Ronald Funke: Bilder des Glaubens. Das Fernsehen und der Wandel des Religiösen in der Bonner Republik (= Medien und Gesellschaftswandel im 20. Jahrhundert; Bd. 14), Göttingen: Wallstein 2020, 467 S., 53 s/w-Abb., ISBN 978-3-8353-3798-5, EUR 44,00
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Der Tod von Papst Johannes Paul II. am 2. April 2005, die weltweite Übertragung des Trauergottesdienstes und die anschließende Wahl von Papst Benedikt XVI. waren globale Fernsehereignisse. Gleiches gilt für die Wahl von Papst Franziskus im März 2013, die außerdem ein digitales Weltereignis darstellte. Während bereits Studien zum Verhältnis von Papsttum und medialer Öffentlichkeit vorliegen, wurde die Bedeutung und der Stellenwert von Religion im deutschen Fernsehen bislang noch nicht systematisch untersucht. Umso erfreulicher ist es, dass mit der Potsdamer Dissertation von Ronald Funke nun erstmals eine Arbeit vorliegt, die die Transformation der Darstellung von Religion und Glauben im bundesrepublikanischen Fernsehen von den 1950er Jahren bis zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung facettenreich untersucht.
In seiner Arbeit zeigt Ronald Funke, dass und wie das Leitmedium Fernsehen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das öffentliche Bild von Religion in der Bundesrepublik prägte. Dabei untersucht Funke nicht nur die Transformation der Darstellung der beiden christlichen Kirchen, die sich in den 1950er Jahren noch eines breiten gesellschaftlichen Zulaufs erfreuten. Der Autor thematisiert auch die sich wandelnden Repräsentationen anderer Religionen und Glaubensformen wie etwa des Islam, der Zeugen Jehovas oder auch okkulter Phänomene. Religionen wie das Judentum und der Buddhismus werden hingegen nur punktuell oder in Verbindung zum Beispiel mit dem Islam erwähnt, was etwas schade ist, zumal die Auswahlkriterien nicht völlig einleuchtend offengelegt werden. Gleichwohl überzeugt die Studie aufgrund ihrer enorm breiten Quellenbasis, bestehend aus 400 Fernsehproduktionen ganz unterschiedlicher Formate sowie einer großen Bandbreite gedruckter und ungedruckter Quellen - von der Kirchenpublizistik bis hin zu Korrespondenzen von Mitarbeitenden der Kirchen und Sender.
Die Studie gliedert sich in vier Kapitel, durch die sich wiederum vier Leitfragen ziehen. Erstens wird danach gefragt, welche Kriterien für die Berichterstattung über das Religiöse galten. Zweitens fragt Funke nach "den mitunter widersprüchlichen Beziehungen zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie Selbst- und Fremddarstellung" im Verhältnis von Kirchen und Fernsehmachern (26). Drittens geht es um die Grenzen dessen, was im Untersuchungszeitraum von den 1960er bis zu den 1980er Jahren im Fernsehen über Religion gezeigt und gesagt werden durfte. Schließlich möchte die Arbeit viertens den Blick richten auf "das Wechselverhältnis von spiritueller und weltlicher Zuschreibung und Deutung" (28). Zwar löst sich die Darstellung der Ergebnisse in den Kapiteln zum Teil von den Forschungsfragen, doch tut dies der Forschungsleistung der Arbeit keinen Abbruch. Im Gegenteil: Zentral ist, dass Ronald Funke die Transformationen des Religiösen im Fernsehen im Sinne einer "histoire totale" akribisch nachzeichnet.
Im ersten Kapitel "Elektronische Kanzel: Gottesdienste im Fernsehen" zeigt Ronald Funke, dass die beiden christlichen Amtskirchen seit den 1960er Jahren nicht nur aktiv auf das Fernsehen als neues Leitmedium setzten, sondern ihre unhinterfragte gesellschaftliche Bedeutung auch Ausdruck in einer privilegierten Stellung gegenüber und in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten fand. Durch Rundfunkgesetze, rechtliche Vereinbarungen und informelle Beziehungspflege standen den beiden Kirchen feste Sendeplätze zu. Sie verfügten zudem über ein weitgehendes Recht zur Selbstdarstellung bei eigenverantworteten Sendungen wie über ein Mitspracherecht bei der Erörterung kirchlicher Fragen in ARD und ZDF. Nachdem seit den späten 1950er Jahren neben dem regelmäßigen "Wort zum Sonntag" Vespern übertragen wurden, dehnte sich das Spektrum des Zeigbaren deutlich aus. Ab Mitte der 1970er Jahre wurden regelmäßig auch Gottesdienste präsentiert, ab 1979 übertrug das ZDF monatlich einen katholischen Gottesdienst. Dabei konnte die katholische Kirche - auch und gerade im Zeichen des Farbfernsehens - auf die visuelle Überlegenheit ihrer Riten bauen, während die evangelische Kirche durch außergewöhnliche Übertragungsorte der Gottesdienste, wie etwa dem Circus Krone, zu punkten suchte.
Im zweiten Kapitel werden die medialen Repräsentationen alternativer Religionsgruppen untersucht, die im Zuge der "Medialisierung des Religiösen" (395) seit den 1960er Jahren im Fernsehen mehr Beachtung fanden. Anders als bei den beiden Amtskirchen hing die Darstellung von anderen religiösen Gruppen zentral von den Logiken des medialen Aufmerksamkeitswertes ab. So gerieten etwa die Zeugen Jehovas vor allem durch Großereignisse wie Kongresse und Massentaufen in den Blick, wobei der Gestus zunächst herablassend-wohlwollend war. Ende der 1960er Jahre setzte sich dann jedoch ebenso wie bezüglich der Evangelikalen eine kritischere Perspektive durch, die auch bedingt durch den Einfluss von Vertretern der beiden Amtskirchen nunmehr als sektenhaft (Zeugen Jehovas) beziehungsweise als durch dubiose Verstrickungen belastet (Evangelikale) dargestellt wurden. Auch die Berichterstattung zum Islam veränderte sich zwischen den 1960er und 1980er Jahren deutlich, wie Ronald Funke zeigt. In den 1960er Jahren war hier das Motiv der Auslandsberichterstattung dominierend, wobei religiöse Großveranstaltungen wie die Pilgerreise nach Mekka im Mittelpunkt standen. In den 1970er Jahren wurde der Islam zunehmend mit der wachsenden Zahl an "Gastarbeitern" in der Bundesrepublik assoziiert. Einen Wendepunkt in der Berichterstattung stellte das Jahr 1979 dar, als es zu krisenhaften Ereignissen in muslimischen Ländern wie dem Iran und Afghanistan kam. Der Islam wurde als politische Gefahr gesehen - eine populäre Sichtweise, die vor allem der ZDF-Journalist Peter Scholl-Latour in seinen Dokumentationen vertrat.
An der Sensationsberichterstattung des Boulevards waren Berichte über Aberglauben und Okkultismus sowie Esoterik und New Age orientiert, die im Mittelpunkt des dritten Kapitels stehen. In den 1950er und 1960er Jahren berichtete das Fernsehen häufiger über vermeintliche Hexereifälle, in den 1970er und 1980er Jahren wuchs das Interesse am Okkultismus deutlich an, der mit Sexualitäts- und Gewaltmotiven versetzt wurde. Themen wie Astrologie und Wahrsagerei wurden ob ihres Unterhaltungswertes ebenfalls nun stärker bespielt, bis hin zur "Astroshow" am Samstagabend.
Das vierte Kapitel widmet sich noch einmal den beiden Amtskirchen und ihren Reaktionen auf das abnehmende Interesse der Zuschauerinnen und Zuschauer an kirchlichen Sendungen, die angesichts der zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft nur noch ein vergleichsweise kleines und kirchennahes Publikum erreichten. Die Tatsache, dass das samstägliche "Wort zum Sonntag" vor allem zum Toilettengang und zum Bierholen genutzt wurde, wie Umfragen ergaben, war dabei nur die Spitze des Eisbergs. Dies führte dazu, dass die kirchennahen Fernsehredaktionen seit den späten 1960er Jahren neue Formate entwickelten, bei denen der offen kirchliche Charakter deutlich in den Hintergrund trat und die Aufmerksamkeit auf aktuelle gesellschaftliche Probleme beziehungsweise neue Zielgruppen gelenkt werden sollte. So sicherten etwa die sozialkritischen Reihen der kirchlichen Produktionsgesellschaft Eikon, die bis in die 1980er Jahre hinein im ZDF ausgestrahlt wurden, den Kirchen beachtliche Zuschauerquoten. Gesellschaftliche Probleme wie etwa die Lebenswelten von obdachlosen Menschen, Alleinerziehenden oder devianten Jugendlichen konnten so aus einer dezidiert christlichen Perspektive dargestellt werden. Auf diese Weise wurde die gesellschaftstragende Rolle der Kirchen, wie Ronald Funke überzeugend klar macht, auch gegenüber einem kirchenfernen Fernsehpublikum massenmedial vorgestellt und legitimiert.
Insgesamt zeigt Ronald Funke, dass und wie die Repräsentationen kirchlicher Themen im Fernsehen stetigen gesellschaftlichen Veränderungen unterlagen. So waren es ab Mitte der 1980er Jahre wiederum neue Unterhaltungsformate wie "Die Schwarzwaldklinik" (ZDF), die den Eikon-Serien - sie wurden nun zunehmend als zu stark pädagogisierend wahrgenommen - den Rang in der Zuschauergunst abliefen. Angesichts der massiven Kirchenaustritte und anhaltender Debatten um sexuellen Missbrauch wird es spannend sein nachzuverfolgen, welche gesellschaftliche Rolle die beiden Amtskirchen im digitalen Zeitalter noch einzunehmen vermögen.
Lu Seegers