei Medici aus Florenz fliehen musste.
"The Rise and Fall of a Renaissance Prophet", so der passende Untertitel Weinsteins, der aber nicht nur den politischen Auf- und Abstieg Savonarolas als Prediger und Prophet darlegt, sondern ebenso die damit verbundene wachsende und wieder abnehmende Selbstvergewisserung und -überzeugung des Fraters von der Wahrheit seiner Eingebungen und der Bedeutung seines Auftrags.
"A Savonarola without visions would have no more been the preacher-prophet than a Petrarch without sonnets would have been the great humanist poet" (152). Der charismatische Faktor als zentraler Aspekt des Phänomens Savonarola, als Basis dafür, dass der Frater politische Akzeptanz gewann und schnell zum wortgewaltigen Verfechter des "Consiglio Maggiore" und eines "governo civile" venezianischer Prägung wurde (122). Der "prophet of doom" (123) wurde für Florenz zum Vorboten neuer Freiheit und Hoffnung; die Stadt am Arno in seinen Predigten das neue Jerusalem, ein Vorbild für die römische Kirche, deren Reinigung unmittelbar bevorstand. Zu diesem Zweck gab der Frater althergebrachten Traditionen neue religiöse Prägungen. Unter seinem Einfluss und der nominellen Herrschaft Christi fanden die Florentiner ihre Unterhaltung nicht mehr bei Renaissancefesten, sondern suchten vor den Scheiterhaufen der Eitelkeiten stehend das Seelenheil. Bruderschaftliche Organisationen Heranwachsender wurden zu den Kindermilizen der fanciulli, die Zucht und Ordnung gewährleisteten.
Die Wende brachten die zunehmende Erklärungsnot und der Ungehorsam des Propheten von Florenz vor "Pharao" (259), denn trotz, oder gerade wegen der vielfältigen Verbreitung von Savonarolas Schriften mittels des Buchdrucks verhängte Papst Alexander VI. letztlich die Exkommunikation über ihn und das Interdikt über Florenz. Auch blieb die erhoffte und prophezeite Unterstützung durch den "neuen Kyros" aus, der nach Frankreich zurückzog. So scheiterte nicht nur ein Konzilsprojekt, sondern der Prophet selbst stand nun auf dem Prüfstand, und es kam zu der berühmten Feuerprobe. Savonarola entzog sich. Niemand ging ins Feuer. Das Wunder blieb aus. Im Zuge eines Tumults in Haft genommen, zuerst florentinischen, dann päpstlichen Inquisitoren ausgeliefert, gestand der Frater unter Folter vieles, nach Weinstein systematisch nicht alles, verlor aber - so der Autor - schrittweise das Vertrauen in sich selbst. Die Analyse und Bewertung der Prozessakten (Chapter 23) ist sicher eine der stärksten Passagen des Buches.
Weniger deutlich hat Weinstein die Stellung Savonarolas im innerflorentinischen politischen Kräftespiel der ein letztes Mal von den Fesseln der mediceischen Dominanz befreiten Ottimati herausgearbeitet, weniger auch den entscheidenden Wandel seines Bildes in der öffentlichen Wahrnehmung vom überparteilichen "uomo di pace" zum "uomo di parte". [3] Dadurch erscheint der Abstieg Savonarolas etwas statisch vor allem mit Alexander VI. und Karl VIII. verknüpft und sein Untergang in Florenz eher als Reaktion der Florentiner auf die außenpolitische Lage. Auch Savonarolas Bedeutung für das konstitutionelle Denken im Übergang von der Republik zum Prinzipat, das lange Fortbestehen der durch ihn entstandenen Gräben des Faktionalismus sowie die europäische Savonarola-Rezeption werden am Ende nur kurz gestreift.
Insgesamt mindern diese Gewichtungsentscheidungen des Autors die Qualität des Beitrags kaum; sicher war es auch sein Ziel, nach Villari, Schnitzer und Ridolfi einmal ein einbändiges Standardwerk zum Frater vorzulegen. Und als solches ist Weinstein's Savonarola trotz Kritik ohne Zweifel neben den Klassikern zu rezipieren.
Anmerkungen:
[1] Riccardo Fubini: Savonarola riformatore. Radicalismo religioso e politico all'avvento delle guerre d'Italia, in: Archivio storico italiano 621, Disp. 3 (2009), 489-520, hier 489ff. (ND in Ders.: Politica e pensiero politico nell'Italia del Rinascimento. Dallo Stato territoriale al Machiavelli, Florenz 2009, 249-271, hier 249f.).
[2] Giulio Cattin: Solatium itineris mei, Rom 1978, beruhend auf dem Fund einer autographen Savonarola-Handschrift. Bei Weinstein nur am Rande zitiert: 230 und 350 Anm. 54.
[3] Riccardo Fubini: L'uscita dal sistema politico della Firenze quattrocentesca dall'istituzione del consiglio maggiore alla nomina del gonfaloniere perpetuo, in: Elisabetta Insabato (Hg.): I ceti dirigenti in Firenze dal gonfalonierato di giustizia a vita all'avvento del ducato, Lecce 1999, 19-46, hier 39.
Tobias Daniels