Guido Braun / Susanne Lachenicht (eds.): Spies, Espionage and Secret Diplomacy in the Early Modern Period (= Forum historische Forschung: Frühe Neuzeit), Stuttgart: W. Kohlhammer 2021, 279 S., 3 Kt., 5 Abb., ISBN 978-3-17-038938-0, EUR 55,00
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Guido Braun: La connaissance du Saint-Empire en France du baroque aux Lumières 1643-1756, München: Oldenbourg 2010
Guido Braun (Hg.): Assecuratio pacis. Französische Konzeptionen von Friedenssicherung und Friedensgarantie 1648-1815, Münster: Aschendorff 2011
Guido Braun / Antje Oschmann / Konrad Repgen (Bearb.): Die Friedensverträge mit Frankreich und Schweden. Teilband 2: Materialien zur Rezeption, Münster: Aschendorff 2007
Die allgemeinen Vorstellungen von Spionage und Geheimdiplomatie sind stark von populärkultureller und populärwissenschaftlicher Spionageliteratur und Agentenfilmen geprägt. Aufsehenerregende Fälle aus der jüngeren Vergangenheit wie beispielsweise die NSA-Affäre und die Rolle Edward Snowdens als Whistleblower haben das öffentliche Interesse an dem Thema wieder verstärkt. Glücklicherweise beschränken sich die wissenschaftlichen Debatten und Veröffentlichungen zum Thema Spionage nicht ausschließlich auf das 20. und 21. Jahrhundert, wenngleich hier eindeutige Schwerpunkte festzumachen sind, sondern es wurden und werden zahlreiche Arbeiten mit spätmittelalterlichem und frühneuzeitlichem Fokus publiziert. Hier reiht sich auch der von Guido Braun und Susanne Lachenicht herausgegebene Sammelband Spies, Espionage and Secret Diplomacy in the Early Modern Period ein. Er versammelt nach einer instruktiven Einleitung, die einen Einblick zum aktuellen Forschungsstand gibt, insgesamt 13 Aufsätze, die den Zeitraum vom 14. bis ins 18. Jahrhundert abdecken und dabei Fallstudien aus dem Heiligen Römischen Reich, Frankreich, England, Spanien, Portugal, Italien, den Niederlanden, Russland, dem Osmanischen Reich sowie dem Mogulen und Safawiden Reich präsentieren. Dass lediglich die Einleitung und vier Texte auf Englisch, die übrigen neun auf Französisch verfasst sind, hätte zumindest durch einen zweisprachigen Buchtitel Berücksichtigung finden können.
Mehrere thematische Schwerpunkte sind festzumachen, die unter die Schlagworte Akteure, Institutionen sowie Praktiken subsummiert werden können. Lucien Bély (21-35), der Verfasser der einschlägigen Monografie Epions et ambassadeurs au temps de Louis XIV (1990), gibt in seinem einführenden Beitrag einen Überblick, welche allgemeinen Entwicklungen (beispielsweise das Postsystem oder gedruckte Zeitungen) Diplomatie und vor allem Spionage im frühneuzeitlichen Frankreich beeinflussten. Edward Dettmam Loss (59-69) widmet sich dem Amt des Dominus Spiarum in Bologna. Die Amtsinhaber waren gemäß der im Jahr 1335 erstellten und bis ins 16. Jahrhundert erweiterten und gültigen Statuten der Stadt dafür verantwortlich, Spione zum Sammeln von Informationen zu entsenden. Dass andere norditalienische Städte im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit über ähnliche Ämter verfügten zeigt deutlich, welche Bedeutung städtische Autoritäten Spionage zumaßen, um ihre eigene Macht zu erhalten.
Stéphane Genêt (71-83) zeichnet die abenteuerlichen Karrieren von Simon Louvrier und Johannes Kaspar von Thürriegel nach. So wurde Louvrier über den außergewöhnlich langen Zeitraum von 28 Jahren (1733-1761) von den zeitgenössisch wichtigsten und einflussreichsten französischen Offizieren in militärischen Belangen als Spion eingesetzt, sodass anhand seines bemerkenswerten Beispiels ein Professionalisierungsprozess von Spionage zutage tritt. Der Fall des deutschen Adeligen Johann Albrecht von Mandelslo (1616-1644), der über seine Reisen in das Mogulen und Safawiden Reich einen in Druck erschienen Reisebericht verfasste, zeigt laut Indravati Félicités (225-240) Analyse anschaulich, dass in vielen Fällen nicht eindeutig zwischen den Aktivitäten eines Reisenden und denen eines Spions unterschieden werden kann und allzu klare Abgrenzungen nicht möglich sind. Nikolas Pissis (241-253) widmet sich griechisch-orthodoxen Geistlichen und Händlern, die in der Mitte des 17. Jahrhunderts im Osmanischen Reich als informelle Agenten für den Moskauer Hof agierten, bis ihre Aktivitäten durch die Ernennung Mehmed Köprülüs zum Großwesir (1656-1661) ein abruptes Ende fanden.
Wie sich Spionagenetzwerke konstituierten und agierten und welche tragende Rolle Einzelpersonen einnehmen konnten, stellt Serge Brunet (171-196) in seiner Fallstudie zum Diplomaten Francés de Álava (1519-1586) dar, der für 25 Jahre die spanische Geheimdiplomatie und Spionage prägte. Dass sich die Netzwerke einzelner Personen in die jeweiligen politischen Konstellationen integrieren konnten, zeigen auch die Beiträge von Fabrice Micallef (197-210) und Leopold Auer (211-224) zu René de Lucinge (1553/54-1615), zwischen 1585 und 1588 savoyische Botschafter in Paris, bzw. zum Feldherrn, Diplomaten und Hofkriegsratspräsidenten Prinz Eugen von Savoyen (1663-1736), dessen umfangreiche internationale Korrespondenzen noch reichlich Stoff für weitere Untersuchungen böten.
Alain Hugon (125-142) und Serge Brunet (Beitrag II, 143-170) stellen eindrücklich das effiziente Postsystem im Königreich Spanien im 16. Jahrhundert dar, mit dessen Hilfe ein weit verzweigtes Herrschaftsgebiet zusammengehalten wurde. Mit anschaulichen Karten erläutert Brunet die Routen und Mechanismen, mit denen es von spanischer Seite gelang, während der Zeit der Religionskriege in Frankreich (1562-1598) entlang der Pyrenäen ein grenzüberschreitendendes Spionagenetzwerk aufzubauen, das Informationen über die Valois und später die Bourbonen übermittelte. Matthias Pohlig (105-123) analysiert das professionell aufgestellte englische Postsystem während des Spanischen Erbfolgekrieges, das durch die systematische Interzeption von Briefen das British Empire mit wichtigen Informationen rund um strategische Planungen und die militärische Stärke des Gegners unterrichtete.
Camille Desenclos (85-103) befasst sich, auf umfangreiche Quellenbestände zurückgreifend, mit Praktiken der Kryptographie im Frankreich des 16. und 17. Jahrhunderts. Schließlich nimmt Sebastian Becker (37-57) in seinem Beitrag zur Wirtschaftsspionage in der Frühen Neuzeit auf ein wichtiges Forschungsdesiderat Bezug, indem er Ansätze der Politischen Geschichte mit Wissens-, Technologie- und Wirtschaftsgeschichte verknüpft. So kann er beispielsweise zeigen, dass für den Erfolg von Wirtschaftsspionage nicht nur das Sammeln technischen Wissens ausschlaggebend war, sondern auch der Zugriff auf das "tacit knowledge" der Handwerker.
Die im Sammelband vorgestellten Fallstudien decken zeitlich und geografisch eine große Bandbreite ab und zeigen Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener Akteure und Netzwerke der Spionage auf, die in höfischen, diplomatischen und militärischen Kontexten agierten. Zwar dominieren illustre Individuen, die als Spione fungierten oder im Zentrum eines Informationsnetzwerkes standen, immer noch die Forschung zu Spionage. Allerdings wird in vielen Beiträgen des vorliegenden Sammelbandes, dies sei besonders positiv hervorgehoben, deren Rolle in der Generierung und Zirkulation von Wissen in der Frühen Neuzeit stärker betont und insbesondere die Bedeutung von Institutionen und Kommunikationsstrukturen, die über Erfolg oder Misserfolg von Spionage entscheiden konnten, berücksichtigt.
Elisabeth Lobenwein