Ralf Ahrens: Strukturpolitik und Subventionen. Debatten und industriepolitische Entscheidungen in der Bonner Republik (= Geschichte der Gegenwart; Bd. 29), Göttingen: Wallstein 2022, 312 S., ISBN 978-3-8353-5168-4, EUR 32,00
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Das Verhältnis von Staat und Wirtschaft gehört in der Bundesrepublik, die bis heute in ihrer Wirtschaftsordnung, dem mystifizierten Modell der Sozialen Marktwirtschaft, einen wesentlichen Stifter nationaler Identität besitzt, zu den Dauerbrennern der wirtschaftshistorischen Forschung. Vielfältige Werke nehmen sich aus unterschiedlichen Perspektiven immer wieder aufs Neue des Themas und einzelnen seiner Facetten an. Umso bemerkenswerter ist es, dass Ralf Ahrens mit den politischen Meinungs- und Entscheidungsbildungsprozessen der Struktur- und Subventionspolitik in den Jahren der wirtschaftlichen Strukturkrisen zwischen dem Ende des Nachkriegsbooms und der deutschen Wiedervereinigung ein mehr oder weniger neues Puzzlestück hinzufügen kann; eines, das auch deshalb so wichtig ist, weil sich in den Debatten um die Struktur- und Subventionspolitik die großen wirtschaftsordnungspolitischen Diskussionen um mehr Staat oder Markt beziehungsweise um mehr keynesianische oder (neo-) liberale Ordnungselemente wiederfinden. Es geht mit der Struktur- und Subventionspolitik eben auch um die Etablierung eines zentralen wirtschaftspolitischen Instrumentariums des modernen Interventionsstaats, dessen Möglichkeiten sich die Politik seither auf allen Ebenen wirtschaftspolitischer Entscheidungsgewalt bedient.
Der Band analysiert die politischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse über die Legitimität und die unterschiedlichen Ausprägungen industriepolitischer Interventionen von den 1960er Jahren bis zum Ende der 1980er Jahre - dem Ende der Bonner Republik und einer strukturpolitisch völlig neuen Ausgangslage im wiedervereinigten Deutschland. Im Gegensatz zu anderen Arbeiten lässt sich Ahrens auf das komplizierte Für und Wider von Struktur- und Subventionspolitik im öffentlichen, politischen und wissenschaftlichen Diskurs ein. Statt Pauschalurteile über (verfehlte) Auswirkungen zu fällen, geht es ihm um die in der Regel wenig beachteten komplizierten Debatten, die hinter derartigen Politiken stecken. Die branchenspezifische Schwerpunktsetzung auf die Stahlindustrie, den Flugzeugbau und die Computerindustrie ist gut gewählt, deckt sie doch ein breites Spektrum unterschiedlicher Industrien, Markt- und Unternehmensstrukturen ab. Sie geht hinaus über die oftmals einseitige Fixierung auf die Struktur- und Subventionspolitiken für die Altindustrien des 19. Jahrhunderts.
Das Werk ist grundsätzlich chronologisch gegliedert. Neben Einleitung und Fazit ist es in drei Hauptkapitel unterteilt, wobei das erste die Systematisierung der Strukturpolitik und Subventionskontrolle im keynesianischen Steuerungsoptimismus der späten 1960er und frühen 1970er Jahre thematisiert. Anschließend werden die krisengeschüttelten sozialliberalen Regierungsjahre betrachtet, bevor im dritten Kapitel die schwarz-gelbe Regierung unter Helmut Kohl bis zur Wiedervereinigung in den Blick genommen wird. Alle drei Kapitel sind strukturell gleich aufgebaut: Zunächst werden die Grundsatzfragen der Strukturpolitik thematisiert, danach die Subventionskritik/Subventionsberichterstattung sowie letztlich die Praxis der Subventionsvergabe im regionalen wie branchenspezifischen Kontext.
Die Betrachtung von sektoraler wie regionaler Struktur- und Subventionspolitik erlaubt es einmal mehr, die wirtschafts- und ordnungspolitischen Kontinuitätslinien über den angeblich radikalen Bruch des Regierungswechsels 1982 hin zur christlich-liberalen Regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl aufzuzeigen. Lieferte der keynesianische Steuerungsoptimismus zunächst die legitimatorische Grundlage für den Ausbau strukturpolitischer Programme und immer umfassenderer Subventionsprogramme für eine bundesrepublikanische Industrie, die alte Zweige abbauen und modernisieren sowie gleichzeitig die neuen Zukunftstechnologien aufbauen musste, so wurde dieses wirtschaftspolitische Instrumentarium nach dem Regierungswechsel trotz einer neuen neoliberalen Rhetorik weitgehend beibehalten. Allerdings, so betont Ahrens, "lässt sich die Subventionslandschaft der Bonner Republik [...] mit pauschalen Urteilen nur begrenzt erklären" (279). Subventionspolitik - die nicht selten einer pauschalen Kritik im öffentlichen Diskurs ausgesetzt ist - wird als einheitliches Narrativ den regional- wie branchenspezifischen Wandlungen der Industrieproduktion ebenso wenig gerecht wie den sehr unterschiedlichen Determinanten der Subventionsvergabe. Ahrens reiht sich einerseits in die Argumentation anderer Arbeiten ein, die den Regierungswechsel 1982 in seiner ordnungspolitischen Radikalität stark relativieren. Andererseits weist er auf die pluralen Zusammenhänge und pfadabhängigen (Aus-)Wirkungen einmal etablierter wirtschaftspolitischer Instrumentarien hin. Vieles war eben doch eher eine Akzentverschiebung, die viel Raum für spezifische Strukturpolitiken und Subventionspraktiken ließ. Bei der Lektüre der facettenreich dargestellten Meinungsfindungs- und Entscheidungsprozesse wird mehr als deutlich, dass das, "was in der politischen Rhetorik mitunter wie ein Kampf um die Wirtschaftsordnung der Bonner Republik erschien, [...] ein beständiges Aushandeln von Legitimität und Umfang staatlicher Einflussnahme auf die Struktur der Wirtschaft" (285) war.
Alles in allem hat Ralf Ahrens eine äußerst lesenswerte Studie zum Verhältnis von Staat und Wirtschaft am schwierigen (und kontrovers diskutierten) Bereich der Struktur- und Subventionspolitik vorgelegt. Zwar kann der Band nicht durchweg mit bahnbrechenden neuen Erkenntnissen hinsichtlich der generellen Entwicklungslinien dieser neuen politischen Instrumentarien aufwarten, dennoch fördert der tiefere Blick in die kontroversen Debatten einzelner Branchen - basierend auf einer soliden Analyse vielfältiger archivalischer Quellen und einer nüchternen Darstellung - vielfältige neue Erkenntnisse zu Tage. Die komparative Betrachtung heterogener Industriebranchen wie der Stahl-, Flugzeug- und Computerindustrie erlaubt es, ein wesentlich facettenreicheres Bild der bundesrepublikanischen Struktur- und Subventionspolitik in der zweiten Hälfte der Bonner Republik zu zeichnen.
Christian Henrich-Franke