Rezension über:

Shigeto Kikuchi: Herrschaft, Delegation und Kommunikation in der Karolingerzeit. Untersuchungen zu den Missi dominici (751-888). 2 Teile (= Monumenta Germaniae Historica. Hilfsmittel; 31), Wiesbaden: Harrassowitz 2021, LXXX + 1047 S., ISBN 978-3-447-11180-5, EUR 190,00
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Rezension von:
Florian Dirks
Kreisarchiv Verden (Aller)
Redaktionelle Betreuung:
Andreas Fischer
Empfohlene Zitierweise:
Florian Dirks: Rezension von: Shigeto Kikuchi: Herrschaft, Delegation und Kommunikation in der Karolingerzeit. Untersuchungen zu den Missi dominici (751-888). 2 Teile, Wiesbaden: Harrassowitz 2021, in: sehepunkte 22 (2022), Nr. 12 [15.12.2022], URL: https://www.sehepunkte.de
/2022/12/37246.html


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Shigeto Kikuchi: Herrschaft, Delegation und Kommunikation in der Karolingerzeit

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Das europäische Mittelalter ist immer wieder ein interessantes Untersuchungsfeld für japanische Historikerinnen und Historiker. Ein Ergebnis bildet auch das hier zu besprechende Buch, das in zwei gewichtigen Teilbänden publiziert wurde. Es handelt sich um eine Münchner Dissertation aus dem Wintersemester 2012/13, die von Rudolf Schieffer und Roman Deutinger betreut wurde. Der Zeitraum bis zur Veröffentlichung wird mit sprachlicher Überarbeitung und der allseits bekannten Pandemie begründet, was die Vorfreude auf die Rezeption allerdings nicht schmälert.

In Teilband 1 (I-LXXX und 1-278) untersucht Kikuchi das in den Quellen auftauchende Phänomen Missi dominici in chronologischer Abfolge. Die Personen, die als Gesandte der karolingischen Herrscher in einem Reich, das mit Gravel aus historisch heterogen zusammengesetzten Regionen bestand [1], tätig waren, stehen im Fokus des Verfassers. Sie bildeten laut Forschung als quasi dritte Säule neben der Grafschafts- und der Kirchenorganisation das Fundament der Durchsetzung einer zentralen Herrschaft im Sinne eines Fleckenstein'schen Instituts (1). Dabei geht es dem Verfasser in seiner Studie darum, die "tatsächliche und pragmatische Bedeutung dieser Königsboten" für die Königsherrschaft der Karolinger zu untersuchen. Er schließt hierin an die "Pragmatische Verfassungsgeschichte" von Roman Deutinger an (2 mit Anm. 6) und stellt sechs Leitfragen in Bezug auf das Thema vor (5-12): Waren die Missi dominici ein "Institut"? Wie war die historische Stellung des karolingischen Missatswesens? Wie lassen sich personelle Aspekte des Missatswesens fassen? Wie waren die Beziehungen zu den üblichen Ämtern am Königshof und in den Regionen? Welche Rolle spielten Einheit und Vielfalt bei der Ausgestaltung der Missatreisen? Und schließlich: Waren sie Delegation oder Legitimation von Herrschaft?

Die Personen, die einen Auftrag als Missus dominicus erhielten, standen dem Herrscher in der Regel näher als die Inhaber anderer Ämter wie des Grafen oder des Bischofs, sodass "ein schlechter, ungerechter Missus leichter Ruhm und Ehre seines Herrschers" verletzen konnte (14). Insofern waren die Erwartungen, die die karolingischen Herrscher an ihre Missi hatten, entsprechend hoch, was anhand mehrerer Urkunden erläutert wird. Die meisten der als Missi dominici identifizierbaren Personen entstammten denn auch der herrscherlichen Entourage, wie heterogen auch immer diese Gruppe von Personen zusammengesetzt war (18).

Gemeinsamkeiten bestehen in der adligen Abstammung seit dem 8. Jahrhundert, während sie aber nicht durchweg fränkischer Herkunft gewesen sein müssen, da sich auch Alemannen und Bayern unter ihnen ausmachen ließen. Für einige Regionen scheint es gar bereits im 8. Jahrhundert Experten gegeben zu haben, was Kikuchi an den nach Italien entsandten Missi festmacht (20). Nicht unbedeutend scheint auch die Verwandtschaft mit dem Herrscherhaus gewesen zu sein, was sich vielleicht auch auf die Frage auswirkte, inwieweit man Missi Schutz und Begünstigung hat zukommen lassen, die der Verfasser stellt. Recht wenige Personen seien allerdings über die Zeit mehrerer karolingischer Herrscher als Missus auszumachen (34-35).

Die in Teilen ungünstige Quellenlage beschert, wie mancherorts ähnlich, wie bei den Grafen auch bei den Missi dominici Probleme bei der regionalen Abgrenzung. Die Missatica entsprachen mindestens im Westen des Frankenreichs nicht der Einteilung der Kirchenprovinzen oder Bistümer (37).

Teilband 2 (279-1047) umfasst eine alphabetisch sortierte Prosopographie der als Missi dominici erkannten Personen. Die einzelnen Einträge folgen dem Schema Name, Amt / Ämter, Tätigkeit als Königsbote in chronologischer Reihenfolge mit den entsprechenden Nachweisen aus den Quellen. Der Verfasser möchte damit "eine Lücke im Werk Krauses" schließen (281), da dieser zwar eine Liste aller ihm bekannt gewordenen Missi erstellt, aber eine angekündigte Studie darüber nicht publiziert hatte, denn "die Thätigkeit der Missi im Einzelnen [ist] [...] einer besonderen Darstellung vorbehalten". [2] Entsprechend reicht die Prosopographie von A wie Aaron, der 817 als nuntius Adalfrid nach Fulda begleitete (283) bis Wulfericus, der 865/866 bezeugt ist in der Tätigkeit eines Missus Ludwigs II. in der Adriaregion. Diesem folgt eine Zusammenstellung namentlich nicht bekannter Missi, die noch einmal rund 60 Seiten einnimmt.

Ein abschließendes Kapitel befasst sich mit Beispielen für Gesandtschaften zwischen den Karolingern nach 830 (970-976), dem ein umfangreiches Namensregister folgt (977-1047) und die aus zwei Teilbänden bestehende Publikation beschließt.

Interessant dürfte die Rezeption werden, lassen sich doch beispielsweise für die Zeit Karls des Kahlen hier auch die neu erarbeiteten Regesten nutzen. [3] Die Arbeit lässt sich denn auch in der Diskussion über Regionalität im Frankenreich verorten und ist als ein Baustein auf dem Weg hin zu einem besseren Verständnis der karolingischen Herrschaftsausübung zu sehen. Das Bild wird durch prosopographische Studien dieser Art weiter geschärft. Inwieweit sich die Form der eher klassischen Monographie von einer Datenbank abhebt, müsste an anderer Stelle bewertet werden.


Anmerkungen:

[1] Martin Gravel: Distances, rencontres, communications. Réaliser l'empire sous Charlemagne et Louis le Pieux, Turnhout 2012, S. 46-51.

[2] Victor Krause: Geschichte des Instituts der missi dominici, in: MIÖG 11 (1890), S. 193-300, hier S. 197, Anm. 1, zitiert nach Kikuchi, S. 281.

[3] J. F. Böhmer: Regesta Imperii I. Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern 751-918 (987). Band 2, Die Regesten des Westfrankenreichs und Aquitanies, Teil 1. Die Regesten Karls des Kahlen 840 (823)-877, Lieferung 1: 840 (823)-848, bearbeitet von Irmgard Fees, Wien/Weimar/Köln 2007 und Lieferung 2 (Works in progress) 849-869, Abschnitt 1 849-859, bearbeitet von Irmgard Fees und Yannick Strauch unter Mitarbeit von Johannes Bernwieser und Anja Thaller, elektronische Ressource, Mainz 2022, URL: http://www.regesta-imperii.de/fileadmin/user_upload/downloads/RI_I_2_2_1.pdf (letzter Aufruf: 10.11.2022).

Florian Dirks